# taz.de -- Sprachförderung für Zuwanderer: „Klowein“ statt „Glühwein�… | |
> Wegen seiner Artikel und Deklinationen gilt Deutsch als schwere Sprache. | |
> Im Wettbewerb um Arbeitskräfte aus dem Ausland ist das eine Hürde. | |
Bild: Momentaufnahme in einem Sprachkurs für Deutsch als Fremdsprache an der V… | |
Das Kollegium freute sich, als der Arzt aus Südindien auf der | |
geriatrischen Station eines Krankenhauses in Potsdam anfing. | |
Kolleg:innen begleiteten den Mann im Tagesdienst. Dann, im Nachtdienst, | |
war er alleine auf Station. Er sprach mit Patient:innen, dokumentierte. Die | |
Kolleg:innen fragten am nächsten Tag bei einem der Kranken nach, ob es | |
stimme, dass ein neues Problem mit dem Knie dazugekommen war, wie der Arzt | |
vermerkt hatte. Nein, es gab kein Problem mit dem Knie. Es gab ein Problem | |
mit der Kommunikation, wie schon mehrfach. | |
Der hoch qualifizierte indische Arzt, der mit Frau und Kind nach | |
Deutschland gekommen war, überstand die Probezeit in der Klinik nicht und | |
kehrte zurück in sein Heimatland. | |
Die deutsche Sprache mache die Rekrutierung von Arbeitskräften in | |
Drittstaaten, also Nicht-EU-Ländern, „sehr schwer“, sagt Jan Gierke, | |
Geschäftsführer der Personalvermittlung APglobal, „der lange Prozess des | |
Spracherwerbs ist ein Hauptnachteil“. Auch Leon Bauer von der | |
Personalberatung Onea Care erklärt, Deutsch könne „zum Standortnachteil“ | |
werden. Beide Firmen rekrutieren Personal aus Übersee für den hiesigen | |
Pflegebereich, etwa auf den Philippinen. | |
„Es gibt bei der Rekrutierung im Ausland einen Wettbewerb der | |
Destinationen“, sagt Bauer. In den Philippinen etwa ist Englisch die zweite | |
Amtssprache. Wer dort eine Ausbildung als Krankenpflegerin gemacht hat, | |
überlegt es sich dreimal, in ein Land einzuwandern, für das man mindestens | |
anderthalb bis zwei Jahre die deutsche Sprache pauken muss, um als | |
Fachkraft anerkannt zu werden. In den USA, Großbritannien, auch in den | |
Golfstaaten und in Singapur hingegen könne man mit Englischkenntnissen im | |
Gesundheitsbereich arbeiten, berichtet Bauer. Wobei Deutschland allerdings | |
unter anderem den Vorteil eines guten Sozialsystems habe. | |
Wie schwer oder wie leicht es ist, Deutsch zu lernen, kann | |
zukunftsentscheidend sein für die Wirtschaft und Versorgung hierzulande. | |
400.000 Arbeitskräfte müssten künftig pro Jahr nach Deutschland einwandern, | |
im Saldo, um die Personalverluste auszugleichen, die vor allem durch die | |
Alterung der Bevölkerung entstehen, so die Zahlen des [1][Nürnberger | |
IAB-Instituts.] Das heißt: Alle fünf Jahre müssten zwei Millionen | |
erwerbsfähige Menschen neu ankommen, die kein oder kaum Deutsch sprechen. | |
Um eine solch hohe Zahl an Zuwanderern zu integrieren, muss sich | |
Deutschland in ein riesiges Sprachlabor verwandeln. | |
## Viel Grammatik, wenig Logik | |
Unter Sprachexpert:innen gilt die Faustregel: Je weiter weg das Land, | |
desto fremder die Sprache, desto schwerer der Spracherwerb. Denn | |
Lautbildung, Grammatik, Satzbau, Wortschatz entscheiden, wie leicht einem | |
das Lernen einer neuen Sprache fällt. Oder wie schwer. | |
„Für Deutsch muss man am Anfang viel Grammatik lernen, um sich zu | |
verständigen“, sagt Christoph Mohr, Fachkräfteexperte beim Goethe-Institut. | |
Englisch sei am Anfang einfacher zu lernen. Dort gibt es nur einen | |
bestimmten Artikel, weniger Deklination und das Verb erscheint nicht, wie | |
im Deutschen, manchmal erst am Ende eines langen Satzes mit langen Wörtern. | |
„Die Grammatik ist am schwersten“, sagt Roonak Babashahabi. Die 51-jährige | |
Pflegepädagogin kam vor zwölf Jahren aus dem Iran nach Deutschland. „Du | |
versuchst, mit korrekter Grammatik zu sprechen und gerätst dann unter | |
Stress und dann vergisst du die Wörter und hast Probleme, dich | |
auszudrücken“, schildert Babashahabi, die jetzt bei APglobal im Recruiting | |
arbeitet. | |
Der irakische Autor Abbas Khider hat über seinen langen Kampf mit der | |
deutschen Sprache ein Buch geschrieben („Deutsch für alle“). Es habe ihn | |
„mehr als ein verfluchtes Jahrzehnt gekostet, bis ich diese seltsame Welt | |
aus Konjugationen, Deklinationen und Präpositionen wirklich verstanden | |
habe“, berichtet er. „Ich bin wie ein kleiner Sprachcomputer, der | |
aufwändige Berechnungen vornehmen und seinen Prozessor, die Festplatte und | |
den Arbeitsspeicher an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit treiben muss, | |
damit ich kommunizieren kann“, so Khider. | |
Er macht den Vorschlag der Vereinfachung, schlägt einen neuen | |
Universal-Artikel für die deutsche Sprache vor, „de“ statt „der, die, da… | |
oder „e“ statt „ein, eine“. „Wenn die Ausländer in Deutschland von m… | |
Vorschlag erfahren, werden alle auf die Straßen gehen, tagelang tanzen, | |
feiern und jubeln. Bestimmt lassen einige ihrem Hass auf die Artikel freien | |
Lauf und brüllen: ‚Wir sind de Volk‘“, schreibt Khider. | |
Es entscheidet auch die Lautbildung darüber, ob einem eine Sprache lange | |
fremd bleibt oder nicht. Schließlich werden die Laute in der Kindheit durch | |
Imitation erlernt. Khider beschreibt seinen Kampf mit den Umlauten wie „ä“ | |
oder „ü“ und wie er zur allgemeinen Belustigung „Klowein“ statt „Gl�… | |
bestellen wollte. | |
Es hängt von der Herkunftssprache ab, wie schwer einem das Deutsche fällt. | |
„Jemand, der aus Bosnien kommt, hat weniger Probleme mit der deutschen | |
Schrift und der Aussprache als jemand aus Vietnam“, sagt Mohr. Wer etwa den | |
Unterschied zwischen „a“ und „ä“ gar nicht heraushöre, könne diese L… | |
auch nicht richtig imitieren und wer das „r“ nicht kenne, könne es auch | |
erst mal nicht nachsprechen, erklärt Mohr. | |
Wer als Deutsche schon mal versucht hat, Arabisch zu lernen, weiß, wie | |
schwer es ist, eine Sprache zu lernen, deren Kehllaute man vorher so noch | |
nie gehört hat. Ganz zu schweigen von den asiatischen Sprachen wie etwa | |
Thai, in denen die Tonhöhe entscheidet, was das Wort „mai“ in diesem Moment | |
genau bedeutet. Schon osteuropäische Sprachen mit diversen Varianten des | |
„sch“ sind eine Herausforderung für Deutsche. | |
## „de“ statt „der, die, das“, oder „e“ statt „ein, eine“ | |
Babashahabi wünscht sich von den deutschen Gesprächspartner:innen | |
„mehr Geduld“, nicht gleich jede Korrektur eines grammatikalischen Fehlers | |
und die Bereitschaft, sich auf das Gegenüber einzustellen. „Es geht doch | |
darum, den Inhalt der Kommunikation zu verstehen“, sagt sie. | |
Babashahabi hatte im Iran ein vierjähriges Studium in der Pflege | |
absolviert, spricht Farsi, Kurdisch, Englisch und Deutsch und stieß dann in | |
Deutschland auf Gesprächspartner, die sie als ungebildet wahrnahmen, nur | |
weil sie den Akkusativ, die Artikel oder die Zeiten im Deutschen nicht | |
korrekt benutzte. „Man gilt dann schnell als dumm“, erzählt sie. | |
Ausländische Pflegekräfte, die sie in Deutschland betreut, berichten ihr, | |
dass die deutschen Kolleg:innen „oft ungeduldig sind und sich abwenden, | |
wenn man etwas nicht versteht oder sich nicht gleich richtig ausdrücken | |
kann“. | |
Dabei sehen deutsche Muttersprachler oft nicht, dass ihnen gegenüber eine | |
Zuwanderin steht, die im Hirn zwei grundverschiedene Sprachuniversen zu | |
integrieren, aufzunehmen, abzuspeichern und abzurufen hatte und hat und | |
daher die viel größere Sprachleistung vollbringt. | |
## Fehlertoleranz ist notwendig | |
Viel Engagement und Fehlertoleranz sind nötig, auf allen Seiten. Im | |
Handwerk zum Beispiel muss man zu Beginn einer Lehre, einer dualen | |
dreijährigen Berufsausbildung, eigentlich das Sprachniveau B 2 haben, sich | |
also „spontan und fließend“ verständigen können, so der [2][Europäische | |
Referenzrahmen] für Sprachen, der die Levels festlegt. Aber: „Ein | |
mittelständischer Handwerksbetrieb in Berlin ist froh, wenn er überhaupt | |
Bewerbungen bekommt“, schildert Irena Büttner, Projektleiterin für | |
Ausbildungscoaching bei Arrivo Berlin. Es gebe Geflüchtete, die auch mit | |
den Sprachniveaus A 2 oder B 1 einen Ausbildungsplatz erhielten. Mit A 2 | |
muss man laut Europäischem Referenzrahmen lediglich Sätze und häufig | |
gebrauchte Ausdrücke verstehen und verwenden können, die mit der Person und | |
mit „Familie, Einkaufen, Arbeit, der näheren Umgebung“ zu tun haben. | |
Um die Berufsschule zu schaffen, müssten die Auszubildenden dann oft noch | |
zusätzlich Deutsch lernen, etwa durch ehrenamtliche Helfer:innen, die mit | |
ihnen jede Woche mehrere Stunden üben, sagt Büttner. Manche Azubis | |
besuchten auch noch Sprachkurse am Wochenende. | |
Vielen Geflüchteten ist der jahrelange Aufwand des Spracherwerbs zu groß, | |
sie landen in Helferberufen, in denen man mit wenig Deutsch durchkommt, | |
etwa in Restaurantküchen, beim Versandhandel, auf dem Bau. „Wir machen den | |
Leuten aber klar, wer längerfristig erfolgreich in seinem Job sein will und | |
gut Geld verdienen möchte oder später mal sogar einen eigenen Betrieb | |
gründen und leiten will, der muss eine Ausbildung machen und gut Deutsch | |
können“, sagt Katharina Schumann, Bildungsverantwortliche bei der | |
Handwerkskammer Berlin. | |
## Sprachlotsen wären gut | |
Mohr plädiert dafür, neue Wege auch in den Betrieben zu gehen. „Man könnte | |
etwa in den Teams Sprachlotsen bestimmen, die dann den Mitarbeitern aus dem | |
Ausland zur Seite stehen“, schlägt er vor. | |
Man muss sich nur mal vorstellen, man wandere als Deutsche wegen der Arbeit | |
aus nach Peking, Tokio, Kairo oder auch nur nach Budapest und müsse sich | |
dort vor Ort in der regionalen Sprache verständigen können, in Wort und | |
Schrift, ohne Dolmetscher:in. In den [3][Listen von Sprachinstituten] | |
gehören Japanisch, Mandarin, Arabisch und Ungarisch zu den schwersten | |
Sprachen der Welt. Viele Deutsche würden wohl hinschmeißen. | |
Wer von den Zuwanderern hier bei Deutsch nicht aufgibt, verdient viel | |
Respekt. | |
20 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb2521… | |
[2] https://www.europaeischer-referenzrahmen.de/ | |
[3] https://www.telc.net/en/about-telc/news/detail/5-most-difficult-languages-i… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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