| # taz.de -- Caritas-Expertin über Konsum: „Klimaschutz hilft gegen Armut“ | |
| > Wer Klimaschutz verhindern will, schiebt oft die Armen vor, kritisiert | |
| > Astrid Schaffert von der Caritas. Doch CO2-Reduktion geht sozial. | |
| Bild: Verkehrswende geht nicht wegen pendelnder Krankenschwestern? Von wegen, s… | |
| taz: Frau Schaffert, Sie sagen, die Klimapolitik in Deutschland sei | |
| grundsätzlich unsozial. Warum? | |
| Astrid Schaffert: Die bisherige Klimapolitik beruhte im Wesentlichen auf | |
| zwei Säulen: Bepreisung und Förderprogramme. Zur Finanzierung der | |
| erneuerbaren Energien gab es die EEG-Umlage. Das ist eine regressiv | |
| wirkende Konsumsteuer. Wer weniger verdient, muss einen größeren Teil des | |
| Einkommens dafür ausgeben. Der Klimaschutz wird also nicht über progressiv | |
| wirkende Steuern oder über Vermögenssteuern finanziert, sondern über sehr | |
| unsozial wirkende Konsumsteuern. | |
| Dazu kommt: Von den Einnahmen aus den EEG-Anlagen haben die Reicheren | |
| profitiert, die es sich leisten konnten, dort profitabel ihr Geld | |
| anzulegen. Und die energieintensive Industrie ist von der Umlage befreit. | |
| All das haben die Einkommensärmeren überproportional finanziert. | |
| Warum sind Förderprogramme ungerecht? | |
| Weil davon die Mittel- und Oberschicht profitiert, es aber alle | |
| finanzieren. Zum Beispiel Förderprogramme für energetische | |
| Gebäudesanierung, Staatshilfen für E-Autos oder Pendlerpauschale. Arme | |
| haben aber keine Gebäude, die sie sanieren können, und leisten sich kein | |
| neues E-Auto. | |
| 50 Prozent der Haushalte im untersten Fünftel der Einkommensskala haben | |
| kein Auto. Die Preise im Nahverkehr sind in den letzten Jahren um 80 | |
| Prozent gestiegen – ohne dass sich die Politik groß darüber aufgeregt | |
| hätte. Vor Tankstellen zu stehen und gegen angeblich unsozial hohe | |
| Spritpreise zu demonstrieren, ist aber gang und gäbe. | |
| In Ihrem Sinne macht die Ampelregierung dann aber ein paar richtige | |
| Schritte: Die EEG-Umlage wurde abgeschafft und der Erneuerbaren-Ausbau | |
| stattdessen über Steuern finanziert, der CO2-Preis beim Heizen wird | |
| zwischen Mieter und Vermieter aufgeteilt. | |
| Das sind gute Schritte. Der nächste Schritt ist die Besteuerung von jeder | |
| Tonne CO2. Die ist eigentlich richtig aus Klimaschutzgründen, muss aber | |
| zwingend [1][mit einem Klimageld verbunden] werden. | |
| Das Geld darf nicht in Investitionen für Infrastruktur verwendet werden, | |
| sondern muss an die Bevölkerung zurückfließen, sonst haben wir nur die | |
| EEG-Umlage mit der CO2-Bepreisung ausgetauscht. Wir müssen beides fördern: | |
| ambitionierten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit. Für die Investitionen | |
| brauchen wir progressiv erhobene Steuern. | |
| Wie sähe für Sie eine [2][sozialere Klimapolitik] aus? | |
| Erst muss eine klimafreundliche Infrastruktur aufgebaut werden. Es muss | |
| bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr, bei der energetischen | |
| Sanierung von Sozialwohnungen geben. Die Ärmeren brauchen klimaschonende | |
| Handlungsalternativen. Zweitens müssen die Subventionen für fossile | |
| Energien wegfallen, die die Mittel- und Oberschicht bevorzugen und den | |
| Klimaschutz konterkarieren. | |
| Und es braucht Ordnungsrecht, also Ver- und Gebote. Wir können nicht im | |
| zentralen Politikfeld für die nächsten Jahrzehnte auf dieses Instrument | |
| verzichten. Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei. | |
| Wie wollen Sie mit Ordnungsrecht dem Klima und den Armen helfen? | |
| Die Grenzwerte für Autos müssten stärker sinken. Öl- und Gasheizungen | |
| dürfen nicht weiter verbaut werden, aber wir brauchen auch einen Fahrplan | |
| und Förderung, wie wir die alten Heizungen aus den Häusern holen. Die klare | |
| Aussage muss sein: Wir steigen aus Techniken aus, die nicht mit den Zielen | |
| von Paris kompatibel sind. | |
| Sie sagen, Armut wird beim Klimaschutz instrumentalisiert, um beim | |
| Klimaschutz zu bremsen. Wie meinen Sie das? | |
| Das war vor allem unter vorigen Regierungen so. Die vergangene Regierung | |
| hat immer die soziale Frage entdeckt, wenn es darum ging, Klimaschutz | |
| abzuwenden. Da kam dann die berühmte alleinerziehende Krankenschwester auf | |
| dem Land, die unter höheren Benzinpreisen leiden würde. Die gibt es, sie | |
| wurde aber viel zu oft als Alibi genutzt. | |
| An den wirklich wichtigen Stellen hat man nicht viel gemacht: Bei der | |
| Modernisierungsumlage etwa, also bei der Frage, wer für die Modernisierung | |
| von Wohnungen zahlt, wurde kaum etwas bewegt. Bei den jetzigen | |
| Entlastungspaketen wird die soziale Gerechtigkeit zum ersten Mal | |
| mitgedacht. Allerdings werden auch hier RentnerInnen und Studierende | |
| ausgenommen, also prekäre Gruppen. Und der Tankrabatt ist sozial und | |
| klimapolitisch eine völlige Sackgasse. | |
| Die Caritas hat ja schon seit Jahren den Stromsparcheck, ein Programm, bei | |
| dem ehemalige Empfänger von Sozialleistungen zu Stromberatern ausgebildet | |
| werden und ärmere Haushalte darin beraten, wie man Energie und Geld sparen | |
| kann. Wie ist da die Bilanz? | |
| Die Bilanz ist sehr gut, wir würden den Stromsparcheck gern ausweiten und | |
| verstetigen. Es funktioniert, weil es Beratung auf Augenhöhe ist. Die | |
| Haushalte sparen konkret Geld und Kilowattstunden, das hilft, wenn man vom | |
| Regelsatz lebt. Das Programm bringt Leute als Energieberaterinnen und | |
| -berater wieder in Arbeit und senkt auch den Stromverbrauch. Aber die | |
| Einsparungen sind nicht vergleichbar mit dem, was man in den Haushalten der | |
| Mittel- und Oberschicht senken könnte. | |
| Aber wenn bei der Mittelschicht mehr zu holen wäre, beraten Sie dann nicht | |
| die Falschen? | |
| Nein, denn bei den Armen zählt jede Kilowattstunde und jeder Euro. Aber | |
| richtig ist: Wenn ich die großen Hebel identifiziere für den Klimaschutz, | |
| sind die armen Haushalte die falschen Adressaten. Sie stoßen einfach | |
| relativ wenig CO2 aus, sie leben schon notgedrungen sehr sparsam. | |
| Die ärmsten 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland verursachen nur gut 2 | |
| Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr. Bei den oberen 10 Prozent sind es mehr als 30 | |
| Tonnen, beim obersten Prozent 92 Tonnen. Da sieht man, wo die dicken | |
| Brocken sind. | |
| Es heißt, viele Arme haben Angst vor dem Klimawandel, aber gleichzeitig | |
| auch davor, dass Maßnahmen zum Klimaschutz zu teuer werden könnten. Wie | |
| kommt man aus dieser Falle raus? | |
| Wir müssen zeigen: Klimaschutz hilft, Armut zu überwinden. Die | |
| Verkehrspolitik etwa ist darauf abgerichtet, viel Geld ins Auto und wenig | |
| in den ÖPNV zu geben. Das führt zu Mobilitätsarmut für Menschen mit wenig | |
| Einkommen, Ältere, Jugendliche, körperlich und psychisch Beeinträchtigte. | |
| Mehr Klimaschutz, also Ausbau von ÖPNV und sichere Fuß- und Radwege, würde | |
| helfen, diese Mobilitätsarmut zu überwinden. Dasselbe im Energiebereich: | |
| Hätten wir einen sinkenden Energieverbrauch, wären wir weniger abhängig von | |
| fossilen Importen und die Ärmeren müssten weniger Geld für Energie | |
| ausgeben. | |
| Sie sprechen von Rationierung im Energieverbrauch. Das klingt nach | |
| Kriegswirtschaft. | |
| Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie viel Konsum wir uns in bestimmten | |
| Bereichen überhaupt noch leisten können. Es geht nicht darum, dass die | |
| Ärmeren noch weniger konsumieren, denn die Mittel- und Oberschicht hat den | |
| viel größeren energetischen Fußabdruck. Da muss der Konsum runter. | |
| Warum reden wir da nicht über ein Grundkontingent an Strom und Gas – man | |
| kann das aber auch auf Flugreisen ausdehnen –, das ein gutes Leben sichert | |
| und entsprechend günstig ist? Jeder Konsum, der darüber hinausgeht und | |
| nicht Paris-kompatibel ist, der würde dann stark ansteigen und massiv | |
| besteuert. | |
| Wie in der internationalen Debatte gäbe es also die Einsicht, dass die | |
| Armen im Konsum und Ressourcenverbrauch noch zulegen dürfen, [3][während | |
| die Reichen abspecken müssen]? | |
| Das ist so. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung lebt in überbelegten | |
| Wohnungen. Sie brauchen mehr Platz. Es gibt Haushalte, die haben zu wenig | |
| Energie zur Verfügung. Deren Konsum muss sich steigern können. Aber es gibt | |
| hier bei uns noch viel mehr Haushalte, die zu viel Wohnraum und Energie | |
| verbrauchen. Der Konsum muss also bei den Reichen sinken, nicht bei den | |
| Armen. | |
| Sind arme Menschen die besseren Klimaschützer? | |
| Fakt ist: Sie haben notgedrungen den viel geringeren CO2-Fußabdruck. Aber | |
| ich bin weit davon entfernt, Armut zum Leitbild zu stilisieren. Die Frage, | |
| wie viel genug ist, darf man nicht am unteren Ende der Gesellschaft führen, | |
| sondern am oberen. Ob man das Verzicht nennt oder Umkehr zu anderen | |
| Lebensgewohnheiten, ist die andere Frage. Ist es Verzicht, mit seinem | |
| eigenen Auto nicht mehr im Stau zu stehen? Das kann man anders sehen. | |
| Als Caritas wollen wir zeigen, wie Klimaschutz hilft, die Armut zu | |
| überwinden. Wir brauchen Klimaschutz nicht nur aus ökologischen, sondern | |
| auch aus armutspolitischen Gründen. | |
| 1 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Klimaschutz-und-soziale-Gerechtigkeit/!5783176 | |
| [2] /Erhoehte-Energiepreise/!5829578 | |
| [3] /Budget-fuer-Deutschland/!5858119 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Ampel-Koalition | |
| GNS | |
| IG | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Weltklima | |
| Ampel-Koalition | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Armutsforschung | |
| Schwerpunkt Armut | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Heizkosten | |
| grüne Mobilität | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zuschüsse für Klimaschutzmaßnahmen: Niedersachsen fördert Wohlfahrtspflege-… | |
| Gemeinnützige Träger von Kitas oder Wohnungslosenhilfen sind bei der | |
| Förderung von Klimaschutzmaßnahmen benachteiligt. Niedersachsen will das | |
| ändern. | |
| Klimastreik an Universitäten: Profs for Future | |
| An vielen Hochschulen finden in der kommenden Woche Vorlesungen zum Klima | |
| statt – auch in den Studiengängen Jura, Sport und Informatik. Fünf | |
| Dozierende erzählen. | |
| Versprechen der Ampel beim Klima: Habeck plant Klima-TÜV | |
| Das Wirtschaftsministerium bastelt an einem „Klimacheck“, der den | |
| CO2-Fußabdruck aller Gesetze dokumentiert. Die anderen Ressorts müssen | |
| zustimmen. | |
| Forscherin über soziale Ungleichheit: „Man kann Armut vermeiden“ | |
| Wer hat die Deutungshoheit über Gerechtigkeit? Politikwissenschaftlerin | |
| Roswitha Pioch über Umverteilung, Teilhabe – und das geplante Bürgergeld. | |
| Christoph Butterwegge über Sozialstatistik: „Armut wird stark verharmlost“ | |
| Die offiziellen Zahlen des statistischen Bundesamts seien geschönt, sagt | |
| der Armutsforscher Christoph Butterwegge. Von der Politik fordert er höhere | |
| Entlastungen für Arme. | |
| Neue Zahlen der Armutsstatistik: Die Armutspandemie | |
| Jedes Jahr wird die Armutsstatistik veröffentlicht, zur Kenntnis genommen – | |
| und unsolidarisch vergessen. Aber diesmal geht es um die Mittelschicht. | |
| Budget für Deutschland: Nur noch wenige Gigatonnen CO2 | |
| Berater:innen der Bundesregierung haben neu berechnet, wie viel | |
| Kohlendioxidausstoß Deutschland noch zusteht. Viel ist es nicht. | |
| Soziale Klimapolitik: Die Kosten der Klimawende | |
| Die Dekarbonisierung Deutschlands droht, zulasten der Armen zu gehen. Um | |
| die steigenden Preise abzufedern, muss die neue Koalition sie unterstützen. | |
| Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit: Spritpreis ist sozialer als sein Image | |
| Der CO2-Preis hat einen schlechten Ruf, was seine sozialen Folgen angeht. | |
| Aber wenn man das Geld zur Umverteilung nutzt, könnten viele profitieren. |