# taz.de -- "Verlorene Generation": Dokumente des Ungesagten | |
> Das Hamburger Kunsthaus zeigt Werke aus der Zeit zwischen 1920 und 1950. | |
> Sie dokumentieren die Brüche einer zwischen die Kriege geratenen | |
> Generation. | |
Bild: Hellsichtig: Hella Jacobs "Gas", 1930. | |
HAMBURG taz | Da ist sie! Kraftvoll reckt sie sich, tanzt wie Chagalls | |
Moses, als wolle sie die Gesetzestafeln zertrümmern in einem Anfall jähen | |
Zorns. Als wolle sie Fesseln sprengen, die sie ans Irdische, | |
Althergebrachte, an den Alltag – und ans Politische schmieden, mit dem sie | |
überhaupt nichts zu tun haben will. | |
Die kraftvolle Tänzerin ist eins der stärksten Bilder der aktuellen | |
Ausstellung im Hamburger Kunsthaus, das sich mit Hamburger Kunst von 1920 | |
bis 1950 befasst. Gemalt hat es Annemarie Ladewig, die im April 1945 von | |
den Nazis im KZ Neuengamme erhängt wurde – wegen angeblichen Widerstands. | |
„Nachtmahre und Ruinenengel“ heißt die 80 Exponate fassende Ausstellung, | |
die die Hamburger Kunsthistorikerin Maike Bruhns bestückt hat. Bruhns | |
erforscht und sammelt seit 30 Jahren Hamburger Kunst zwischen 1920 und 1950 | |
und hat aus insgesamt 1.800 Stücken jene herausgesucht, die jetzt im | |
Kunsthaus hängen. | |
## Jäh beendete Biografien | |
Aber wie soll man ein solches Unterfangen angehen: eine Künstlergeneration | |
zu präsentieren, die derart zwischen die Zeiten geriet? Die dem Stil der | |
Vorkriegszeit verpflichtet war, die aber nach 1945 wegen des neuen | |
Abstraktions-Diskurses nicht mehr viel zu melden hatte? Soll man ihre | |
Bilder ohne Jahreszahl aufhängen, um nicht unbedacht in „modern“ und | |
„unmodern“ zu unterteilen? Und stimmt es, dass sich solch eine Wertung | |
verbietet, angesichts der Tragik der teils jäh beendeten Biografien der | |
„verlorenen Generation“? | |
Am besten ist es, vorurteilsfrei hineinzugehen und die Ausstellung als das | |
zu begreifen, was sie ist: ein synoptisches Nebeneinander von Stilen, auch | |
ein Zeugnis des Eingriffs des Politischen ins Private. Und sie ist eine | |
Chronologie der Vereinnahmung durch die Nazi-Diktatur, denn Kunst dieser | |
Epoche kann nicht gedacht werden ohne das Politische. „Gas“ heißt zum | |
Beispiel ein Bild, das Hella Jacobs 1930 malte. Es antizipiert die Suizide | |
etlicher damals Verfolgter. Die Jüdin Anita Ree, deren berühmte „Filomena | |
Stupefatta“ im Kunsthaus hängt, ist ein Beispiel hierfür. 1933 beging sie | |
auf Sylt Suizid. Da war sie schon längst nicht mehr in der Hamburger | |
Secession, die sich selbst aufgelöst hatte, weil sie die jüdischen | |
Mitglieder nicht ausschließen wollte. Einige stellten noch eine Zeit lang | |
im jüdischen Künstlerbund aus, bevor auch er 1938 geschlossen wurde. | |
Manche versuchten, durch Camouflage zu überwintern, und malten plötzlich | |
Winterlandschaften: karge Motive mit tiefschwarzem Himmel und | |
Friedhofs-Ödnis. Parabeln auf das politische Desaster in Nazi-Deutschland. | |
Andere emigrierten nach innen und malten heimlich weiter ihre Karikaturen | |
wie Harry Behr, der dokumentiert, wie Gängeviertel-Bewohner | |
NS-Demonstranten mit Steinen bewerfen. Ein seltenes Blatt, weil die | |
Künstler meist kurz vor den häufigen Durchsuchungen ihre Blätter | |
verbrannten. | |
Die Hamburger Schau zeigt, was übrig blieb und bewahrt so historisches | |
Gedächtnis. Sie ist damit eine kleine Lehrstunde, und das nicht nur | |
bezüglich der Vorkriegszeit: Auch mitten drin – während des Feuersturms auf | |
Hamburg 1943 – waren Maler dabei. August Lange-Brock hat wenige Stunden | |
danach gezeichnet: Schreiende, Fallende, Brennende. Eilig hingestrichene | |
Kohlezeichnungen, hoch intensiv. | |
Eduard Hopf malte die Klaustrophobie des Bunkers: Wie Masken sehen die | |
Köpfe aus, die im Keller vor Angst irre werden – ein bisschen Ensor, eine | |
Prise Munch. Daneben die aneinander gepressten Zwangsarbeiter vor dem | |
Bunker: Sie durften während der Bombenangriffe nicht hinein und wurden | |
scharf bewacht. Im selben Bunker lagerten derweil Bilder aus Hamburgs | |
Kunsthalle: Die waren sicher, die Menschen nicht; das Bild selbst gehört zu | |
den Geretteten, diejenigen, die es abbildet, überlebten wohl nicht. | |
Und ohne es zu wollten, gerät man in eine empathische Rezeption hinein, in | |
ein authentisches Erfassen des gemalten Augenblicks, der das Zeit-Leck | |
ersatzlos abdichtet. Da wäre zum Beispiel das Gefangenenmeer auf dem | |
surreal-düsteren Bild von Reinhold Zulkowski. Eine Eisläuferin tanzt da vor | |
einer grauen Meute, im Hintergrund der Wachturm eines KZ: Ein solches Bild | |
gibt den Insassen ihre Würde zurück und erlöst sie kurz aus der | |
Unsichtbarkeit. Und man ahnt, dass dies nur ein Promille jener Geschichten | |
auch aus dem Inneren der KZ ist, die nie erzählt wurden – und dass es | |
möglich war, sie künstlerisch zu überformen, ohne sie zu abstrahieren. Eine | |
surreale Emotionalität entsteht hier – oder soll man es surrealen | |
Dokumentarismus nennen? | |
## Hinter Plappermasken | |
An andere Stelle geht es schlicht um Mut: Friedrich Wield entschloss sich | |
angesichts der Repressionen zum Suizid. Doch er wollte kontrolliert gehen | |
und hat 1940 seine eigene Grabplatte geschaffen. Dann gab er seine Sachen | |
weg und verließ diese Welt. Eine planvolle Flucht. Sie könnte Schlusspunkt | |
der Hamburger Ausstellung sein, aber die hat noch eine Coda: eine Ecke mit | |
Nachkriegs-Werken, eins davon symptomatisch: Menschen, die sich hinter | |
Plapper-Gänsemasken verstecken, hat Herbert Spangenberg gemalt. Er war | |
Zeuge etlicher Entnazifizierungsprozesse: Und erlebte dabei live, wie die | |
vormals Linientreuen plötzlich andere Schwüre schworen. | |
12 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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