# taz.de -- Fachkräftemangel in Deutschland: Abwehrhaltung bremst Einwanderung | |
> Deutschland fehlen Fachkräfte, deshalb fordern Expert:innen | |
> vereinfachte Zuwanderung. Wer derzeit herkommen will, braucht viel | |
> Geduld. | |
Bild: Dringend gesucht: PflegerInnen in der Altenpflege | |
BERLIN taz | In Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Das liegt nicht nur | |
daran, dass die Gesellschaft immer älter wird. Am Donnerstag haben | |
Expert:innen den deutschen Behörden in einer Gesprächsrunde des | |
Mediendienstes Integration eine „Abwehrmentalität“ bei der Einwanderung von | |
Arbeitskräften vorgeworfen. Die Vertreter:innen aus Wissenschaft und | |
Wirtschaft fordern eine [1][vereinfachte Zuwanderung aus Ländern außerhalb | |
der Europäischen Union.] | |
„Wir befinden uns in einer dramatischen Situation, die wir schon lange | |
prognostiziert haben“, sagt Herbert Brücker, Direktor des Berliner | |
Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. In | |
Deutschland gibt es etwa 1,8 Millionen unbesetzte Stellen. Um diese Lücke | |
zu schließen, müssten jährlich mindestens 400.000 Arbeitskräfte nach | |
Deutschland kommen. Mit der momentanen Grundhaltung in den | |
Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen sei das aber nur schwer | |
vorstellbar, sagt Brücker. Im vergangenen wurden rund 37.000 [2][Visa für | |
Fachkräfte] erteilt. | |
Die Ansicht von Brückner teilt auch Bettina Offer. Die Rechtsanwältin berät | |
Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Sie sagt: Die | |
zuständigen Stellen in der Verwaltung sind zu schlecht ausgestattet. Wer | |
eine abgeschlossene Ausbildung plus Sprachkenntnisse mitbringt und somit | |
per Definition als Fachkraft gilt, warte oft monatelang auf einen freien | |
Termin. | |
Offer fordert deshalb Sanktionen für Behörden, die Fristen nicht einhalten. | |
Einzelne Auslandsvertretungen würden für Ablehnungen zudem „erfundene | |
Zustände“ heranziehen. Das Auswärtige Amt dementierte die Vorwürfe auf | |
Nachfrage. | |
## „Motivierte Leute, die anpacken können“ | |
Missstände bei der Einwanderung von Arbeitskräften sind der Ampel durchaus | |
bekannt. SPD-Innenministerin Nancy Faeser und ihr Parteikollege, | |
Arbeitsminister Hubertus Heil, nannten das derzeitige System in einem | |
Handelsblatt-Gastbeitrag am Mittwoch „zu schleppend, zu bürokratisch, zu | |
abweisend.“ | |
Nachdem die Regierung Anfang Juli ein Migrationspaket präsentiert hatte, | |
kündigten Faeser und Heil nun ein zweites Maßnahmenbündel an. Arbeitskräfte | |
mit Berufserfahrung und der Zusage für eine Stelle sollen demnach in | |
Deutschland arbeiten dürfen, während das Verfahren zu Anerkennung ihres | |
Abschlusses noch läuft. | |
Das seien „gute Ansätze“, sagt Martin Winter, Geschäftsführer eines | |
Industriedienstleisters in Baden-Württemberg. Winter, Mitglied der | |
Unternehmerinitiative „Bleiberecht durch Arbeit“, ärgert sich aber vor | |
allem über die Priorisierung von Fachkräften bei der Zuwanderung: „Wir | |
brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte. Motivierte Leute, die | |
anpacken können.“ | |
Im Jahr 2016 hatte die Bundesregierung schon einmal einen Beschluss | |
gefasst, mit dem Staatsangehörige der Westbalkanregion ohne | |
Deutschkenntnisse und berufliche Qualifikation ein Visum beantragen können | |
– sofern sie einen Arbeitsvertrag vorweisen. | |
Susanne Ferschl, stellvertretende Linken-Faktionsvorsitzende im Bundestag, | |
sieht auch Verbesserungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen und warnt vor | |
einem System der Ausbeutung: „Zuwanderung darf nicht dazu dienen, Branchen | |
mit miesen Arbeitsbedingungen billige Arbeitskräfte zuzuführen.“ | |
21 Jul 2022 | |
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[1] /Bekaempfung-des-Fachkraeftemangels/!5869362 | |
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## AUTOREN | |
Aaron Wörz | |
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