| # taz.de -- Uhrmacherhäusl-Prozess in München: „Er wollte das Maximale raus… | |
| > Der Abriss eines denkmalgeschützten Gebäudes schockierte München. Nun | |
| > steht der Besitzer vor Gericht. Er soll die Zerstörung beauftragt haben. | |
| Bild: Absichtliche Zerstörung? Auf dem Müncher Immobilienmarkt wird mit allen… | |
| München taz | Der Sitzungssaal A 101 scheint etwas überdimensioniert in | |
| Anbetracht der doch sehr überschaubaren Anzahl an Prozessbeteiligten und | |
| Zuschauern. Mit Blick auf die Symbolträchtigkeit des Verfahrens könnte der | |
| größte Saal im Münchner Justizgebäude aber vielleicht doch genau der | |
| richtige sein. Schließlich geht es letztlich um die Frage, mit welch harten | |
| Bandagen mittlerweile auf dem Münchner Immobilienmarkt gekämpft wird. | |
| Hier in Saal A 101 also steuert nun das Verfahren um das mittlerweile in | |
| ganz München [1][berühmt gewordene Uhrmacherhäusl] in Giesing auf sein Ende | |
| zu. Am Montagvormittag hörte das Gericht noch zwei weitere Zeugen, die | |
| Licht in die Sache bringen sollten: Hat da einer aus reiner Profitgier ein | |
| denkmalgeschütztes Haus abreißen lassen, um dann mit neuen Wohnungen in der | |
| besten Lage den großen Reibach machen zu können? | |
| Am Freitag, dem 1. September 2017, fuhr zwischen 16 und 16.15 Uhr ein | |
| Caterpillar-Bagger gegen das leerstehende Häuschen in der Oberen Grasstraße | |
| im Münchner Stadtteil Obergiesing. Viel Widerstand boten die alten Gemäuer | |
| nicht, innerhalb einer Viertelstunde war [2][das Haus fast völlig | |
| niedergerissen]. Der Fahrer rannte davon, den Bagger ließ er stehen. Schon | |
| am Vortag hatte es eine Baggerattacke auf das Haus gegeben, ein Loch war in | |
| die Mauer geschlagen worden, die Polizei hatte daraufhin Absperrband | |
| angebracht. | |
| ## Verdacht lag auf der Hand | |
| Ein Haufen aus zertrümmertem Mauerwerk, Holzbalken, Dachziegeln war alles, | |
| was von dem Haus übrig war, das dort rund 180 Jahre lang gestanden hatte. | |
| Eines der letzten nicht vollends gentrifizierten Fleckchen in der Stadt, in | |
| der Immobilienspekulanten ihr Unwesen treiben wie sonst kaum wo in | |
| Deutschland. Tags darauf schlossen sich die Anwohner zusammen, hängten | |
| große Banner auf mit Schriftzügen wie „Mit krimineller Energie ein Denkmal | |
| zerstört“. Auch die Landeshauptstadt schloss sich dem Protest an – und | |
| machte sich daran zu verhindern, dass der Hauseigentümer Andreas S. Profit | |
| aus der Zerstörung des Hauses schlagen würde. | |
| Denn der Verdacht lag auf der Hand, dass S., Betreiber eines | |
| Handwerksbetriebs aus dem Münchner Umland, hinter der Aktion stand – um | |
| dort neu zu bauen, drei- oder vierstöckig. Da würden einige | |
| Eigentumswohnungen reinpassen, die man zu höchsten Preisen verkaufen | |
| könnte. S. soll das Haus im Jahr zuvor für 650.000 Euro gekauft haben. | |
| Klingt nach wenig für Münchner Verhältnisse. Allerdings war das Haus | |
| sanierungsbedürftig, denkmalgeschützt, bewohnt und klein. Die Stadt | |
| München, die das Vorkaufsrecht hatte, habe denn auch gleich wegen Größe und | |
| Zustand des Hauses abgewinkt, wie der als Zeuge geladene Voreigentümer am | |
| Montag dem Gericht erzählte. | |
| So sei das Haus selbst für einen Eigentümer kein gewinnversprechendes | |
| Objekt gewesen, sagte der vorherige Eigentümer aus. Er habe das Gebäude vor | |
| wenigen Jahren von seinem Onkel geerbt, der noch selbst darin gewohnt und | |
| die übrigen drei Wohnungen vermietet habe. Das Haus sei eine Bruchbude | |
| gewesen, erzählte der Mann, er habe sich außer Stande gesehen, sie zu | |
| sanieren. Als ihm ein Bekannter von einem eventuellen Kaufinteressenten | |
| berichtete, habe er sich daher sehr gefreut: „Ich war froh, dass jemand | |
| diese Hütte nimmt.“ Es habe dann zwar noch andere Gebote gegeben, aber das | |
| von S. sei das höchste gewesen: 460.000 Euro. Als ihm der Richter vorhält, | |
| bisher sei man von 650.000 Euro ausgegangen, meint der Zeuge allerdings, | |
| das sei auch möglich, er müsse noch mal in seinen Kontoauszügen nachsehen. | |
| ## Gute Laune beim Prozess | |
| Der 44-jährige Andreas S., ist nun gemeinsam mit dem damaligen | |
| Baggerfahrer, dem 51-jährigen Cüneyt C., wegen „gemeinschädlicher | |
| Sachbeschädigung“ sowie Beihilfe dazu angeklagt. S. wird zudem beschuldigt, | |
| die letzten verbliebenen Mieter des Hauses rausgeekelt zu haben, indem er | |
| etwa im Winter die Haustür ausgehängt und wegen der dann vereisten Leitung | |
| das Wasser und den Strom abgestellt habe. Damit konnte auch die Heizung | |
| nicht mehr betrieben werden. | |
| S. ist ein schmächtiger Mann mit schnittiger Frisur. Immer wieder unterhält | |
| er sich während der ersten Prozesstage rege mit seinen beiden Verteidigern. | |
| Er wirkt gut gelaunt. Einmal fragt der Richter ihn: „Kichern Sie etwa, Herr | |
| S.?“ – „Nein, nein.“ | |
| Der ehemals bei S. angestellte Kundendienstmonteur Sebastian O. ist so | |
| etwas wie der Kronzeuge der Anklage. Nach seiner Aussage wurde das | |
| Uhrmacherhäusl zweifelsfrei aus Kalkül abgerissen. Während sich andere | |
| Beschäftigte der Firma unwissend geben, sagt O., dass er damals bei der | |
| Oberen Grasstraße „mehr oder weniger die rechte Hand“ seines Chefs gewesen | |
| sei. In der Firma sei bekannt gewesen, „dass es abgerissen werden soll“. | |
| Von S. selbst habe er erfahren, dass das Haus aber unter Denkmalschutz | |
| steht. | |
| Zwar habe S. bei der Stadt die Sanierung beantragt. Dies sei aber nur | |
| geschehen, um den Abriss vorzubereiten, „ohne dass es auffällt“. S. habe | |
| ihm gesagt, dass er sich erkundigt hätte: Für einen illegalen Abriss würde | |
| man „maximal 150.000 Euro Strafe zahlen müssen“ und das sei die Sache wert. | |
| S. habe geplant, mehrstöckig zu bauen: „Er wollte das Maximalste | |
| raushauen.“ | |
| Die Version, die S. und der Baggerfahrer C. hingegen von ihren Anwälten | |
| über das Niederreißen mitteilen lassen, klingt wenig wahrscheinlich: S. | |
| habe sanieren wollen, doch aufgrund eines „psychischen Ausnahmezustands“ | |
| habe der Baggerfahrer die Häuser verwechselt. Eigentlich habe er ein Haus | |
| in Neuenstein bei Schwäbisch Hall abreißen sollen und nicht bemerkt, dass | |
| er sich in München befand. Eine damalige Geschäftspartnerin von C. hatte | |
| jedoch ausgesagt, auf der Baustelle in Neuenstein sei zu diesem Zeitpunkt | |
| gar nichts mehr abzureißen gewesen. | |
| Die Verteidiger von S., das kündigten sie bereits an, werden dennoch auf | |
| kompletten Freispruch plädieren. Der Abriss sei ein Versehen gewesen. So | |
| stellten sie auch am Montag erneut einige Beweisanträge und forderten die | |
| Befragung weiterer Zeugen. So sollen Fotos des Hauses unmittelbar vor dem | |
| Abriss „Ungereimtheiten in der Hypothese der Staatsanwaltschaft“ belegen. | |
| So habe es dort Aktionen gegeben, die mit Blick auf einen geplanten Abriss | |
| überhaupt keinen Sinn ergäben. Zudem weckten die Bilder Zweifel an der | |
| Aussage des Hauptbelastungszeugen O., wonach es im Haus schon | |
| Vorbereitungen für den Abriss, nämlich Einschnitte in Ziegel und | |
| Dachbalken, gegeben habe. Weitere Zeugen sollen belegen, dass es Gespräche, | |
| in denen der Angeklagte C. gestanden haben soll, den Abriss gegen Bezahlung | |
| vorgenommen zu haben, so nie gegeben habe. | |
| ## Immerhin nicht mit allem durchkommen | |
| Sollten die Angeklagten das Uhrmacherhäusl aus kalter Berechnung | |
| niedergerissen haben, dürfte der Plan, damit das ganz große Geschäft zu | |
| machen, jedenfalls nicht aufgegangen sein. Die Stadt hat S. angewiesen, das | |
| [3][Haus im Originalzustand wieder aufzubauen] – eine Verfügung, die zwar | |
| vom Verwaltungsgericht gekippt, dann aber vom Bayerischen | |
| Verwaltungsgerichtshof bestätigt wurde. Oberbürgermeister Dieter Reiter | |
| (SPD) forderte in der Abendzeitung bereits, es dürfe keine „Ausweitung der | |
| ursprünglichen Fläche geben, also keine zusätzlichen Räume im Keller, die | |
| über große Abgrabungen belichtet werden, und auch keine Erweiterung auf | |
| zwei Wohnungen“. | |
| Somit dürften die Giesinger unabhängig von dem frühestens für Ende des | |
| Monats erwarteten Urteil nun zum einen ihr Uhrmacherhäusl – oder zumindest | |
| eine gute Nachbildung – zurückbekommen und zugleich die Genugtuung haben, | |
| dass Immobilienspekulanten nicht mit allem durchkommen. Vorausgesetzt | |
| zumindest, sie gehen so unprofessionell wie in diesem Fall vor. | |
| 19 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Obere_Grasstra%C3%9Fe_1 | |
| [2] /Wohnraum-in-Muenchen/!5639574 | |
| [3] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-uhrmacherhaeusl-urteil-aufbau… | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
| Patrick Guyton | |
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