# taz.de -- Hamburger Ausstellungsort „Parabel“: Ein Zuhause für verkannte… | |
> Im einer umgenutzten Hamburger Kirche entsteht ein Ausstellungszentrum | |
> für die lokale Kunst. Initiiert hat „Parabel“ die Kunstsammlerin Maike | |
> Bruhns. | |
Bild: Wird Ausstellungs- und Forschungszentrum: St. Nikodemus-Kirche samt Gemei… | |
HAMBURG taz | Es ist eine bizarre Fehleinschätzung: die eigene, das heißt | |
lokale Kunst- und Kulturproduktion geringer zu schätzen als die von | |
anderswo. Die ihrerseits zu Hause nur wenig gilt und in der Ferne viel. | |
Vielleicht hat es mit einem starren Solidaritätsbegriff à la „Niemand darf | |
herausragen“ zu tun? Vielleicht mit Oberflächlichkeit nach dem Motto: Wir | |
wollen international strahlen – was kümmern uns da die Kulturschaffenden | |
von hier? | |
So, in etwa, müssen Hamburgs Kaufleute, Privatiers, Sammler und | |
Ausstellungsmacher jahrzehntelang gedacht haben – und tun es teils noch | |
heute. Die örtlichen Ausstellungshäuser kaufen Hamburger Kunst zwar an, | |
weil es zu ihrem Auftrag gehört, stellen sie aber selten aus: zu unbekannt, | |
zu wenig tourismuskompatibel die Namen. „So zu denken ist ja auch legitim“, | |
sagt [1][Maike Bruhns]. „Aber das rechtfertigt nicht, dass Hamburger Kunst | |
seit vielen Jahren in den Depots liegt. Einen Ausstellungsort speziell für | |
Hamburger Kunst gibt es in dieser Stadt bis heute nicht.“ | |
Einen solchen Ort will die 81-jährige Kunsthistorikerin und Sammlerin nun | |
schaffen. Bruhns weiß, wovon sie spricht: In den 1980er-Jahren war sie eine | |
der ersten, die sich in ihrer Promotion mit der jüdischstämmigen Malerin | |
[2][Anita Rée] befasste. Diese in der Weimarer Republik hoch dekorierte | |
neosachliche Künstlerin hatte 1919 die KünstlerInnenvereinigung | |
„[3][Hamburgische Secession]“ mitgegründet und deren Stil maßgeblich | |
geprägt. 1933 nahm sich Rée das Leben – unklar, ob aus politischen oder | |
psychischen Gründen. | |
Im Zuge ihrer Recherchen fiel Bruhns damals auf, „dass Hamburger Kunst in | |
der Nazi-Zeit nirgends systematisch bearbeitet war. Das fand ich angesichts | |
der vielen tragischen Künstlerschicksale sehr ungerecht.“ Also habe sie | |
sich beim damaligen Bürgermeister einen Forschungsauftrag „erbettelt“ und | |
befasste sich mit weiteren Secessions-KünstlerInnen: Rolf Nesch, Karl | |
Kluth, Wilhelm Grimm, Gretchen Wohlwill. | |
2001 gab sie die beiden Bände „Kunst in der Krise“ über die Geschichte | |
Hamburger Kunst im „Dritten Reich“ heraus. Die Hamburgische Secession etwa | |
war so selbstbewusst wie gefährdet: Ihre regimekritische | |
Frühjahrsausstellung 1933 wurde von den NS-Machthabern als | |
„kulturbolschewistisch“ geschlossen. Auf die Anweisung hin, alle jüdischen | |
Mitglieder auszuschließen, löste sich die Gruppe dann im Mai 1933 auf. | |
All dies war weder weithin bekannt noch systematisch aufgearbeitet. | |
„Hamburger Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ist in ihrer Vaterstadt seit | |
1945 noch immer unterbewertet und oft als zweitrangig angesehen“, sagt | |
Bruhns, „obwohl sie qualitativ eigenständig und charaktervoll ist.“ In der | |
Tat: Rolf Nesch kann sich durchaus mit Edvard Munch messen, und Gretchen | |
Wohlwilll mit Max Liebermann, wie eine von Maike Bruhns mit verantwortete | |
Ausstellung 2019 in der Hamburger Kunsthalle bewies. | |
Aber auch diese [4][wenigen Schlaglichter] änderten nichts daran, „dass | |
immer wieder bedeutende KünstlerInnen aus Hamburg nach Berlin, München, | |
Halle abwandern, wo sie besser gefördert werden“, sagt Maike Bruhns. „Dass | |
Hamburger Sammlungen und Nachlässe oft in andere Orte gegeben werden, weil | |
ihre Besitzer sie dort als besser gewürdigt empfinden.“ | |
Mit Maike Bruhns’ eigener Sammlung wird das nicht passieren: 2.500 Gemälde, | |
Skulpturen, Grafiken, Materialbilder von 350 Hamburger KünstlerInnen vom | |
Ersten Weltkrieg bis heute hat sie seit Beginn ihrer Promotionsrecherche | |
zusammengetragen – Arbeiten von Verfemten und Verfolgten, von linken | |
KünstlerInnen und solchen im Exil. „Immer, wenn mir etwas gezeigt wurde, | |
unter dem Sofa, hinter dem Schrank, im feuchten Keller, habe ich es | |
erworben“, sagt sie. Oft habe sie sich auch Vernissage-Reden mit Kunst | |
bezahlen lassen. „Das ist in Kunsthistorikerkreisen so üblich, weil | |
Künstler erfahrungsgemäß oft nicht viel Geld haben.“ | |
Erforscht und dokumentiert sind ihre Bestände inzwischen gut: Im | |
vergangenen Jahr hat Maike Bruhns ein Werkverzeichnis herausgegeben und die | |
Sammlung in eine Stiftung überführt. Aber was nun damit tun? Wie lässt sich | |
diese Kunst öffentlich zugänglich machen, wie die Forschung vorantreiben? | |
Fünf Jahre lang hat Maike Bruhns nach einem Ort gesucht und ist nun fündig | |
geworden: In der denkmalgeschützten, kürzlich entwidmeten | |
St.-Nikodemus-Kirche im Stadtteil Ohlsdorf, mitsamt Kita und Gemeindehaus | |
erbaut zwischen 1953 und 1963. Hier soll „Parabel“ entstehen, ein Zentrum | |
für Kunst in Hamburg: Nach einigen Umbauten sollen ab 2023 drei bis vier | |
Ausstellungen jährlich stattfinden, bestückt – auch, aber nicht nur – aus | |
Maike Bruhns’ Sammlung. | |
Die GmbH, die den Ort betreibt, hat das Ensemble Nikodemus, das nach wie | |
vor der Kirchengemeinde gehört, in 99-jähriger Erbpacht übernommen. Die | |
Kita wird bleiben, 2024 endet aber der Mietvertrag der Evangelischen | |
Stiftung Alsterdorf für das Gemeindehaus. Dann soll dort eine große | |
kunsthistorische Fachbibliothek hinein, bestückt aus Bruhns’ eigener | |
Bibliothek sowie jener von Claus Mewes. Der langjährige Chef des | |
[5][Hamburger Kunsthauses] wird in Ohlsdorf Geschäftsführer und Kurator. | |
Im Rahmen jeweils zu vergebender Projektaufträge werde sich das neue | |
Forschungszentrum „mit der jüngeren und jüngsten Kunstgeschichte Hamburgs | |
und den Lücken in ihrer wissenschaftlichen Darstellung befassen“, sagt | |
Maike Bruhns. „Für mich persönlich ist immer die Überschneidung von Kunst | |
und Geschichte am wichtigsten gewesen: wenn Kunst nicht nur Dekoration an | |
der Wand ist, sondern Stellung nimmt zum Zeitgeschehen.“ | |
Das wird das neue Zentrum unweit des Haupteingangs des Ohlsdorfer Friedhofs | |
zweifellos. Und zwar aus dem für die Stadt so typischen Bürgerengagement | |
heraus, das häufig kompensieren muss, was der Staat versäumt. Vor Jahren | |
hat Maike Bruhns in Eigenregie das „Archiv für Verfolgte Kunst“ am | |
Warburg-Haus gegründet, auch das neue Forschungszentrum initiiert sie als | |
Privatier. „Dass wir von der Stadt gefördert werden“, sagt sie, „erschei… | |
uns nach unseren bisherigen Erfahrungen wenig wahrscheinlich.“ | |
17 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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