Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Fahrschule der Nation: Wo die alten weißen Männer wohnen
> Das Fahrschulwesen ist eine Männerdomäne, Anzüglichkeiten sind keine
> Seltenheit. Auch sonst gehört das Gewerbe nicht zu den
> fortschrittlichsten.
Bild: Am Anfang des Fahrens die Schule
In gleich zwei Fällen mussten sich Göttinger Gerichte in diesem Jahr mit
[1][grabschenden Fahrlehrern] befassen. Einer hatte vor dem
Verwaltungsgericht Göttingen dagegen geklagt, dass die Stadt ihm die Lizenz
entzogen hatte. 2017 hatten ihn zwei Fahrschülerinnen angezeigt, weil er
während der Fahrt ihre Oberschenkel betatscht hatte. Schon 2012 hatte es
ähnliche Vorwürfe gegen ihn gegeben. Strafrechtlich verurteilt wurde er
nicht, die Verfahren wurden – zum Teil unter Auflagen – eingestellt.
Die Stadt hatte ihm die Lizenz 2019 trotzdem entzogen – wegen „persönlicher
Unzuverlässigkeit“. Zu Recht, befand das Verwaltungsgericht nun, das auch
noch einmal die Ex-Fahrschülerinnen anhörte.
Erst im Januar hatte ein ähnlicher Fall vor dem Amtsgericht Göttingen für
Kopfschütteln gesorgt. Er sei sich „gar keiner Schuld bewusst“, hatte der
57-jährige Fahrlehrer aus Göttingen zu Beginn seines Prozesses noch getönt.
Er habe immer ein total freundschaftliches Verhältnis zu seinen
Fahrschülern gehabt, und „Mäuschen“ nenne er seine Enkelkinder ja
schließlich auch.
Erst als die Staatsanwaltschaft immer mehr ehemalige Fahrschülerinnen als
Zeuginnen aufmarschieren ließ, die davon erzählten, wie unangenehm es
gewesen sei, wenn er den Sitz richtig eingestellt oder mit der Hand auf dem
Oberschenkel beim Gasgeben „nachgeholfen“ hat, als außerdem auch noch zwei
seiner ehemaligen Arbeitgeber zur Aussage geladen wurden, da dämmerte dem
Mann, das er mit dieser Wahrnehmung ziemlich allein dasteht. Und dass es
vielleicht nicht die beste Idee war, dem Strafbefehl zu widersprechen und
es auf einen öffentlichen Prozess ankommen zu lassen.
Das Urteil: zehn Monate auf Bewährung und 4.000 Euro Geldstrafe, zu zahlen
an das Göttinger Frauenhaus. Für insgesamt 33 Fälle von sexueller
Belästigung im Fahrschulwagen zwischen März 2018 und September 2020.
Außerdem kassierte die Stadt Göttingen auch hier die Fahrlehrerlizenz.
Das sind sicherlich extreme Einzelfälle. 44.203 „registrierte
Fahrlehrerlaubnishalter“ wie es im Amtsdeutsch heißt, verzeichnet das
Statistische Bundesamt für 2019. Nirgendwo erfasst ist, wie viele davon
sich schon solchen Vorwürfen stellen mussten. Und trotzdem beschleicht
einen kurz dieses dumpfe Gefühl: Ist es das? Die nun wirklich letzte
Branche, die auch noch ihren #MeToo-Moment erlebt, die letzte Bastion, die
fällt?
## Schon ein spezielles Geschäft
Es ist jedenfalls ein schon sehr spezielles Geschäft, dieses
Fahrschulbusiness. Wem auch immer ich von den kuriosen Göttinger
Einzelfällen berichte, der spuckt umgehend eigene Anekdoten zu diesem Thema
aus. Und zwar erstaunlich unabhängig von Alter und Geschlecht. Und in zwei
von drei Fällen sehen die Fahrlehrer dabei nicht gut aus. Ganz oben auf der
Liste: sexistische und rassistische Sprücheklopferei wie „Frau am Steuer,
das wird teuer“, „Die Kopftuchmutti mache ich nicht, Kollege, die musst du
nehmen“, „Vor dem Asylantenheim nie bremsen, immer Gas geben“.
Nun könnte es sein, dass unter Fahrlehrern das gleiche Phänomen auftritt
wie unter sonstigen Lehrern: Jeder hat etwas dazu zu sagen, und natürlich
werden eher die gruseligen Anekdoten weitergetragen als die positiven.
Anders als im Schuldienst liegt der Frauenanteil in der Fahrschulbranche
allerdings erst seit Kurzem knapp über 10 Prozent. Und noch etwas hat die
Tonart dort sehr geprägt: Bis in die 2000er Jahre hinein rekrutierten sich
weite Teile der Fahrlehrerschaft aus ehemaligen Bundeswehrsoldaten.
Das liegt unter anderem daran, dass der Einstieg in diesen Beruf ziemlich
kostspielig ist. Bis zur Reform des Fahrlehrergesetzes 2018 musste man alle
Führerscheinklassen – Pkw, Motorrad und Lkw – schon vorweisen, um mit der
Ausbildung überhaupt anfangen zu dürfen. Die Ausbildung an einer der
zugelassenen „Fahrlehrerausbildungsstätten“ kostet auch noch einmal mehrere
Tausend Euro – mit 10.000 bis 15.000 Euro insgesamt rechnen die meisten,
wobei die Preise je nach Region etwas variieren.
## Keine Großverdiener
Dabei gehörte man auch danach nicht unbedingt zu den Großverdienern: Auf
2.837 Euro brutto im Monat beziffert der [2][Branchenverband Moving] das
Mediangehalt für Fahrlehrer im Jahr 2019 – das mittlere Einkommen von
Vollzeitangestellten quer durch alle Berufsgruppen lag dagegen bei 3.401
Euro brutto.
Gleichzeitig sind die Arbeitszeiten alles andere als familienfreundlich:
Die ersten Fahrten finden oft schon morgens um 7 Uhr vor der Schule statt,
ansonsten aber lieber nachmittags und am Wochenende, Theorieunterricht am
Abend, dazu das vorgeschriebene Kontingent an Nachtfahrten. Kein Wunder
also, dass die Branche eher hartgesottene Kerle anzieht, bei denen die
Work-Life-Balance nicht ganz oben auf der Liste steht und die Liebe zu
Motoren oft größer ist als die zur Pädagogik.
„Meine Methode heißt LDS – lernen durch Schmerzen“, röhrte einer meiner
Fahrlehrer gern. Im Theorieunterricht erzählte er bevorzugt Anekdoten aus
seiner Bundeswehrzeit. Die ganzen 17-Jährigen vor mir fanden das super und
wendeten einfach weiter eine Strategie an, die sie aus der Schule kannten:
Bring den Alten zum Labern, dann kannst du dich zurücklehnen. Mich störten
die verlorene Zeit und das verschwendete Geld; den Lernstoff musste man
sich dann ja zu Hause selbst noch reinprügeln.
Ich war deutlich älter als die anderen und stand unter Druck: Ich brauchte
den verdammten Lappen für einen Job, den ich demnächst antreten sollte – im
Vorstellungsgespräch hatte ich verschwiegen, dass ich den in der
Stellenausschreibung ausdrücklich geforderten Führerschein (noch) gar nicht
besaß. Es hatte auch niemand nachgefragt. Wer hat denn schon mit Ende 20
keinen Führerschein?
Mittlerweile hat sich der Beginn der Fahrausbildung nach hinten verschoben.
Doch damals fanden die Fahrlehrer (ich hatte insgesamt drei) mich seltsam
und brüllten einfach noch ein bisschen lauter. Irgendwann bekam ich die
Magenschmerzen, Schweiß- und manchmal auch Tränenausbrüche schon, wenn ich
einen Fahrschulwagen von Weitem sah.
Es gab aber auch Missverständnisse, die – mit Abstand betrachtet – zum
Brüllen komisch waren. Ich erinnere mich, wie Fahrlehrer Nummer eins neben
mir puterrot anlief und spuckte, als er immer wieder brüllte: „Motor bremst
mit! Motor bremst mit! Motor bremst mit!“, während ich verzweifelt das
Lenkrad umklammerte, mit dem rechten Fuß noch härter auf die Bremse
latschte und mich fragte, was zum Teufel ich nun schon wieder falsch
machte.
Er hätte mir ja auch einfach sagen können, dass ich den linken Fuß von der
Kupplung nehmen soll. Aber er kam gar nicht auf die Idee, dass er zu viel
technisches Verständnis voraussetzte. Er glaubte ja auch, dass eigentlich
jeder schon mit zwölf heimlich auf dem Feldweg fahren übt.
Es ist aber nicht so einfach, auf die alten Haudegen in einer Branche zu
verzichten, die schon lange vor Corona über Fachkräftemangel klagte: 34,6
Prozent der Fahrlehrer sind über 60.
## Anders machen
Zu denen, die es anders machen wollen, gehört Daniela „Dani“ Facius. Die
33-Jährige ist seit elf Jahren Fahrlehrerin, weil sie das schon als
Schülerin unbedingt wollte. Da man dazu aber schon eine Ausbildung
vorweisen muss, jedenfalls wenn man einen Realschulabschluss hat, lernte
sie erst einmal Zahnarzthelferin und machte nebenbei ein Praktikum in der
Fahrschule, wo sie selbst das Fahren gelernt hatte.
Jetzt arbeitet sie für eine Fahrschule im Speckgürtel Hannovers, aber in
den ersten Jahren hat sie fast jedes Jahr den Arbeitgeber gewechselt,
erzählt sie: „Es gab da halt immer mal wieder ein besseres Angebot. Und
manchmal hat es auch mit den Chefs nicht gepasst.“
Die Sollbruchstellen: Streit wegen Überstunden und Dauerverfügbarkeit und
unterschiedlicher Vorstellungen vom Theorieunterricht. „Ich will, dass
Leute mitdenken und verstehen und nicht bloß auswendig lernen – viele
Kollegen der alten Schule bewerfen die Schüler mit Paragrafen und
technischen Details und wundern sich dann, dass nix hängen bleibt.“
Es hat viele Veränderungen gegeben in den letzten Jahren: Simulatoren und
Apps halten Einzug, die Umrüstung auf E-Fahrzeuge ist ein großes Thema.
Doch jeder einzelne Fortschritt ist ein zäher Prozess in einer Branche, die
aus zahlreichen, störrischen Einzelunternehmern besteht und über mehrere
untereinander zerstrittene Branchenverbände gern in verschiedene Richtungen
lobbyiert.
So gab es in der Coronapandemie Sonderverordnungen, mit denen der
Theorieunterricht auch digital möglich gemacht werden sollte. Einige fanden
Gefallen daran, die Fahrschüler sparen sich weite Anfahrten, der
Personaleinsatz lässt sich flexibler gestalten.
Das Verkehrsministerium unter Volker Wissing glaubte prompt, man könnte
diesen Digitalschub doch verstetigen. Doch die Branche wehrte sich.
Der Branchenverband Moving, die Deutsche Fahrlehrer Akademie und die
Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände gaben ein Gutachten bei Manfred
Spitzer in Auftrag. Das ist ungefähr so, als würde man beim Papst ein
Gutachten zur Homo-Ehe in Auftrag geben. Spitzer, Neurowissenschaftler und
Psychiater, tingelt seit Jahren mit wissenschaftlich umstrittenen Thesen
aus seinen Bestsellern [3][„Digitale Demenz“] und „Cyberkrank“ durch die
Talkshows.
Er kam wie erwartet zu dem Schluss, dass digitaler Theorieunterricht die
Verkehrssicherheit auf deutschen Straßen massiv gefährden würde. Da nutzte
es auch nichts, dass Umfragen unter Fahrschülern ergaben, dass diese sich
am ehesten eine Mischung aus digitalem und Präsenzunterricht wünschten. Die
neue Prüfungsverordnung sieht jetzt wieder Präsenzunterricht als Normalfall
vor und erlaubt digitalen Unterricht nur in absoluten Ausnahmefällen.
Dieses Auseinanderklaffen der Wünsche und Mentalitäten zwischen
Fahrlehrenden und Fahrlernenden ist auch an anderen Stellen zu beobachten:
Die Fahrzeuge in den Fahrschulen werden immer größer und moderner, doch die
Führerscheinneulinge fahren dann doch eher den gebrauchten, zehn Jahre
alten VW Polo ohne Einparkhilfe.
„Ja, da haben manche schon Probleme, sich umzustellen. Aber bei den
Fahrschulautos geht es halt eher nach den Wünschen der Fahrlehrer. Wenn ich
acht Stunden am Tag in der Kiste sitze, möchte ich eben auch Platz haben
und bequem sitzen. Und natürlich ist das irgendwie Werbung für die
Fahrschule“, sagt Facius achselzuckend.
Wie die älteren Kollegen hängt auch sie am guten alten Verbrennermotor.
Über Elektroautos spricht sie zuallererst davon, unter was für grässlichen
Bedingungen die Batterien produziert würden, und dann davon, dass die
Ladezeiten nicht in den Fahrschulalltag passten und die Reichweite für jede
Fahrt in den Urlaub zu gering wäre.
Im Branchenmonitor von Moving geben 71 Prozent der Fahrschulinhaber an,
weiterhin in Dieselfahrzeuge investieren zu wollen, lediglich 3 Prozent
auch in E-Fahrzeuge.
Auch in der Haltung zur Fahrausbildung ist ein wachsendes Fremdeln zwischen
Lehrenden und Lernenden spürbar. „Diese Jugendlichen haben heutzutage
tausend andere Dinge im Kopf, ständig sagen sie Termine ab, die
Fahrausbildung dauert immer länger, die lernen nix, beschweren sich nachher
aber, wenn sie durchfallen“, schimpft ein Fahrschulinhaber, der seinen
Namen lieber nicht genannt haben möchte.
## Keine große Freiheit mehr
Auch Daniela Facius stellt fest: „Die wollen das nicht mehr so unbedingt
wie ich damals. Das ist nicht mehr so, dass der Führerschein die große
Freiheit bedeutet. Die werden ja überall hingefahren. Die machen das, weil
die Eltern sagen: Du machst das jetzt.“
Zeitweise habe sie sogar mit den Müttern über die Terminvereinbarungen
verhandeln müssen. „Ich verweigere das mittlerweile. Ich sage denen: Wenn
Ihr Kind damit überfordert ist, seine Termine selbst zu koordinieren, dann
darf es auch keinen Waffenschein machen. Das ist ein Auto nämlich auch:
eine tödliche Waffe. Ich möchte, dass Sie das ernst nehmen.“
Oder bekommt der Fahrunterricht allmählich den gleichen Stellenwert wie
Konfirmationsunterricht oder Tanzstunden? Etwas, das man in einem
bestimmten Alter macht, eines dieser Rituale am Übergang ins
Erwachsenenalter, aber wenn man es lässt, ist es auch nicht schlimm?
Die Anmeldezahlen deuten nicht darauf hin. Dabei ist ein Führerschein alles
andere als billig: Derzeit kostet er inklusive aller Gebühren im
Durchschnitt 2.182 Euro.
25 Aug 2022
## LINKS
[1] /Sexualisierte-Gewalt-in-der-Fahrschule/!5819128
[2] https://www.moving-roadsafety.com/
[3] /Buch-Digitale-Demenz/!5085881
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Lesestück Recherche und Reportage
Auto
Führerschein
Sexuelle Übergriffe
IG
Universität Göttingen
Schwerpunkt #metoo
Verkehr
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
50 Jahre Buchladen Rote Straße: Bücher fürs Revolutionäre
Der Buchladen Rote Straße in Göttingen feiert Jubiläum. Vor 50 Jahren
gegründet, handelt es sich um die älteste linke Buchhandlung der Republik.
Sexualisierte Gewalt in der Fahrschule: In der Falle
Emma wurde von ihrem Fahrlehrer sexuell belästigt. Ein strukturelles
Problem: Der geschlossene Raum ohne etwaige Zeug:innen begünstigt
Übergriffe.
Prüfungsstau bei Fahrschulen: Im Schrittempo
In ganz Berlin warten FahrschülerInnen schon Monate darauf, ihre Prüfungen
absolvieren zu können. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Lübecker Projekt zum Auto-Ausstieg: Tausche Lappen gegen Ticket
Die Stadt Lübeck bietet BürgerInnen, die ihren Führerschein abgeben, ab
Januar 2022 ein Jahresabo für den Stadtverkehr gratis an.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.