# taz.de -- Fast 1.000 Lehrkräfte fehlen in Berlin: Kampf gegen die Lücke | |
> Im kommenden Schuljahr fehlen 920 Lehrkräfte, prognostiziert die | |
> Bildungsverwaltung. Jetzt soll ein stadtweites „Bewerbermanagement“ | |
> kommen. | |
Bild: Ist doch eigentlich ein toller Job, aber zu wenige wollen ihn machen: Leh… | |
BERLIN taz | 920 Lehrkräfte werden den Schulen im August fehlen. Das ist | |
die offizielle Prognose, die [1][Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse | |
(SPD)] am Dienstag im Senat vorstellen musste. Zwar sei der fachliche | |
Unterricht nicht in Gefahr, versichterte die Senatorin: „Die Stundentafel | |
wird abgedeckt.“ Aber klar sei auch, dass es eine „Lücke“ geben werde bei | |
allem, was die Schulen on top leisten: Sprachförderung, Sport- oder | |
Musikprofile. Man könne, sagte Busses Referatsleiter für Personalfragen, | |
Holger Schmidt, „100 Prozent Personalausstattung nicht mehr garantieren“. | |
Die hatten viele Schulen allerdings auch schon vorher nicht. Die | |
Unterschiede waren zum Teil riesig: Schulen mit gutem Ruf in besseren | |
Wohnlagen haben oft sogar – trotz Fachkräftemangel – eine | |
Personalausstattung von 120 Prozent; das heißt, sie haben viel Kapazität | |
für Projekte, Lernförderung, Extras. Schulen in Brennpunkten hingegen | |
wissen oft kaum, wie sie ihre offenen Stellen besetzen sollen, obwohl sie | |
in der Regel gerade mehr Ressourcen für Sprachförderung oder | |
Schulsozialarbeit brauchen. | |
Busse hat sich deshalb etwas Neues ausgedacht. Sie wolle den allgemeinen | |
Mangel gerechter über die Stadt verteilen, erläuterte sie am Dienstag. Das | |
Neue heißt „Einstellungskorridor“ und funktioniert so: Die Schulaufsichten | |
in den Bezirken sollen künftig die Personalausstattung und sozialräumliche | |
Lage jeder Schule in den Blick nehmen. Diejenigen Schulen, die schlechter | |
dastehen als andere bei diesem „Monitoring“ sollen bevorzugt werden beim | |
Lehrer*innen-“Casting“ (das wirklich so heißt). Anders gesagt: | |
Bewerber*innen bekommen eine Vorauswahl an Schulen, an denen sie sich | |
überhaupt bewerben können. | |
„Wir müssen punktgenauer gucken“, sagte Busse, auch mit Blick auf den | |
[2][sich weiter verschärfenden Lehrkräftemangel]. Denn das erklärte Ziel | |
sei, auch alle Extras wie Sprachförderung „vollumfänglich zu ermöglichen�… | |
Mit der „Lücke“, die sich in diesem Bereich im kommenden Schuljahr auftue, | |
könne man nicht zufrieden sein. | |
Referatsleiter Schmidt sprach von einem „stadtweiten Bewerbungsmanagement“, | |
das man an den Start bringe. Und: „Wir werden bis zum letzten Tag ringen um | |
jede und jeden.“ | |
## Weniger Quereinsteiger*innen | |
Klar ist aber auch: An der Lücke von fast 1.000 Lehrkräften wird sich | |
zumindest in diesem Sommer nicht mehr viel ändern lassen. Die großen | |
Einstellungsrunden für die Referendar*innen sind im Mai bereits | |
gelaufen. Auch das Potenzial bei den Quereinsteiger*innen, die in den | |
vergangenen Jahren die größte Not linderten, sieht Schmidt weitgehend | |
abgeschöpft: „Der Quereinstieg ist kein großes Reservoir mehr, die | |
Bewerbungslage ist eher rückläufig.“ | |
Insgesamt werden laut Bildungsverwaltung 2.645 Vollzeitstellen benötigt, | |
die Gewerkschaft GEW rechnet damit, dass dafür 3.000 Personen gefunden | |
werden müssen, weil nicht alle Vollzeit arbeiten. 1.000 Bewerber*innen | |
sind laut GEW voll ausgebildet. Weitere 350 schließen ihr Referendariat im | |
Sommer ab. | |
Das erste Echo auf Busses Idee einer stärkeren stadtweiten Steuerung fällt | |
am Dienstag gemischt aus. Grundsätzlich „begrüße ich diesen Versuch“, sa… | |
etwa Arnd Niedermöller, Schulleiter am Lichtenberger Kant-Gymnasium und | |
Vorsitzende der Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren. | |
Niedermöller fürchtet aber auch, dass das Instrument wirkungslos bleibt, | |
weil Lehrkräfte immer noch genug Optionen haben, wenn sie eine Schule nicht | |
wollen: Immerhin suchten auch andere Bundesländer händeringend | |
Lehrer*innen. Oder sie ließen sich eben an einer Schule erstmal nur | |
befristet als Aushilfskraft anstellen statt sich auf reguläre Stellen zu | |
bewerben. Die Schulen sind schließlich schlicht froh um jede*n, der sich | |
überhaupt bewirbt. | |
## Kollegiale Hilfe | |
Niedermöller, der selbst alle Lehrkräfte für das kommende Schuljahr | |
beisammen hat, hat noch eine andere Idee. „Die Schulen mit | |
überdurchschnittlicher Personalausstattung könnten als Prinzip der | |
Solidarität Lehrkräfte befristet an die Schulen abgeben, die weniger gut | |
ausgestattet sind.“ Natürlich müsse man bei diesen „befristeten | |
Umsetzungen“ auf die Freiwilligkeit der Kolleg*innen bauen, betont | |
Niedermöller. Er selbst mache das bereits, und habe eine Sportlehrerin aus | |
dem Kollegium überzeugt, im nächsten Jahr an einer nahe gelegenen | |
Grundschule im Bezirk auszuhelfen. Tatsächlich ist in Lichtenberg die | |
Schere zwischen Schulen mit guter und schlechter Personalausstattung | |
besonders krass, wie es auch am Dienstag von Seiten der Bildungsverwaltung | |
hieß. Bei den Schulformen wiederum haben Gymnasien eher weniger Probleme, | |
Personal zu finden. | |
Auch in der Koalition fand Busses Vorstoß Zuspruch: „Die Idee ist zu | |
begrüßen“, sagte Franziska Brychy, bildungspolitische Sprecherin der | |
Linke-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Aber das Instrument muss man nochmal | |
nachdenken.“ Auch Brychy fürchtet, dass man Bewerber*innen im | |
„bundesweiten Wettbewerb“ eher verliert, wenn man ihnen nicht die freie | |
Arbeitsplatzwahl lässt. „Ich wünsche mir da mehr Charmeoffensive statt | |
Zwang.“ Man könne zum Beispiel Masterstudierende schon im Praxissemester an | |
die schwierigeren Schulen schicken – und hoffen, dass sie dann vielleicht | |
doch bleiben wollen. | |
Dass das gar nicht so unrealistisch ist, sagt auch Corinna Dräger, Leiterin | |
der Spandauer Linden-Grundschule: „Von 4 Masterstudierenden, die im | |
Praxissemester zu uns gekommen sind, sind 3 wieder gekommen und geblieben.“ | |
Es müssten sich aber auch im Kollegium Lehrkräfte finden, die sich zu | |
Mentor*innen ausbilden lassen, um die Studierenden gut zu betreuen. Das | |
allerdings sind genau die „Extras“, an denen die Schulen | |
„eigenverantwortlich“, wie Busse betonte, sparen müssen. | |
Im Kampf gegen die Lehrer*innen-Lücke will Busse auch noch andere Register | |
ziehen: So können Schulleiter*innen künftig auch Logopäd*innen oder | |
Ergotherapeut*innen auf Lehrer*innenstellen setzen. Für diese | |
[3][„multiprofessionellen Teams“ gab es in den laufenden | |
Haushaltsverhandlungen zuletzt nochmal extra Geld]. | |
Auch die Vollzeitquote soll erhöht werden: Schulleiter*innen sollen | |
aktiv dafür werben, dass ihre Lehrkräfte Vollzeit arbeiten. Derzeit betrage | |
die Teilzeitquote an den Schulen 37 Prozent, ein Wert, der sie in der Höhe | |
auch „überrascht“ habe, sagte Busse. Eine Heraufsetzung der | |
Mindeststundenzahl, wie es Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried | |
Kretschmann (Grüne) jüngst für sein Bundesland ins Spiel brachte, werde es | |
„aber definitiv nicht geben“, sagte Busse. | |
Eine Reserve von etwa 350 Vollzeitstellen schlummert auch noch in der | |
Altersermäßigung – bis zu 2 Stunden pro Woche können Lehrkräfte über 60 | |
ihre Arbeitszeit reduzieren. Ob man da konkret ran wolle, ließ Busse aber | |
offen. | |
Wie viele wegen der heiß diskutieren Verbeamtung – die ab Sommer für | |
Neueinstellungen wieder möglich ist in Berlin –, aus anderen Bundesländern | |
zurückgekommen sind, ist noch unklar. Es seien „einige“, sagte Busse. | |
Genaue Zahlen habe man noch nicht. | |
Unklar ist auch, ob nicht sogar noch mehr als die 920 Lehrer*innen | |
fehlen könnten. Linke-Politikerin Brychy und auch der Berliner Vorsitzende | |
der Gewerkschaft GEW, Tom Erdmann, kritisierten, dass die Prognose nicht | |
die geflüchteten Kinder aus der Ukraine berücksichtige. Der | |
Einstellungsbedarf von 3.000 Lehrkräften zum Sommer könne noch zu niedrig | |
angesetzt sein, fürchtet Brychy. | |
24 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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