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# taz.de -- Uhrmacherhäusl-Prozess in München: Hohe Geldstrafe für Abriss
> Ein Münchner hatte 2017 sein eigenes denkmalgeschütztes Gebäude zerstören
> lassen. Dafür muss er nun mehr als 130.000 Euro Strafe zahlen.
Bild: Protest an der Häuserlücke, wo bis 2017 das denkmalgeschützte Uhrmache…
München taz | Im Prozess um den Abriss des [1][denkmalgeschützten
Uhrmacherhäusls im Münchner Stadtteil Giesing] ist das Urteil gesprochen:
Nach Auffassung des Amtsgerichts hat der Besitzer Andreas S. einen
Bauunternehmer beauftragt, sein eigenes Haus zu zerstören – um auf dem
Grund einen lukrativen Neubau zu errichten.
Dies wird als gemeinschädliche Sachbeschädigung angesehen. Zudem hält es
das Gericht für erwiesen, dass S. die letzten verbliebenen Bewohner, eine
Familie mit einem Kind, kalt entmietet und auf die Straße gesetzt hat. Das
Gericht verurteilte Andreas S. deshalb zu einer Geldstrafe von 132.500 Euro
und den Bauunternehmer zu 4.400 Euro.
Der Fall hatte in München und darüber hinaus für große Aufmerksamkeit
gesorgt, schien er doch ein besonders brutales Beispiel dafür zu sein,
[2][wie sich Immobilienhaie] auf dem extrem teuren Wohnungsmarkt verhalten.
## „Kriminelle Energie“
In seiner Urteilsbegründung nahm Richter Martin Schellhase kein Blatt vor
den Mund und kritisierte den 44-jährigen S., der einen Handwerksbetrieb im
Münchner Umland führt, auf harte Weise. S. habe eine „[3][äußerst
kriminelle Energie“] an den Tag gelegt und mit der Entmietung auch eine
„Gesundheitsgefährdung“ der Familie in Kauf genommen.
Fotos aus dem Haus, in dem S. den Strom und damit auch die Elektroheizung
abgestellt hatte, hätten das Treppenhaus als einen „Eisschrank“ aus
gefrorenem Wasser gezeigt. „Die Familie war im tiefsten Winter vier Tage
obdachlos.“ Dies ist für Schellhase „schlichtweg unanständig und
menschenverachtend“.
S. hatte das rund 180 Jahre alte sanierungsbedürftige Baudenkmal 2016 laut
Anklage für 650.000 Euro gekauft. Einst hatte in der Oberen Grasstraße 1
ein Uhrmacher gelebt und gearbeitet, deshalb der Name. Als die Mieter
rausgeekelt waren, kam am 31. August 2017 ein Bagger und riss ein Loch in
die Fassade.
Anwohner stellten sich in den Weg und verhinderten weiteres, die Polizei
brachte Absperrband an. Tags darauf jedoch erschien erneut ein Fahrer im
Bagger und war erfolgreicher: [4][Innerhalb von 15 Minuten wurde das Haus
fast völlig niedergerissen.]
## Orignaltreuer Wiederaufbau
Daraufhin gründete sich der Verein „Heimat Giesing“, der bis heute Aktionen
und Mahnwachen abhält und den originalgetreuen Wiederaufbau des Hauses
verlangt. Diesen hat die Stadt dem Besitzer Andreas S. auch auferlegt, laut
[5][Oberbürgermeister Dieter Reiter] (SPD) soll er unter keinen Umständen
nicht doch noch Profit aus seiner Tat ziehen können.
Der völlig anderen Version der Verteidiger, die Freispruch gefordert
hatten, folgte das Gericht in keinster Weise. Sie hatten von einem Abriss
„aus Versehen“ gesprochen. S. habe durchaus sanieren wollen. Der Bagger sei
fälschlicherweise nicht zu einer Baustelle nach Neuenstein bei Schwäbisch
Hall, sondern ans Uhrmacherhäusl gebracht worden.
Der Bauunternehmer habe sich an diesem Tag in einem psychischen
Ausnahmezustand befunden wegen Eheproblemen und einem Drohanruf aus seiner
türkischen Heimat. So habe er in einer „Kurzschlusshandlung“ das Haus
abgerissen.
Richter Schellhase zerlegte in seiner Begründung diese abenteuerlich
wirkende Konstruktion. „Das Elend begann mit einer Lüge und das Drama
endete mit einer Lüge“, sagte er. So habe Andreas S. schon nach dem Kauf
des Hauses die Mieter mit einer gelogenen Eigenbedarfskündigung loswerden
wollen. Er habe nicht, wie behauptet, mit Partnerin und Kind nach Giesing
ziehen wollen – denn das Paar war längst getrennt, die Frau lebte mit dem
Kind woanders.
Für die angebliche Sanierung sei keinerlei Baumaterial bestellt gewesen, so
der Richter. Auch stimme die Bagger-Geschichte nicht: In Neuenstein sei zu
diesem Zeitpunkt keine Baumaschine mehr benötigt worden, da das dortige
Haus längst abgerissen war.
## Zeuge packte aus
Vor allem aber schenkte das Gericht dem Hauptbelastungszeugen Sebastian O.,
im Wesentlichen Glauben. O. war einst bei S. beschäftigt. Als Zeuge sagte
er aus, dass er beim Uhrmacherhäusl „mehr oder weniger die rechte Hand“
seines Chefs gewesen sei. Ihm und auch in der Firma allgemein sei bekannt
gewesen, dass S. das Gebäude einreißen wollte. Er plante, so S. in seiner
Aussage, dort mehrstöckig zu bauen: „Er wollte das Maximalste raushauen.“
Angelika Luible-Gariboldi von „Heimat Giesing“ zeigte sich zufrieden mit
dem Urteil: „Das Gericht hat die Märchen von S. nicht geglaubt.“ Die
Verteidigung kann Rechtsmittel einlegen. Der verurteilte Andreas S. verließ
noch während der Urteilsbegründung als Erster den Gerichtssaal. Er musste
zum Flieger in den Urlaub.
29 Jul 2022
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## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Mietenprotest
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München
Sanierung
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