| # taz.de -- Ausstellung über Zärtlichkeit: Erzählende Teekessel | |
| > Erstmals bespielt Adam Budak als neuer Direktor der Kestner-Gesellschaft | |
| > das Haus selbst – und tut das mit einer ambitionierten Ausstellung. | |
| Bild: Einladung in die Welt des genauen Hinsehens: Renate Bertlmanns Foto „Z�… | |
| Hannover taz | Geduld braucht ein neuer Direktor – oder eine neue | |
| Direktorin, bis er oder sie mit einem eigenen Programm loslegen kann. Denn | |
| so ein Kunstverein oder Ausstellunghaus funktioniert mit sehr langem Atem, | |
| mal positiv ausgedrückt. Nicht nur die inhaltliche Konzeption einer | |
| Einzel-, Gruppen- oder Themenausstellung benötigt ihre Zeit, sondern auch | |
| die Organisation und, natürlich, die Akquise öffentlicher oder privater | |
| Fördermittel; ohne die aber könnte heutzutage kein solches Haus mehr | |
| existieren. Ein Leitungswechsel kann sich daher schon mal fast zwei Jahre | |
| hinziehen, zudem, wenn wie jüngst noch so etwas wie die Coronapandemie | |
| hinzukommt. | |
| Als Adam Budak zum 1. November 2020 [1][seine Stelle als Direktor der | |
| Kestner-Gesellschaft in Hannover antrat], wusste er natürlich, auf was er | |
| sich einlässt. [2][Amtsvorgängerin Christina Végh] hatte reichlich Programm | |
| vorstrukturiert, das Budak noch bis in den Mai 2022 abarbeitete – nicht | |
| ohne dabei eigene Akzente zu setzen. | |
| Die Zeit nutzte er aber überaus sinnvoll und im Interesse der Institution: | |
| Gemäß seinem Credo, als „Gastgeber“ nicht ausgeschöpfte Potenziale zu | |
| erschließen, richtete er die kostenfreie Kestner Cinémathèque im | |
| Erdgeschoss ein, ferner ein üppiges Buchhandelsangebot im unteren und eine | |
| kleine Kaffeebar im oberen Foyer. | |
| „That other world, the world of the teapot. Tenderness, a model“, lautet | |
| nun der vollständige Titel von Budaks erster, selbst konzipierter | |
| Ausstellung; der Titel ist ein Manifest, Budaks Vision für die | |
| Kestner-Gesellschaft als ein Lebensraum der Gastfreundschaft, aber zudem | |
| auch der Liebe zur Welt; als Ort des zärtlichen Erzählens und der aktiven | |
| Beziehung zur Kunst. So fasste der Direktor es bereits im vergangenen Jahr | |
| einmal in eigene Worte. | |
| Assistiert von [3][Alexander Wilmschen] sind diese Gedanken Budaks nun in | |
| rund 150 Exponaten von mehr 44 historischen und gegenwärtigen | |
| Künstler:innen visualisiert: Malerei, Grafik, Plastik, Video- und | |
| Klangkunst, Fotografie – und neun Teekannen verschiedenen Entwurfsalters. | |
| [4][Geistige Referenzgröße ist Olga Tokarczuk], wie Budak aus Polen; die | |
| Schriftstellerin erhielt 2018 den Nobelpreis für Literatur. Die andere | |
| Welt, die sie 2019 dann in ihrer Stockholmer Nobelvorlesung skizzierte, ist | |
| eine utopische Harmonie, die Verbundenheit alles Sichtbaren und | |
| Unsichtbaren. Und eine Welt des genaueren Hinsehens, der Wertschätzung und | |
| des Entdeckens von Gemeinsamkeiten. | |
| Selbst leblose Dinge beginnen so zu erzählen, wie die Teekanne im Märchen | |
| von Hans Christian Andersen. Das elegante, stolze Gefäß musste erleben, wie | |
| durch ungeschickten Gebrauch seine lange Tülle und der Henkel zu Bruch | |
| gingen. Der Torso diente dann als improvisierter Pflanzbehälter für eine | |
| Blumenzwiebel. Immerhin: Ein zweites Leben, jenseits des Status als | |
| wertloser Abfall, begann – bis die aufgekeimte, schöne Pflanze und ihre | |
| Blüte eines besseren Behältnisses für würdig erachtet wurde. Die Teekanne | |
| wurde endgültig zerschlagen und weggeworfen; ihr blieb die Erinnerung, die | |
| nicht verloren gehen kann. | |
| Budak bringt nun die Kunst zum Erzählen. Einen ersten Dialog eröffnet | |
| gleich im Erdgeschoss etwa die sommerliche Strandszene [5][der schwedischen | |
| Malerin Cecilia Edefalk]: Ein Mann cremt seiner Partnerin den Rücken ein. | |
| Edefalk verwendet Werbefotografien, generiert daraus Bildserien oft nur | |
| minimaler thematischer Variation. [6][Ihr antwortet Maria Lassnig], deren | |
| Bilder nackter menschlicher Leiber ein „Körpergefühl“ ausdrücken wollen; | |
| einerseits der liebevollen Selbstwahrnehmung, andererseits auch einer | |
| physischen wie psychischen Verletzlichkeit. | |
| Die Bildintention, von der Künstlerin aus Österreich international | |
| verständlich als „Body Awareness“ bezeichnet, spiegeln dann wiederum die | |
| teils monochromen Großformate von [7][Pamela Rosenkranz] zurück: Sie | |
| simulieren standardisierte, mitteleuropäische Hautfarben oder Substanzen | |
| und Ausscheidungen des menschlichen Körpers; der changierende Farbauftrag | |
| mit Schlieren und Narben verweigert sich jedoch jeglicher Mimesis. | |
| Weitere Arbeiten Lassnigs ziehen sich wie ein Subtext durch drei | |
| anschließende Säle. Dabei treffen sie unter anderem auf die kraftvollen, | |
| textilen Installation der Polin Barbara Levittoux-Świderska und die | |
| konzeptionell feministischen Fotoinszenierungen einer weiteren Polin, Ewa | |
| Partum. | |
| Oder die minimalistisch filigranen Gebilde von Joana Escoval: Mit | |
| Drahtkonstrukten montiert die Portugiesin zarte Naturelemente – das | |
| Barthaar einer Katze, eine kleine Feder, eine verschlungene Weinrebe – auf | |
| Untergründe oder in Raumecken. Ortsspezifischen Ritualobjekten gleich, | |
| scheinen sie in feiner Geste und umso größerer Spannung alles in Beziehung | |
| setzen zu können. | |
| So wie es insgesamt der Ausstellung gelingt, trotz ihrer schier | |
| überwältigenden Ideen- und vor allem Materialfülle aus Hannoverschen, | |
| deutschen und internationalen Sammlungen, zu einem Ganzen zu finden. | |
| Sicher: Kaum jemand wird alles entsprechend würdigen können – und etwa die | |
| eingestreuten literarischen Exzerpte [8][der ukrainisch-brasilianischen | |
| Schriftstellerin Clarice Lispector] vielleicht übersehen; so wie die | |
| weiteren aktuellen Ausstellungen im und am Hause. | |
| Aber eine, wenn man so will, zärtliche Atmosphäre trägt einen durch die | |
| Räume. Der geistige Erkenntnisanspruchs der Kunst bleibt dabei, auch in der | |
| Ausstellungsarchitektur, ein offenes Versuchsfeld. | |
| 14 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bettina Maria Brosowsky | |
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