# taz.de -- Camp-Punkerin über reiche Sylter*innen: „So viel klassistisches … | |
> Rapperin FaulenzA ist seit einigen Wochen im Punkcamp auf Sylt. Die | |
> Sprüche der Reichen nerven sie, aber sie hofft auf einen Langzeiteffekt | |
> des Camps. | |
Bild: Erst waren sie in einzelnen Gruppen auf Sylt unterwegs, nun haben sie ein… | |
taz: FaulenzA, das Punk-Protestcamp in Westerland ist inzwischen offiziell | |
genehmigt. Sie besuchen als Zuschauer*innen die Ratssitzungen. Schlagen | |
Sie das [1][Establishment auf Sylt] mit seinen eigenen Waffen? | |
FaulenzA: Ich weiß es nicht. Zum Glück kannte sich einer von den Älteren | |
mit dem Bürokratiescheiß aus und wusste, was wir machen müssen. Vorher war | |
alles sehr anstrengend. | |
Was war denn anstrengend? | |
Am Anfang waren wir hier richtig viele, aber ganz ohne offiziellen Ort. Wir | |
haben uns nachts unter Vordächer gelegt oder ins Parkhaus. Spätestens um 7 | |
Uhr früh kamen dann Ladenbesitzer oder Polizei und Ordnungsamt, um uns zu | |
vertreiben. Die haben sich immer neue Sachen einfallen lassen, um es für | |
uns unangenehm zu machen. | |
Zum Beispiel haben sie den Brunnen zeitweise gesperrt, in dem Sie gebadet | |
haben … | |
Ja. Irgendwann wollten die auch jeden Tag vier Euro Kurtaxe von jedem | |
haben, einfach fürs Dasein. Für viele von uns ist das gar nicht möglich, | |
einige sind wohnungslos. Als nicht gezahlt wurde, haben sie mit Anzeigen | |
gedroht. Das war dann der Moment, in dem wir auf der Wiese vor dem Rathaus | |
das Camp gemacht haben. Mit der Anmeldung als Protestcamp ist jetzt alles | |
genehmigt, erst einmal noch bis zum 31. August. | |
Was verändert das? | |
Alles ist viel entspannter geworden, seit wir Zelte aufschlagen dürfen. Wir | |
waren vorher einfach immer unausgeschlafen. Jetzt ist alles strukturierter. | |
Mit dem zweiten Camp an der Kirche treffen wir uns morgens im Park zum | |
Plenum: Wo wollen wir Aktionen starten, wer macht Essen für alle, wer geht | |
einkaufen? Es gibt eine Awareness-Struktur, ein Sanitäter-Team und | |
Nachtwachen. | |
Aufgabenlisten, Awareness-Team, Anmeldungen bei der Stadt – ist das noch | |
Punk? | |
Ja, ich finde schon. Awareness-Struktur passt ja eh. Punk heißt auch: | |
Herrschaftsfrei und diskriminierungsfrei leben, da braucht es Awareness, | |
dass alle aufeinander aufpassen. Bevor es das Camp gab, waren alle | |
vereinzelter, jeder hat mit seiner kleinen Gruppe rumgehangen. Jetzt gibt | |
es größere Aktionen. Klar, ich vermisse teilweise auch das Chaotische vom | |
Anfang, das war auch irgendwie wild und geil. Aber insgesamt finde ich es | |
so schon viel angenehmer. | |
Meine Kollegin hat neulich geschrieben: Eigentlich müsste Sylt den Punks | |
dankbar sein, endlich wird die [2][Insel wieder interessant.] Hat die | |
Tourismus-Branche Ihnen schon ein Angebot für das kommende Jahr gemacht? | |
Ich glaube, die eher weniger, die wollen Fünf-Sterne-Porsche-Urlauber. | |
Unsere Aktion ging ja anfangs auch von einem Artikel in der Bild-Zeitung | |
aus: „Sylt in Angst“ stand auf dem Titel. | |
Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung … | |
Ja, das war wirklich so. Die Tourismusbranche hat hier Panik verbreitet, | |
das 9-Euro-Ticket wäre das Schlimmste für Sylt. An uns Punks hat man da | |
noch gar nicht gedacht, sondern an ganz normale Billigurlauber, die | |
[3][vielleicht kommen könnten.] Darin zeigt sich so viel klassistisches | |
Denken, so viel Abwertung gegenüber Geringverdienern. Ich glaube, es war | |
dann zuerst die APPD, die die Idee hatte, die Chaostage von Hannover nach | |
Sylt zu verlegen. Ganz viele andere Gruppen haben dann mitgemacht. Es gibt | |
aber auch viele, die einfach nur zum Partymachen vorbeikommen wollten. | |
Immer mal wieder sind Ballermann-Gruppen hier. | |
Stört Sie das? | |
Nee, gar nicht. Auch ihnen gegenüber fühle ich mich solidarisch. Sie kommen | |
ja hierher, weil gesagt wurde, sie sollen hier nicht sein. Sylt präsentiert | |
sich als Ort, an dem Reiche ihren Snob-Urlaub machen können, ohne von | |
Ärmeren belästigt zu werden. Das ist ein Symbol für eine Gesellschaft, zu | |
der wir keinen Zutritt haben. Deshalb hat es etwas Rebellisches, gerade | |
hier hineinzugehen und denen die High Society zu vermiesen, auch einfach | |
nur mit Party. Schon unsere Existenz stresst sie. | |
Ist das nicht nur ein Klischee vom abgehobenen Reichen? Sie sind jetzt | |
schon ein paar Monate hier – sind die echt so? | |
Es gibt hier auch die Nicht-Reichen, die uns sagen: Gut, dass ihr das | |
macht. Aber die andere Seite ist schon krass: Es gibt Geschäfte, die uns | |
einfach nicht bedienen. Heute Morgen war das wieder so am Gemüsestand. | |
Viele beleidigen uns, wenn sie mit ihren dicken Autos an uns vorbeifahren. | |
Den Hass gegen Arme spürt man sehr stark. | |
Wie beleidigen die Sie? | |
Das Übliche: Geht arbeiten, scheiß Zecken … Wir machen uns schon einen Spaß | |
daraus und rufen uns das selbst im Camp den ganzen Tag zu, weil das von | |
außen so allgegenwärtig ist: Ey, wascht euch mal! Das ist schon ein Running | |
Gag. | |
Galgenhumor … | |
Ja, den braucht man. Auch weil wir Angst haben: Es sind mittlerweile etwa | |
50 Nazis auf der Insel aufgeschlagen. Wir hatten am Anfang Angst, dass es | |
einen großen Angriff gibt, aber bisher waren es eher [4][Übergriffe auf | |
Einzelpersonen.] Gestern Nacht (vergangene Woche von Dienstag auf Mittwoch, | |
Anmerkung der Redaktion) war wieder jemand mit Messer im Camp. Deshalb | |
haben wir auch eine Security-Struktur. Wenn da Betrunkene rumstressen | |
wollen, versuchen wir, deeskalierend zu wirken. | |
Und wenn das nicht reicht? | |
Gestern kam die Polizei zum Glück schnell. | |
Fühlen Sie sich von der Polizei denn ernst genommen? | |
Schwer zu sagen, zum Teil schon. Klar findet man es irgendwie gut, dass die | |
Polizei wegen der Nazis patrouilliert. Aber es ist schon ein zwiespältiges | |
Verhältnis, weil sie auch gegen uns Stress machen. | |
Haben Sie denn noch Spaß an dem Camp? | |
Von den Security-Leuten gibt es durchaus Leute, die ausgebrannt sind. Auch | |
welche, die wieder abgereist sind. Ansonsten gibt es hier aber immer viel | |
Spaß. Das wollen wir mit unseren Aktionen auch. | |
Wie sehen die Aktionen im Einzelnen aus? | |
Heute ist schon wieder große Poolparty. Wir dürfen hier nicht an den | |
Strand, es sei denn, wir zahlen die vier Euro. Dagegen haben wir als Demo | |
die Poolparty im Brunnen gemacht – um darauf aufmerksam zu machen, dass der | |
Strand nur für Reiche ist. Und gestern gab es ein großes Fußballspiel. | |
Nicht auf einem Feld – wir haben dafür die Straße blockiert. Das macht | |
Spaß, ist aber auch eine Aktion, um die Straße wieder für sich zu gewinnen. | |
Sylt wird nach dem 9-Euro-Sommer nicht so bleiben wie vorher, da bin ich | |
mir sicher. | |
Was macht Sie so sicher? | |
Gestern zum Beispiel zwei ältere Akkordeon-Spieler, die hier im Sommer | |
immer auf dem Campingplatz wohnen: Die haben gesagt, es sei der erste | |
Sommer, in dem mal was los ist, und ein Konzert für uns gegeben. Auch ein | |
Geologe hat uns mal eine Führung über Sylt gegeben. Wir haben viele | |
Kontakte. | |
Aber bald sind Sie weg – und dann ist der Zauber vorbei? | |
Ich werde zurückkommen, um hier Weihnachten zu feiern. Viele wollen auch | |
langfristig hier bleiben. Das Camp werden sie neu beantragen. Und ich | |
glaube, dass wir hier sind, macht auch etwas mit dem Ort insgesamt. | |
Wie meinen Sie das? | |
Vielleicht fühlen sich viele der Reichen hier nicht mehr so wohl: Sie haben | |
hier nicht mehr ihren Reichen-safe-Space, an dem sie die Armen nicht sehen | |
müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich mehr normale Leute hierher | |
trauen, dass es bunter und gemischter wird, wie an anderen Urlaubsorten | |
auch. Vielleicht wird es auch kreativer: mehr Aktionen, mehr Kunst, mehr | |
Politik. Der Vergleich passt vielleicht nicht ganz, aber das Wendland ist | |
auch über den Protest hinaus kreativer und bunter geworden – auch als dort | |
keine Castor-Transporte mehr waren. | |
15 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Lotta Drügemöller | |
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