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# taz.de -- Berlin bereitet sich auf Gas-Stopp vor: Radikal hilft auch hier nic…
> Wenn der Senat entscheidet, was an Beleuchtung noch erlaubt bleibt, muss
> auch die Psychologie eine Rolle spielen.
Bild: So hell muss es nicht sein – aber im Advent ganz auf Lichter zu verzich…
Die Entscheidung, wo in Berlin wie viel an Energie einzusparen und was
möglicherweise an Energienutzung verboten ist, soll nicht nur unter
energiepolitischen Gesichtspunkten fallen. So hat es am Dienstag dieser
Woche [1][Wirtschaftssenator Stephan Schwarz] versprochen. Wirtschaftliche
und soziale Überlegungen sollen ebenfalls eine Rolle spielen. Verfolgt der
rot-grün-rote Senat, der darüber in der übernächsten Woche entscheiden
will, tatsächlich diese Linie, wäre das überaus wünschenswert. Ein
radikales Sparen um des Sparens willen, teils allein wegen der
Symbolhaftigkeit, darf es nicht geben.
Nicht jede eingesparte Kilowattstunde ist an jeder Stelle die Nachteile
wert, die damit einhergehen. Ausgewogenheit ist angesagt – eine „One size
fits all“-Lösung gebe es nicht, stellte [2][Schwarz' Senatskollege Klaus
Lederer] zu Recht fest. Wenn etwa an der einen Stelle ein Energiestopp zu
Arbeitsplatzverlust führt, an der anderen aber bloß zu einer niedrigeren
Zimmertemperatur, dann wäre schon angesagt, zum Erhalt des Arbeitsplatzes
die Heizung um ein weiteres halbes Grad zu drosseln und tatsächlich den
dicken Pullover anzuziehen.
Das zu raten ist aber offenbar verpönt: [3][Als es jüngst in Brandenburg
die grüne Sozialministerin tat], hielt ihr die Kollegin vom SPD-geführten
Finanzressort sinngemäß entgegen, mit solchen Ratschlägen sollte sie sich
mal zurückhalten – sie fühle sich da an Thilo Sarrazin erinnert. Als ob
dessen durchaus sinniger Pullover-Ratschlag von 2008 dadurch entwertet
wäre, dass der Mann später sehr viel weniger sinnige Gedanken in Buchform
veröffentliche.
Augenmaß ist gerade dort unabdingbar, wo kleine Schnitte ohne große Wirkung
viel kaputt machen können. Das gilt gerade mit Blick auf adventliche
Beleuchtung und Weihnachtsmärkte, auch wenn das gerade angesichts langer
Abende und knapp 40 Grad im Schatten weit weg scheint. Bisher kommt noch
reichlich Strom aus der Steckdose, und zu kalt ist auch noch keinem.
Dennoch warnen Verfassungsschützer bereits vor aufgeheizten Debatten, wenn
nicht gar Ausschreitungen, und [4][Außenministerin Annalena Baerbock
befürchtete jüngst gar „Volksaufstände“] bei einem Gasstopp.
## Auch die Stimmung zählt
Bei Energieknappheit, steigenden Preisen, erneuten Einschränkungen wegen
steigender Corona-Zahlen und langen dunklen Nächten haben Licht und
Beleuchtung eine große psychologische Wirkung. Es macht stimmungsmäßig
schon etwas aus, ob im Advent eine Lichterkette in der Straße hängt und der
Weihnachtsmarkt wenigstens mit Sparbeleuchtung und Wachskerzen öffnen darf.
Das Brandenburger Tor nach Mitternacht oder besser noch eine Stunde früher
nicht mehr anzustrahlen ist gut – weil es dann sowieso nur noch wenig Leute
sehen. Es aber schon vorher zu tun, hieße, ein großes Symbol westlicher
Freiheit noch bei regem Betrieb vor dem Tor im Dunkel versinken zu lassen.
All das sind punktuelle Energie-Investitionen, die eine Funktion erfüllen.
Die Adventsbeleuchtung muss ja nicht weiterhin so überbordend aussehen wie
in US-amerikanischen Weihnachtsfilmen. Das wäre schon deshalb angesagt,
weil Stromsparen auch jenseits von Krieg und Gas-Lieferstopp hilft, um
weniger von der gerade wieder viel diskutierten Atomenergie abhängig ist zu
sein. Denn ohne die geht es vorerst selbst dann nicht, wenn auch die
letzten deutschen AKWs abgeschaltet sind – nur kommt der Atomstrom dann
eben aus dem Ausland.
Zum anderen – und das ist noch bedeutsamer – können solche Lichter in
dunkler Zeit dazu beitragen, nicht komplett in Tristesse zu verfallen und
sich am Ende noch den von Baerbock befürchteten Aufständen anzuschließen.
Hardcore-Klimaschützer könnten nun sagen: Erst die absolute Dunkelheit, der
absolute Black-out zeigt den Menschen, wie bedrohlich die Lage ist. Mag
sein. Doch wenn in der Konsequenz manchen Menschen in ihrer Verzweiflung
ihr eigenes Leben oder das anderer nicht mehr lebenswert erscheint, wäre
das ein Preis, den keine Sparanstrengung wettmachen könnte.
6 Aug 2022
## LINKS
[1] https://www.berlin.de/sen/web/ueber-uns/leitung-und-organisation/senator-st…
[2] https://www.berlin.de/sen/kulteu/ueber-uns/leitung/senator/lebenslauf.54404…
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/kalt-duschen-atomkraft-oder-braunkohle-b…
[4] /Regierung-wegen-Gaspreisen-unter-Druck/!5871188
## AUTOREN
Stefan Alberti
## TAGS
Wochenkommentar
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Franziska Giffey
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