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# taz.de -- Drastischer Lehrermangel in Berlin: Her mit den Logopäd*innen!
> Der Lehrermangel wird vorerst bleiben. Zeit, darüber nachzudenken, wie
> man schwer vermittelbare Schulen attraktiver macht. Ein Wochenkommentar.
Bild: Ohne Lehrer*in geht hier gar nichts: Klassenzimmer in Berlin
Wenn das Tischtuch einfach zu kurz ist, kann man ziehen und zerren, wie man
will – es passt einfach nicht. Irgendwo bleibt immer etwas bloßgelegt. Und
entblößt werden bei der anhaltenden Misere um immer mehr fehlende
Lehrkräfte für die Berliner Schulen vor allem die Fehler der Vergangenheit.
Viel zu spät haben die Universitäten vor einigen Jahren begonnen, ihre
Ausbildungskapazitäten fürs Lehramt hochzufahren. Und irgendwie sind sie
auch noch in der Mitte stecken geblieben: 2.000
Lehramtsabsolvent*innen pro Jahr sind das gesteckte Ziel, aber nur
rund 900 werden tatsächlich fertig. Das liegt nicht allein an den Unis, die
selbst unter Lehrkräftemangel leiden, sondern auch daran, dass doch nicht
so viele junge Leute auf Lehramt studieren wollen, wie gedacht.
Nun fehlen jedes Schuljahr mehr Lehrer*innen, die Lücke vergrößert sich,
weil gleichzeitig die Zahl der Schüler*innen wächst, und das Potenzial
bei den Quereinsteiger*innen stagniert. Zum Start des kommenden
Schuljahrs [1][im August werden es erstmals knapp 1.000 sein] – 920, um
genau zu sein, wie [2][Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD)] diese
Woche erklärt hat.
Wobei es in dieser Stadt gut sein kann, dass der eine Schulleiter kaum
etwas mitkriegt von dem Kampf um die Fachkräfte – weil er zum Beispiel in
einem gut situierten Stadtteil ein Gymnasium leitet, auf das alle fliegen:
die bildungsbewussten Eltern im Kiez und die jungen Lehrkräfte auch, weil
sie sich hier motivierte Kinder und weniger Stress versprechen (die
übermotivierten Eltern nimmt man in Kauf).
Dann ist da aber auch die Schulleiterin an einer Sekundarschule irgendwo im
sogenannten Brennpunkt, die überhaupt keine Bewerbungen von ausgebildeten
Lehrer*innen bekommt – obwohl gerade sie dringend Fachkompetenz an ihrer
Schule bräuchte, für Sprachförderunterricht, überhaupt für
Förderunterricht, und für das Anleiten der Quereinsteigenden, die
überproportional häufig bei ihr landen, weil sich der Kollege am Gymnasium
seine Leute ja aussuchen kann.
Das ist, nur wenig überspitzt, die ungerechte Realtität an den Berliner
Schulen. Senatorin Busse will nun die Mangelwirtschaft etwas gerechter
machen, indem sie solchen Schulen, die gut ausgestattet sind, die
Einstellung der nächsten Mathelehrerin verwehrt – die Lehrerin bekommt dann
stattdessen andere Schulen angeboten, die ihre Hilfe dringender brauchen.
## Angebot und Nachfrage
Nun gehorcht aber auch der Arbeitsmarkt dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage – und ob sich das Prinzip, beziehungsweise die
Teilnehmer*innen an diesem Markttreiben, so plump austricksen lassen,
das sei mal vorsichtig bezweifelt. Lehrer*innen werden überall gesucht,
nicht nur in Berlin.
Weshalb es im Übrigen völlig unsinnig ist, zu viele Hoffnungen auf die
Verbeamtung zu setzen: Wer, sagen wir, seit 10 Jahren in Baden-Württemberg
oder Brandenburg sein Haus, seinen Job und seine Familie hat, der wird
vermutlich auch da bleiben. Berlin hat mit der Wiederverbeamtung keinen
Nachteil mehr im Vergleich zu anderen Bundesländern – aber eben auch keinen
Vorteil.
Man kann Lehrer*innen nicht vorwerfen, dass sie sich ihren Arbeitsplatz
aussuchen wollen – und dann nicht jubelnd den mit der schlechtesten
Personalausstattung wählen. Im Gegenteil: Während des Wartens auf den
demografischen Wandel (wieder abnehmende Schüler*innenzahlen) und die Unis
(mehr Studienplätze sollen 2023 ausgehandelt werden) müssen die
Arbeitsplätze schon einmal besser, sprich: die Schulen in den Brennpunkten
attraktiver werden.
Die Schulen dürfen jetzt auch Logopäd*innen und
Ergotherapeut*innen einstellen, auch das Budget für die
[3][pädagogischen Unterrichtshilfen wurde im Haushalt aufgestockt]. Alles
bloß Kosmetik, damit man den eigentlich noch krasseren
Lehrer*innenmangel nicht merkt? Falsch, oder vielmehr: egal.
## Sozialraum Schule ausbauen
Vielmehr sollte man anerkennen, dass Logopäd*innen und
Schulsozialarbeit an manchen Schulen überhaupt erst die Voraussetzungen
dafür schaffen können, dass so etwas wie Fachunterricht möglich ist. Seit
Jahren betonen Fachleute, dass Lernen nicht bloß Mathe und Deutsch ist, sie
sprechen vom „Sozialraum“ Schule – und wie wichtig der ist, haben gerade
erst die Pandemiejahre klar gemacht.
Manchen Kindern würde es vielleicht helfen, man reduzierte den
Fachunterricht zugunsten von Förder- und Projektunterricht oder AG-Arbeit.
Vielleicht würde es diese Schulen, wenn sie das denn dürften, sogar zu
attraktiveren Arbeitsorten machen. Und dann käme vielleicht auch die
nächste Mathelehrer*in von ganz alleine.
28 May 2022
## LINKS
[1] /Fast-1000-Lehrkraefte-fehlen-in-Berlin/!5857014
[2] /100-Tage-rot-gruen-rote-Bildungspolitik/!5845374
[3] /Mehr-Geld-fuer-Bildung-im-Haushalt/!5853503
## AUTOREN
Anna Klöpper
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