| # taz.de -- Höheres Renteneintrittsalter: Arbeit ist nicht gleich Arbeit | |
| > Ein höheres Renteneintrittsalter ist nicht in jedem Beruf machbar. Für | |
| > Leute in Verschleißjobs würde eine Reform zu Renteneinbußen führen. | |
| Bild: Es sind besondere Zeiten auf dem Arbeitsmarkt | |
| Es sind schräge Zeiten auf dem Jobmarkt. Jungen Leuten, 25, 30 Jahre alt, | |
| wird scheinbar der rote Teppich ausgelegt. Firmen bieten Bewerber:innen | |
| Vier-Tage-Wochen an, Arbeitszeit nach Wahl, Homeoffice, Einstiegsprämien. | |
| Sind Arbeitnehmer:innen die neuen Kings [1][in der | |
| Klassengesellschaft]? Mitnichten. Tatsächlich ist der Kampf ums Personal | |
| ein alarmierendes Symptom, hinter dem Verteilungskämpfe drohen, deren | |
| Ausgang offen ist. | |
| [2][Durch Nachwuchsmangel und Alterung] erhöht sich der Arbeitsdruck: Wir | |
| sollen länger ackern, vielleicht sogar 42 Stunden. Mütter möglichst in | |
| Vollzeit, Ältere bis zum 70. Lebensjahr. Arbeitskräfte werden doch gesucht! | |
| Leider gerät dabei aus dem Blick, dass Arbeit eben nicht gleich Arbeit ist. | |
| Durch den Personalmangel verschärfen sich etwa die ohnehin schon | |
| schwierigen Bedingungen in den Careberufen. | |
| Pfleger:innen, Erzieher:innen reduzieren ihre Jobs wegen der | |
| Unterbesetzung und der damit verbundenen hohen Belastung bereits auf | |
| 32-Stunden-Stellen und sorgen damit für ihre eigene Altersarmut. Ein | |
| Arbeitgeber in der Pflegebranche erklärte, eine Steigerung der Löhne hätte | |
| zur Folge, dass die dann besser bezahlten Frauen ihre Arbeitszeit | |
| verringern könnten, daher sei sie angesichts des Personalmangels | |
| kontraproduktiv. Ein beklemmender Satz. | |
| In Logistikunternehmen ist die nervliche und körperliche Belastung für | |
| Sortierer:innen und Bot:innen von vorneherein so hoch, dass kaum | |
| jemand den Job über mehrere Jahrzehnte durchhält. Die Firmen setzen darauf, | |
| dass sie immer wieder Nachschub finden durch Jobsuchende ohne Qualifikation | |
| und mit geringen deutschen Sprachkenntnissen. Es stimmt, immer mehr Ältere | |
| arbeiten auch noch im Rentenalter. Solange sie das freiwillig tun, ist | |
| nichts dagegen zu sagen. | |
| Wer in der Politik aber auf die Idee kommt, etwa durch eine gesetzliche | |
| Rente mit 70 quasi zwei Fliegen – den Personalmangel und die Finanzprobleme | |
| der Rentenversicherung – mit einer Klappe zu schlagen, der outet sich als | |
| Ahnungsloser. Und verschärft Ungleichheiten, die zu wenig thematisiert | |
| werden. Ein [3][höheres Renteneintrittsalter] würde Rentenkürzungen | |
| bedeuten für Leute in Verschleißjobs, die mit 65 nicht mehr können. | |
| Arbeitnehmer:innen in diesen Jobs haben ohnehin eine geringere | |
| Lebenserwartung als Akademiker:innen und beziehen schon deswegen | |
| weniger Rente. Wer mit belastender Dienstleistung, die zum körperlichen und | |
| nervlichen Abbau führt, sein Geld verdient, hätte das Nachsehen in einem | |
| solchen, auch demografisch bedingten Umbau des Sozialstaats. Da wäre sie | |
| dann wieder, die [4][Klassengesellschaft]. | |
| 11 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
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