# taz.de -- Petersberger Klimadialog: Deals mit dem schlechten Gewissen | |
> Bei der 13. Auflage des internationalen Ministertreffens geht es darum, | |
> Schadenersatz für arme Länder voranzubringen. Das Thema war jahrelang | |
> tabu. | |
Bild: Loss and Damage: Wer kommt für Klimaschäden wie hier bei Überflutungen… | |
BERLIN taz | Der [1][Hurrikan „Maria“ traf die Karibikinsel Dominica am 18. | |
September 2017]. Mit Windstärken bis zu 250 Stundenkilometern zerstörte er | |
90 Prozent aller Hausdächer, überflutete mit Regengüssen und anschwellenden | |
Flüssen die Insel, zerstörte die Ernten, die Wasser- und Stromversorgung. | |
80 Prozent der Bevölkerung, 65.000 Menschen, waren nach Angaben der | |
Regierung direkt betroffen, 31 starben, 39 wurden vermisst. | |
Und „Maria“ war für Dominica auch eine Wirtschaftskatastrophe: Die Schäden | |
an Gebäuden und Häusern, die Verluste bei Tourismus und Landwirtschaft | |
summierten sich auf 1,3 Milliarden Dollar – mehr als das Doppelte der | |
gesamten Wirtschaftsleistung des armen Karibikstaates. Übertragen auf | |
Deutschland hieße das: ein Schaden von 7 Billionen Euro. | |
Um Hilfe für die ärmsten Länder und einen Ausgleich für ihre immensen | |
ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Schäden durch die | |
Klimakrise dreht sich deshalb jetzt die heißeste und bitterste Debatte bei | |
den UN-Klimaverhandlungen: Das Tauziehen um [2][„Loss and Damage“], also | |
Verluste und Schäden, wird damit zum entscheidenden Thema der Konferenz | |
COP27 im ägyptischen Sharm el Sheikh im November und der nächsten Jahre. | |
Auch beim „Petersberger Klimadialog“, der ab dem heutigen Montag auf | |
Einladung der Bundesregierung stattfindet, steht das Thema ganz oben auf | |
der Tagesordnung. | |
Die „afrikanische COP“ im November will unter der Führung Ägyptens Erfolge | |
vorweisen, und auch der jahrzehntelange Widerstand der Industrieländer wird | |
schwächer. „Wir brauchen jetzt mehr Kreativität bei solchen Lösungen“, | |
heißt es aus der Bundesregierung. Ein anderer hochrangiger Vertreter eines | |
Industrielandes sagte bei der Konferenz in Glasgow: „Bei Loss and Damage | |
muss dringend etwas passieren. Den Leuten fliegen die Häuser weg, und wir | |
tun nichts. Das geht so nicht.“ | |
## Unverbindlich, ohne Ziel, ohne Enddatum | |
Ein Jahrzehnt lang ging das aber durchaus so. Schon 2013 wurde bei der | |
UN-Klimakonferenz der sogenannte Warschau-Mechanismus vereinbart – nach | |
einer emotionalen Rede des philippinischen Delegierten Yeb Sano, der vom | |
Leiden seiner Familie im Taifun „Hayan“ sprach, der zeitgleich zur | |
Konferenz die Philippinen verwüstete. Allerdings war der Mechanisimus, | |
ähnlich wie das 2019 beschlossene Santiago-Netzwerk, zum großen Teil ein | |
Forum für unverbindliches Reden. Auch in Glasgow wurde nur ein Dialog zum | |
Thema eingerichtet, ohne Ziel und Enddatum. | |
Wirklichen Fortschritt gab es in den letzten Jahren vor allem bei | |
Versicherungslösungen wie der [3][Munich Climate Insurance Initiative | |
(MCII)], die der Rückversicherungskonzern Münchner Rück 2005 mit NGOs und | |
Geberländern ins Leben rief. Bislang sind 98 Prozent der Klimaschäden in | |
armen Ländern nicht versichert. Für solche Verluste sollen diese nun im | |
Zweifel schnell und unbürokratisch entschädigt werden. | |
Jährlichen geschätzten Verlusten von 250 Milliarden US-Dollar stehen etwa | |
400 Millionen der MCII entgegen. Aber diese Deals haben Vorteile auf vielen | |
Seiten: Die Betroffenen bekommen schnell und effizient Hilfe, die | |
Versicherungskonzerne erhalten einen Einstieg in potenzielle Märkte der | |
Zukunft. Und die Industriestaaten leisten Hilfe, erkennen aber keine | |
rechtliche Verpflichtung dafür an. | |
## Historische Schuld | |
Das große Problem bei Loss and Damage heißt nämlich Verantwortung oder | |
historische Schuld. Alles, was darauf hinausläuft, die klassischen | |
Industrieländer für ihren CO2-Ausstoß der letzten 150 Jahre in die | |
rechtliche Verantwortung zu nehmen, ist für diese ein rotes Tuch. Ihre | |
Angst: Gestehen sie zu, dass sie Schadenersatz leisten müssen, könnten | |
endlose Klagen und im Zweifel Urteile über Ausgleichszahlungen folgen, die | |
an ihre Existenz gehen. Bei den Verhandlungen sitzt den Forderungen nach | |
verlässlicher Hilfe für die armen Länder in Klimanotfällen deshalb häufig | |
das schlechte Gewissen der reichen Verursacher des Problems gegenüber. | |
Auch deshalb beugen sich an einem heißen Juninachmittag in einem voll | |
besetzten Seminarraum des Bonner Konferenzzentrums etwa 100 Menschen aus | |
der globalen Klimaschutzszene über ihre Smartphones. „Schreibt auf, welche | |
Begriffe euch zu Loss und Damage als Erstes einfallen“, hatte Harjeet Singh | |
vom Climate Action Network bei diesem [4][Workshop am Rande der | |
UN-Klimaverhandlungen] gesagt. „Verantwortung“, „Reparationen“, | |
„Schadenersatz“ steht nun da. Singh wirbt seit Jahren für eine | |
Loss-and-Damage-Regelung und sagt: „Diese Sprache nutzen wir heute kaum | |
noch. Vor zehn Jahren haben wir unsere Begriffe gezähmt, weil wir hofften, | |
etwas dafür zu bekommen. Das war eine Illusion.“ | |
Tatsächlich ist effektiv wenig passiert. Arme Länder und Advokaten der | |
Klimagerechtigkeit haben ihre radikale Sprache gedrosselt. Heute stellen | |
sie nicht mehr die Schuld der Reichen in den Vordergrund. Aber die großen | |
Themen bei den COPs sind immer noch Emissionssenkung (Mitigation), | |
Finanzierung (das noch unerfüllte Versprechen von 100 Milliarden Dollar | |
Krediten und Zuschüssen pro Jahr ab 2020) und Anpassung an den Klimawandel | |
(Adaptation). Erst dann kommt Loss and Damage. | |
Was aber passiert, wenn Anpassung nicht mehr reicht, ist in der | |
eskalierenden Klimakrise immer deutlicher geworden. Eine Fallsammlung der | |
Thinktanks IIED und ICCCAD hat 2021 einige anschauliche Beispiele | |
gesammelt: In Tansania etwa belasten abwechselnd Dürren oder Überflutungen | |
die Infrastruktur; in Indien leidet die Region Chitrakoot immer stärker | |
unter extremer Hitze und Wassermangel; in Bhutan bedroht die | |
Gletscherschmelze Dörfer und Straßen; in Sri Lanka verändert Migration | |
aufgrund von Klimawandel die Gesellschaft; in Java und Bangladesch verliert | |
die Bevölkerung ihr Land an den steigenden Meeresspiegel; am Tschadsee wird | |
der Klimawandel zum Sicherheitsrisiko. | |
## Kritische Masse erreicht? | |
„Viele Länder erleben neue Formen der Klimaeinflüsse von hoher Intensität, | |
auf die sie nicht angemessen reagieren können“, heißt es im Report. „Die | |
Kapazitäten der Länder und Gemeinschaften werden derart überbeansprucht, | |
dass sie sich nicht mehr an den Klimawandel anpassen können.“ Die | |
Empfehlung der AutorInnen ist klar: „Schäden und Verluste passieren jetzt. | |
Wir müssen dringend neue Herangehensweisen finden oder auf alten aufbauen, | |
um den immer diverseren Klimarisiken von heute und in der Zukunft zu | |
begegnen.“ | |
Dafür haben die Entwicklungsländer nun klare Forderungen, sagt auch | |
Madeleine Diouff Sarr vom Umweltministerium des Senegal und Leiterin der | |
Gruppe der ärmsten Länder: „Für uns ist es wichtig, Loss and Damage endlich | |
in den formellen Prozess der Verhandlungen aufzunehmen“, sagt sie – als | |
regelmäßigen Tagesordnungspunkt bei den UN-Verhandlungen, wo über die | |
Finanzierung geredet werde. Zudem brauche es eine „Finanzfazilität“ dafür. | |
Das ist eine Institution mit eigenem Personal und Strukturen, die sich um | |
Geld für solche Maßnahmen kümmert. „Wir brauchen Meilensteine auf dem Weg | |
zu einem klaren Fahrplan und für die Finanzierung“, so Diouff Sarr. | |
„Es hat sich eine kritische Masse gebildet, die das Thema nach vorn | |
bringt“, sagt auch Christoph Bals, Experte der Klima- und | |
Entwicklungsorganisation Germanwatch. Die Klimakrise sei nicht mehr zu | |
ignorieren. „Seit der Katastrophe im Ahrtal mit 30 Milliarden Euro Schäden | |
wissen wir auch in Deutschland, was Verluste und Schäden im Klimawandel | |
sind.“ Dazu komme: Die sogenannte Zuordnungswissenschaft, die | |
Attributionsforschung, kann immer deutlicher bestimmen, wie viel | |
Klimawandel in einer Naturkatastrophe wie etwa einer Hitzewelle steckt. | |
Und immer bedrohlicher für Konzerne und Staaten werden auch Klagen, die sie | |
für Klimaschäden haftbar machen. Germanwatch etwa unterstützt seit Jahren | |
einen peruanischen Bergführer, der RWE verpflichten will, den Schutz seines | |
Heimatorts mitzufinanzieren: Der schmelzende Gletscher sei teilweise auch | |
von RWEs CO2-Emissionen verursacht. Einen grundsätzlichen Beschluss des | |
Gerichts, dass es eine solche Verantwortung geben könne, haben die Kläger | |
schon erreicht. | |
Bals kann sich auch einen Kompromiss vorstellen: einen regelmäßigen | |
Tagesordungspunkt für Loss and Damages und dann ergänzend zu den zähen | |
Verhandlungen für eine offizielle „Fazilität“ zunächst eine „Koalition… | |
Willigen“ als Schrittmacher – Staaten, die sich freiwillig | |
zusammenschließen und Kriterien und Finanzmittel für Hilfen festlegen. | |
In Glasgow hat Schottland einen Anfang gemacht und eine Million Britische | |
Pfund versprochen – wenig Geld, aber ein Symbol, ein erstes Mal, dass ein | |
Industrieland Geld für diese Verluste zur Verfügung stellt. Potenzielle | |
Geber treffen sich nun beim Petersberger Klimadialog. | |
Die Summen sind gewaltig, aber für die Finanzierung haben zumindest die | |
KlimaschützerInnen vom Climate Action Network Ideen. Sie fordern etwa eine | |
weltweite Steuer auf fossile Treibstoffe. Oder schlicht Staatsverschuldung: | |
„Wir haben gesehen, dass Geld im Zweifel nicht das Problem ist“, sagte ein | |
Teilnehmer, was zähle, sei der politische Wille. „Bei Covid und der | |
Aufrüstung wegen des Ukrainekriegs war in den Industriestaaten sehr viel | |
Geld verfügbar.“ | |
18 Jul 2022 | |
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[4] /Klimaverhandlungen-in-Bonn/!5859423 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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