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# taz.de -- Umerziehung in Borkum: „Ich habe geglaubt, meine Eltern haben mic…
> Lange wurden Kinder nach Borkum „verschickt“. Das Ziel: Umerziehung – m…
> Folgen für die Kinder. Jetzt wird eine Erinnerungsstätte für sie
> eingeweiht.
Bild: Eine historische Postkarte des Nordseeheilbads Borkum: Auf der Insel wird…
taz: Herr Uwe Rüddenklau, wie wichtig ist es für Sie, dass es nun auf der
Nordseeinsel Borkum eine Erinnerungsstätte für die Verschickungskinder
geben wird?
Uwe Rüddenklau: Ich wurde selber im Jahr 1970 als sechsjähriges Kind in das
Adolfinenheim [1][auf Borkum verschickt] und hatte das verdrängt, bis ich
im Jahr 2020 einen Fernsehbericht der [2][ARD-Sendung „Report Mainz“] über
die Behandlung von Verschickungskindern gesehen habe.
taz: Welche Erinnerungen wurden bei Ihnen wiedergeweckt?
Rüddenklau: Das Schlimmste für mich war, dass es während der sechs Wochen
langen Verschickung keinen Kontakt zu meiner Familie gab. So wurden etwa
die Briefe von meinen Eltern und Freunden nicht an mich weitergegeben. Als
Vorschulkind habe ich geglaubt, meine Eltern hätten mich verkauft.
taz: Sie haben dann eine Gruppe mit Betroffenen mitgegründet. Gleichen sich
Ihre und deren [3][Trauma-Erfahrungen]?
Rüddenklau: Es gibt inzwischen in ganz Deutschland viele solcher Gruppen
von Betroffenen. In Borkum sind wir um die 120 Leute, die schon in den
1950ern und noch in den 1980er-Jahren als Kinder dort waren und viele
unserer Erinnerungen decken sich. Ich habe ja immer gedacht, ich wäre ein
Einzelfall.
taz: Was haben Sie dort erlebt?
Rüddenklau: Das Gröbste war das Essen. Ein Ziel von diesen Heimen war, dass
die Kinder an Gewicht zunahmen. Wir wurden regelmäßig gewogen und man
musste immer alles aufessen. Auch wenn man das nicht mochte. Das ging so
weit, dass einige ihr Essen erbrochen haben und sie dann das Erbrochene
essen mussten. Schrecklich war auch, dass es zu festen Zeiten eine Bettruhe
gab. Und man durfte dann nicht mehr aus dem Schlafzimmer, auch wenn man auf
Toilette musste. Man musste dann zwangsläufig ins Bett machen und am
nächsten Tag wurden wir dafür von den Diakonissinnen vor allen anderen
gedemütigt.
taz: Glauben Sie, dass Sie und die anderen Kinder damals böswillig
misshandelt wurden?
Rüddenklau: Böswillig will ich nicht sagen. Das Ziel war eine Umerziehung.
Meine Eltern und Geschwister haben mir erzählt, ich wäre als ein anderes
Kind von dort zurückgekommen. Ich haben zum Beispiel nicht mehr von alleine
angefangen zu essen und ich habe mir anders als davor sehr wenig auf den
Teller getan, weil ich im Heim auf Borkum ja immer alles aufessen musste.
Und ich hatte eine Blasenschwäche als ich zurückkam. Es hat wohl ein halbes
Jahr gedauert, bis ich mich wieder normal verhalten habe.
taz: Sie sind Vorsitzender der [4][Initiative Verschickungskinder]. Was
versprechen Sie sich davon, dass es jetzt diese Erinnerungsstätte gibt?
Rüddenklau: Für mich ist es ein wichtiges Zeichen der [5][Anerkennung, um
die wir ehemaligen Verschickungskinder ja kämpfen]. Und für mich ist es
wichtig, solch einen konkreten Ort zu haben, um mich zu erinnern.
taz: Wie wurde Ihre Initiative von den Menschen auf Borkum aufgenommen?
Rüddenklau: Es haben viele gespendet. Etwa die Franziskanerinnen, die auch
für einige Heime verantwortlich waren. Nur vom Bürgermeister hatten wir
mehr Unterstützung erhofft. Wir wollten eigentlich die Erinnerungsstätte
zentraler an dem kleinen Bahnhof von Borkum haben, wo wir alle mit der Bahn
angekommen sind. Aber das hat er verhindert und darum hat es auch so lange
gedauert. Den jetzigen Standort am ehemaligen Standort des Adolfinenheims
haben wir mit der Hilfe der Kirche vor Ort bekommen.
taz: Und wie wird diese Erinnerungsstätte aussehen?
Rüddenklau: Sie besteht aus einer Skulptur, die ein Verschickungskind
darstellt und vom Künstler Friedhelm Welge gestaltet wurde, der auch ein
Betroffener ist.
29 Jul 2025
## LINKS
[1] /Kuraufenthalte-von-Kindern/!5818643
[2] https://www.ardmediathek.de/video/report-mainz/wie-kinder-in-kurheimen-syst…
[3] /Verschickungskinder-in-Westdeutschland/!5687801
[4] https://verschickungsheime.de/
[5] /Petition-der-Woche/!5874549
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Borkum
Kinder
Trauma
Petition der Woche
Lesestück Recherche und Reportage
Kinderheim
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