| # taz.de -- Einwanderung von Fachkräften: Wer was kann, soll kommen dürfen | |
| > Die Ampel geht Arbeitsmigration an: Berufserfahrung soll mehr zählen, ein | |
| > hier anerkannter Abschluss ist nicht mehr zwingend nötig. | |
| Bild: Nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitnehmer mit Berufserfahrung werden ge… | |
| Der junge Mann aus Sri Lanka hat drei Jahre auf Kreuzfahrtschiffen und in | |
| Hotels gearbeitet und einen Berufsabschluss aus seinem Heimatland. Der aber | |
| gilt in Deutschland nicht als gleichwertig mit hiesigen Abschlüssen. Er | |
| lernt Deutsch und hat hier Verwandte. Sein Cousin könnte ihm womöglich | |
| einen Job in einem Hotel hierzulande vermitteln – jedenfalls, wenn nächstes | |
| Jahr das [1][neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz] kommt. | |
| „Das Gesetz könnte eine Erleichterung für die Anwerbung von Arbeitskräften | |
| aus Drittstaaten sein“, sagt Sandra Warden, Geschäftsführerin beim | |
| Bundesverband des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), fragt | |
| man sie nach diesem Beispiel. „Das Mantra, dass wir nur Leute brauchen, die | |
| einen Berufsabschluss haben, der einem deutschen Abschluss gleichwertig | |
| ist, gilt so nicht mehr. Wichtig ist für uns auch die Arbeitserfahrung“, | |
| erklärt sie. | |
| Ende Oktober hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Eckpunkte für | |
| das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in die Abstimmung mit den | |
| Ministerien gegeben. Das geplante Gesetz erlaubt verschiedene neue Zugänge | |
| zum hiesigen Arbeitsmarkt: Zugewanderte mit einem Abschluss nach | |
| zweijähriger Berufsausbildung im Ausland und mehrjähriger Berufserfahrung | |
| sollen in Deutschland in ihrem Tätigkeitsfeld arbeiten können. | |
| Dabei soll „eine Feststellung der Gleichwertigkeit des Abschlusses mit | |
| einem Referenzberuf in Deutschland nicht erforderlich sein“, heißt es im | |
| Eckpunktepapier. Mit dem neuen Gesetz würde zudem erleichtert, dass im | |
| Ausland ausgebildete Arbeitskräfte mit einer sogenannten „teilweisen“ | |
| Gleichwertigkeit erst einmal herkommen und dann eine Nachqualifikation | |
| machen können. | |
| ## Flexibilität bei der Jobwahl | |
| „Das ist eine attraktive Aussicht für die Leute, deren Ausbildung schon | |
| teilweise anerkannt ist“, sagt Anette Groschupp, stellvertretende | |
| Geschäftsführerin Unternehmensservice bei der Handwerkskammer Region | |
| Stuttgart. „Sie können sich dann zum Beispiel hier im elektrotechnischen | |
| Zentrum in Stuttgart nachqualifizieren, bis sie als Geselle anerkannt sind. | |
| Vielleicht machen sie sogar bis zum Meister weiter und gründen dann einen | |
| eigenen Betrieb.“ | |
| Wer schon über einen auch in Deutschland als gleichwertig anerkannten | |
| Abschluss verfügt, bekommt zudem mehr Flexibilität in der Jobwahl. Er oder | |
| sie darf „jede qualifizierte Beschäftigung“ in Deutschland ausüben, so das | |
| Eckpunktepapier. „Ein Stuckateur aus dem Kosovo könnte dann beispielsweise | |
| in Deutschland als Fachkraft auch im Stahlbetonbau arbeiten, sofern er | |
| bereits in seiner Heimat Berufserfahrung in diesem Bereich gesammelt hat“, | |
| sagt Groschupp. | |
| Berufserfahrung zählt mehr, die Fixierung auf Zertifikate wird gelockert. | |
| Das macht Sinn in einer Zeit, in der sich Bewerber:innen vom Ausland | |
| aus via Internet bei Unternehmen bewerben und Personalchefs über Zoom die | |
| Kenntnisse und die vorherige Berufserfahrung im Ausland detailliert | |
| abfragen können. | |
| Mit dem neuen Gesetz soll auch eine „Chancenkarte“ eingeführt werden, mit | |
| einem „transparenten, unbürokratischen Punktesystem“, so die Eckpunkte. | |
| Dabei zählen „Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, | |
| Deutschlandbezug“ als Auswahlkriterien, heißt es in dem Papier. | |
| [2][Im taz-Interview] hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) | |
| erklärt, dass Bewerber drei von vier Auswahlkriterien erfüllen müssten. | |
| Dies könnte bedeuten, dass auch Leute mit langjähriger Berufserfahrung, | |
| Sprachkenntnissen und Kontakten in Deutschland, aber ohne das Zertifikat | |
| eines Berufsabschlusses, zur Jobsuche nach Deutschland kommen dürfen, | |
| allerdings nur, wenn sie sich selbst finanzieren können. | |
| Mit der Öffnung auch für angelernte Kräfte kommt das Gesetz der Wirtschaft | |
| entgegen. „Wir brauchen Arbeitnehmer mit Berufserfahrung und nicht nur | |
| Fachkräfte“, sagt Ilona Klein vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes. | |
| Zu den Helfertätigkeiten im Baugewerbe zähle beispielsweise die Arbeit der | |
| Eisenbieger im Stahlbetonbau, erklärt Klein. | |
| Durch die schon länger geltende sogenannte Westbalkan-Regelung kommen | |
| bereits Fach- und Hilfskräfte aus den Westbalkan-Ländern nach Deutschland, | |
| sie müssen aber einen festen Arbeitsvertrag vorweisen. Kontingente an | |
| befristet Beschäftigten sollen auch für andere Branchen zugelassen werden, | |
| heißt es in den Eckpunkten. | |
| ## Kosten und Risiken | |
| Auch sollen Verwaltungsverfahren beschleunigt und digitalisiert werden. Das | |
| ist wichtig für die deutschen Botschaften im Ausland, die für die | |
| [3][Erteilung der nötigen Visa oft monatelange Wartezeiten haben]. Der | |
| Kabinettsentwurf für das neue Gesetz soll im nächsten Jahr kommen. | |
| Wie mittelständische Betriebe dann tatsächlich von der erleichterten | |
| Zuwanderung profitieren, ist offen. Der Spracherwerb bleibt eine große | |
| Hürde. Hüseyin Yilmaz, Vorsitzender des Türkischen Unternehmer- und | |
| Handwerker-Vereins (TUH) in Berlin weist darauf hin, dass die Anwerbung von | |
| Fachkräften aus dem Ausland für die Unternehmer „auch ein Risiko“ und mit | |
| Kosten behaftet sei. | |
| Für die behördlichen Vorgänge müsse man einen Anwalt einschalten, das koste | |
| bis zu 4.000 Euro, wovon der Arbeitgeber das meiste zahle. Gebühren für | |
| Dokumente, Sprachkurse, Prüfungen werden fällig. „Die Unternehmen bräuchten | |
| dafür Unterstützung, auch finanzielle“, sagt Yilmaz. | |
| 6 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Politik-und-Fachkraeftemangel/!5884026 | |
| [2] /Arbeitsminister-Heil-zum-Buergergeld/!5878302/ | |
| [3] /Fachkraeftemangel-in-Deutschland/!5865909 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| Fachkräftemangel | |
| Migration | |
| Arbeitsmigration | |
| Handwerk | |
| Ampel-Koalition | |
| Arbeitsmarkt | |
| Fachkräftezuwanderungsgesetz | |
| Migration | |
| Fachkräftemangel | |
| Einwanderung | |
| Standort Deutschland | |
| Hubertus Heil | |
| Fachkräftemangel | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Einwanderung von Fachkräften: Der Koch braucht keinen Bachelor | |
| Fachkräfte sollen nach einem Gesetzesvorhaben bald einfacher einwandern | |
| können. Wie hoch die Hürden sind, zeigt der Fall eines Kochs aus Sri Lanka. | |
| Neue Sonderbeauftragter für Migration: Neokoloniale Rosinenpickerei | |
| Der Migrationsbeauftragte soll wohl für die „richtigen“ Einwander:innen | |
| sorgen. Dabei fehlen nicht nur Fachkräfte, sondern schlicht Arbeitskräfte. | |
| Migration nach Deutschland: Wettstreit um helfende Hände | |
| Das Kabinett beschließt Eckpunkte, um die Einwanderung von Fachkräften zu | |
| erleichtern. Die Ampel freut sich darüber, sich ausnahmsweise einig zu | |
| sein. | |
| Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes: Schon wieder Ärger in der Ampel | |
| SPD und Grüne wollen eine einfachere Einbürgerung. Die FDP schießt quer, | |
| der Kanzler wirbt für den Doppelpass. | |
| Sprachförderung für Zuwanderer: „Klowein“ statt „Glühwein“ | |
| Wegen seiner Artikel und Deklinationen gilt Deutsch als schwere Sprache. Im | |
| Wettbewerb um Arbeitskräfte aus dem Ausland ist das eine Hürde. | |
| Arbeitsminister Heil zum Bürgergeld: „Wege aus dem System eröffnen“ | |
| Ab 2023 kommt das neue Bürgergeld. Arbeitsminister Hubertus Heil erklärt, | |
| warum das Modell für ihn eine Abkehr von Hartz IV bedeutet. | |
| Fachkräftemangel in Deutschland: Abwehrhaltung bremst Einwanderung | |
| Deutschland fehlen Fachkräfte, deshalb fordern Expert:innen vereinfachte | |
| Zuwanderung. Wer derzeit herkommen will, braucht viel Geduld. |