# taz.de -- Die Sammlung des Hausmeisters: Der verschwiegene Herr Werner | |
> 1937 versteckte der Hausmeister der Hamburger Kunsthalle sieben | |
> "entartete" Bilder und brachte sie nach 1945 heimlich zurück. Wilhelm | |
> Werner war kein Widerstandskämpfer, aber ein Freund der Künstler. Jetzt | |
> wird seine Sammlung ausgestellt. | |
Bild: Auf halbem Weg zur Abstraktion: Heinrich Stegemanns "Blankenese im Winter… | |
Die Mutigen, das sind oft nicht die Lauten. Nicht diejenigen, die edel | |
sind, damit man sie lobe. Die eloquent Briefe, Memoiren oder druckreife | |
Bekenntnisschriften hinterlassen. Solche gibt es auch, aber mindestens so | |
respektabel sind jene, die ethisch handeln und schweigen - auch dann noch, | |
wenn die Gefahr längst vorüber ist. | |
Wilhelm Werner ist so einer: Ein zurückhaltender Mensch sei er gewesen, der | |
Hausmeister der Hamburger Kunsthalle von 1914 bis 1952, sagen seine Enkel. | |
Und das sagt auch Ulrich Luckhardt, Kurator an der Kunsthalle, der die | |
Ausstellung "Die Sammlung des Hausmeisters Wilhelm Werner" konzipiert hat. | |
Werners 500 Blätter umfassendes Konvolut, von dem nun 130 gezeigt werden, | |
enthält auch ein Stillleben von Anita Rée, jener jüdischen Künstlerin, die | |
sich 1933 das Leben nahm - nicht nur, aber auch wegen der Diskriminierung | |
durch das NS-Regime. | |
Insgesamt sieben Gemälde Rées besitzt die Hamburger Kunsthalle, erworben | |
zwischen 1915 und 1930. Die Kommissionen aber, die das Haus im Jahre 1937 | |
gleich zweimal nach "entarteter Kunst" absuchten, fanden sie nicht. Und so | |
war auch keines der Bilder auf der berüchtigten Münchner Ausstellung zu | |
sehen. | |
Nach 1945 dann lagerten die Rée-Bilder wieder im Kunsthallen-Depot. | |
"Mitarbeiter haben später gesagt, dass sie nur Wilhelm Werner versteckt | |
haben kann", sagt Luckhardt. Werner habe sie wohl entfernt, als die | |
Kommissionen kamen, in seine Dienstwohnung gebracht - und nach dem Krieg | |
heimlich wieder zurück. | |
Juristisch habe Werner dabei "nicht einmal einen Diebstahl begangen", sagt | |
Luckhardt. "Die Bilder blieben ja auf dem Gelände der Kunsthalle." Genauer: | |
Im Souterrain des Hauses, unterm Bett und im Schrank in der Dienstwohnung, | |
die Werner mit Ehefrau und Tochter bewohnte. | |
Die gibt es im Prinzip bis heute: Neben dem Hubertus-Wald-Forum ist die | |
Tür, neben der einst eine Bank auf einem kleinen Rasenstück stand, wie ein | |
Foto zeigt. Niedrige Decken haben die längst nicht mehr zum Wohnen | |
genutzten Räume, einige davon sind heimelig gewölbt. | |
Der genaue Grundriss der Wohnung lässt sich laut Luckhardt aber nicht mehr | |
rekonstruieren, dafür sei in den vergangenen Jahrzehnten zu viel umgebaut | |
worden. Mobiliar von damals ist da auch nicht mehr, nur noch ein schöner | |
weißer Ofen. | |
Werner habe die Bilder vor dem Zugriff der Nazis bewahrt, sagt Kurator | |
Luckhardt. "Eine mutige Tat." Aber warum riskierte der Betriebsleiter ohne | |
Not derart viel? "Werner nahm Freundschaften sehr wichtig", sagt Luckhardt, | |
"für solche Menschen tat er gern mehr, als er musste." Freundschaften zu | |
Künstlern entstanden in der Kunsthalle offenbar ganz unkompliziert: Werner | |
war nicht nur an den Hängungen der Bilder beteiligt, sondern fertigte als | |
gelernter Tischler auch Rahmen - und hierin liegt die Verbindung zu den | |
Künstlern, deren Bilder er sammelte. | |
Zu seinen engsten Vertrauten zählten Willem Grimm, Heinrich Stegemann, | |
Fritz Flinte und Eduard Hopf. Von ihnen stammen auch die meisten Blätter | |
seiner Sammlung. | |
Flinte und Grimm waren Mitglieder der seit 1919 bestehenden "Hamburger | |
Sezession". Die teils expressionistischen, teils neusachlichen | |
Sezessions-Mitglieder galten zwar nicht als Avantgarde, zählten teilweise | |
aber - etwa Willem Grimm - zu den damals bedeutendsten Hamburger Künstlern. | |
Sie alle stellten unter anderem in der Kunsthalle aus, wo sie auf Wilhelm | |
Werner trafen. Er half ihnen - und die Künstler, oft mittellos, bedankten | |
sich, indem sie Bilder schenkten. Werner, der sich weder Luxus noch Reisen | |
gönnte, schlug keinerlei Profit aus den so erhaltenen Bildern. Nie offenbar | |
hätte er in Erwägung gezogen, Werke zu verkaufen. "Die Enkel sagen, die | |
Sammlung war sein Leben", sagt Luckhardt. | |
War Werners Tun ein Akt des Widerstands? Fotografisch überliefert ist, dass | |
auf seinem Tisch ein Hitler-Porträt stand, und NSDAP-Mitglied war er auch. | |
"Das stimmt", sagt Luckhardt, "aber er trat erst 1937 ein, als alle | |
öffentlich Bediensteten es tun mussten. | |
Andernfalls hätte er Job und Rentenanspruch verloren." Und das habe er | |
seiner Familie gegenüber wohl nicht verantworten wollen. "Außerdem: Was | |
konnte eine perfektere Tarnung für das Bilderversteck sein, als ein | |
Hitler-Foto auf dem Tisch?" | |
Wie gut Werner mit Anita Rée bekannt gewesen sei, ist Luckhardt zufolge | |
unklar. Bei dem Stillleben Rées in seiner Sammlung dürfte es sich | |
vermutlich um eine Gegenleistung für handwerkliche Hilfe gehandelt haben. | |
Und aufgrund des damaligen politischen Klimas habe er die Bilder wohl in | |
Gefahr gesehen, mutmaßt Luckhardt. | |
Zum Kunstinteressierten habe Werner wohl erst seine Arbeit gemacht - so wie | |
es auch im Falle von Helmut Rausch war, dem ehemaligen Hausmeister des | |
Frankfurter Portikus, dessen Sammlung kürzlich zu sehen war. | |
Insgesamt 500 Blätter hat Werner zusammengetragen. Meist sind es - mäßig | |
abstrakte - Stillleben, Landschaften und Porträts, die von den | |
impressionistischen Anfängen Fritz Flintes über Expressionistisches bis zu | |
Rayonistischem reichen. | |
Die Hamburger Ausstellung nun, teils in Künstler-, teils in | |
Themenkabinetten präsentiert, lässt sich als kleine Geschichte der | |
örtlichen Kunst von den 1920er bis 1950er Jahren lesen. | |
Sehr genau kann man etwa bei Heinrich Stegemann sehen, wie er sich vom Im- | |
zum Expressionismus vorarbeitet, wie Heuschober und Strandkörbe zu | |
abstrakten Kuben werden. Auch Spuren der Delaunays und von Marc lassen sich | |
finden. | |
So hat Werner, der ja Laie war, es immerhin geschafft, wichtige Strömungen | |
der hamburgischen Kunst zusammenzutragen, insbesondere der Sezession. Deren | |
Stilmerkmal wurde eine Malerei, die sich an den organischen Landschaften | |
Edvard Munchs orientierte: Sie spiegeln sich etwa in Hopfs und Grimms | |
Arbeiten - ohne allerdings, dass diese ihre Vorbilder weiterzuentwickeln | |
verstanden hätten. | |
Wobei auch zu bedenken ist, dass Maler dieser Generation es nicht leicht | |
hatten: Grimm - er zählt zur zwischen die Weltkriege geratenen | |
"Verschollenen Generation" - und Hopf wurden zur Wehrmacht eingezogen. | |
Stegemanns gesamtes Werk verbrannte bei einem Bombenangriff, Flinte verlor | |
große Teile. | |
Als "hochkarätig" mag Kurator Luckhardt die Ausstellung nicht bezeichnen. | |
In Bezug auf Hamburger Malerei weise sie aber "durchaus Spitzen" auf. Den | |
Fluchtpunkt, auf den sie zuläuft, hat aber die Kunsthalle selbst | |
hinzugefügt: ein Selbstbildnis Rées, das der Hausmeister rettete. | |
Werner schwieg zu Lebzeiten übrigens konsequent; dieses Schweigen brach | |
erst nach seinem Tod im Jahr 1975 seine Frau Anna. Eine | |
Kunsthallen-Ausstellung über Kunst unter dem Hakenkreuz in den 1980er | |
Jahren erwähnte seine Taten erstmals auch gegenüber der Öffentlichkeit. | |
Bescheidenheit ist, was den Großvater mit seinen Enkeln verbindet: Werners | |
Sammlung hängt, ganz unspektakulär, bei ihnen daheim. Und sie selbst | |
scheuen jedes Rampenlicht. | |
27 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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