| # taz.de -- Lehrkräftemangel in Berlin: Die Chance auf Veränderung | |
| > Eine Grundschule will wegen des dramatischen Lehrkräftemangels die | |
| > Unterrichtstunden auf 40 Minuten kürzen. Dramatisch? Nein, kreativ. | |
| Bild: Fällt oft aus in Berlin wegen Lehrer*innenmangel: Unterricht | |
| Weil sie [1][zuwenig Lehrer*innen im kommenden Schuljahr] hat, wollte | |
| die Grundschule am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg kreativ werden: Sie | |
| kündigte zu Wochenbeginn in einem Schreiben an die Eltern an, die Stunden | |
| von 45 auf 40 Minuten zu verkürzen und den Unterricht außerdem erst um 8.30 | |
| Uhr beginnen zu lassen. Das sollte die Kapazitäten beim Förderunterricht | |
| erhalten, mehr konzentrierten „Blockunterricht“ über längere Zeiteinheiten | |
| erlauben, und Raum für „individuelle Lernzeiten“ vor dem offiziellen | |
| Unterrichtsbeginn schaffen. Es werde übrigens nicht weniger unterrichtet, | |
| schrieb die Schulleitung in einem Brief an die Eltern – es werde nur | |
| umverteilt. | |
| Zwar ruderte die Schule zwei Tage später zurück, wie die Morgenpost | |
| berichtete: Ganz so fix werde das nicht zu organisieren sein. Man verfolge | |
| das Konzept aber weiter, nun zum Schuljahr 2023/24. | |
| Wie dem auch sei: Wenn die Umstände – der Fachkräftemangel, der auch im | |
| kommenden Jahr noch eklatant sein wird – nicht wären, könnte man sagen: Wie | |
| schön! Und bitte mehr davon. Mehr Schulen, die ebenso kreativ werden mit | |
| Stundenmodellen und Unterrichtsbeginn und Umverteilung hin zu Dingen, die | |
| sie stärken wollen (oder zumindest nicht noch mehr schwächen wollen). | |
| Denn tatsächlich müssen 45 Minuten pro Schulstunde und ein Schulstart früh | |
| um 8 Uhr – an manchen Schulen geht es auch noch früher los – ja nicht in | |
| Stein gemeißelte Naturgesetze sein. Sogar was die Zahl der | |
| Unterrichtsstunden angeht, erlaubt die Kultusministerkonferenz durchaus | |
| flexible Lösungen: Ein [2][Vorschlag von SPD-Bildungspolitiker*innen] | |
| zielte jüngst genau darauf ab. Statt einer fixen Zahl von Pflichtstunden, | |
| etwa für Naturwissenschaften und Fremdsprachen, will man den Schulen | |
| erlauben, über ein flexibles „Stundenkontingent“ zu verfügen. So hätten … | |
| Schulleitungen etwas freiere Hand, was sie an ihren Schulen stärken wollen | |
| beziehungsweise können, mit jenen Lehrkräften, die ihnen überhaupt zur | |
| Verfügung stehen. | |
| Auch die Grünen fordern in einem „Strategiepapier Lehrkräftebedarf“, nicht | |
| bei den Schwächsten zu kürzen, also beim Förderunterricht. Außerdem soll | |
| ein Runder Tisch mit sämtlichen bildungspolitischen Akteur*innen der | |
| Stadt darüber nachdenken, wie man dem Mangel, der noch einige Jahre | |
| erhalten bleiben dürfte, kreativ begleiten kann. Zum Beispiel könnten ja | |
| auch Sportvereine ein Angebot machen, das dann eben nicht mehr klassischer | |
| Sportunterricht ist – vielleicht wäre das sogar motivierender als 45 | |
| Minuten Geräteturnen. | |
| Rund 1.000 Fachkräfte werden zum kommenden Schuljahr fehlen, hatte | |
| Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) schon im Mai gesagt. Busse will | |
| allerdings, dass die Schulen beim Förderunterricht sparen und bei | |
| sogenannten „Profilstunden“ – also zum Beispiel bei Musik- und | |
| Kunststunden, falls die Schule eine entsprechende Schwerpunktsetzung hat. | |
| Auf keinen Fall soll der normale Fachunterricht angekratzt werden. | |
| Das kann man pragmatisch nennen, und es wird sicher auch viele Stimmen in | |
| den Schulen geben, die Busse Recht geben: Bei Pflichtstunden kürzen? Wo | |
| Berlin doch in Leistungsvergleichen mit anderen Bundesländern immer so | |
| miserabel da steht? | |
| ## Wenig mutig | |
| Man kann die Strategie der Senatorin aber auch schlicht wenig mutig nennen. | |
| Denn es stimmt ja auch, dass eine Mathestunde erst dann gut investiert ist, | |
| wenn der Schüler überhaupt eine Chance hat, etwas zu lernen. Für viele ist | |
| das ohne (Sprach-)Förderung oder eine zweite Lehrkraft in der Klasse | |
| schlicht nicht denkbar. | |
| Bei der Grundschule am Kollwitzplatz müsse noch die Schulkonferenz dem | |
| geplanten Schulversuch zustimmen. Nach einem Jahr soll Bilanz gezogen | |
| werden. Spannend. Manchmal ist es so, dass man Dinge, die man aus der Not | |
| heraus zunächst anders machen muss, am Ende auch anders machen will. Und | |
| das wäre ja nichts Schlechtes. | |
| 2 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Anna Klöpper | |
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