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# taz.de -- Ehemaliger finnischer Premier zu Ukraine: „Krieg ist Wiederbelebu…
> Die zukünftigen Nato-Staaten Finnland und Schweden werden das Bündnis
> stärken, sagt Ex-Premier Stubb. Der Krieg lasse sich nur militärisch
> lösen.
Bild: Allein im Wald: Im nördlich gelegenen Rovajärvi üben finnische Soldat:…
taz: Herr Stubb, Ende 2019 bezeichnete der französische Präsident Emmanuel
Macron die Nato als „hirntot“. Seit dem 24. Februar, dem Tag des russischen
Angriffkriegs auf die Ukraine, ist die Welt eine andere. Hat sich die
Bedeutung der Nato schlagartig geändert?
Alexander Stubb: Definitiv. Eine der unbeabsichtigten Folgen des Angriffs
auf die Ukraine ist die Wiederbelebung der Nato. Nach dem Ende des Kalten
Krieges war die Nato in einer Phase der Selbstfindung, es gab
beispielsweise viele Friedensmissionen. Aber jetzt findet sie zurück zu
ihren Wurzeln seit ihrer Gründung 1949, nämlich zur Abschreckung der
sowjetischen Aggression. Der einzige Unterschied ist, dass es heute nicht
nur 12 Mitgliedsstaaten gibt, sondern bald 32 Länder. Es geht zurück zu den
Ursprüngen. Und die einzige Person, der man dafür danken muss, ist Wladimir
Putin.
Wie stark die Nato werden will, hat sie mit ihrer Ankündigung gezeigt, die
Truppen [1][von rund 40.000 auf über 300.000 Soldat:innen] aufzustocken.
Hat Sie diese Aussage überrascht?
Die Größenordnung ist überraschend. Generalsekretär Stoltenberg hätte dies
nicht verkündet, wenn er die Aufstockung nicht mit den Nato-Mitgliedern
geklärt hätte. Wie die Details und die praktische Umsetzung aussehen
werden, ist derzeit noch schwer zu sagen. Aus meiner Sicht heraus versetzt
sich das Nato-Kommando in eine Lage, genau zu wissen, wie viele Truppen zur
Verfügung stehen, wo sie stationiert sind und wie schnell sie mobilisiert
werden können. Das war in Zeiten nach dem Kalten Krieg nicht immer der
Fall. Der Fokus lag mehr auf Krisenmanagement und Friedensmissionen.
Welche Staaten werden besonders wichtig in der zukünftigen Nato sein?
Ich bin sicher, es wird eine großangelegte Arbeitsteilung geben. Dies
könnte auch der Punkt sein, an dem sich ein deutlicheres europäisches
Engagement abzeichnet. Warum sollte sich Europa von US-amerikanischen
Sicherheitsgarantien abhängig machen? Ein großer Anteil könnte von
Finnland, Schweden oder Norwegen kommen. Finnland hat eines der größten
stehenden Heere mit 900.000 Reservisten und rund 28.000 aktiven Soldaten.
Eine größere Truppenstärke, mehr Einsatz in Europa: Was steht noch auf der
Agenda?
Der Kampf gegen Terrorismus beschäftigt vor allem die Türkei. Zudem muss –
aus offensichtlichen Gründen – die Ostflanke gestärkt werden. Ich glaube
auch, es wird stärkeres Augenmerk auf die Cyberabwehr gelegt werden.
Heutzutage kann alles zur Waffe werden. Es geht nicht nur um Panzer,
Waffen, Munition und Soldaten. Verteidigung muss divers sein und
verschiedene Technologien beinhalten.
Finnland und Schweden treten jetzt der Nato bei. Während Ihrer Zeit als
Außenminister Finnlands und später Premierminister stießen Sie mit der
Forderung nach einem Nato-Beitritt auf Widerstand. Hätten Sie härter
gegenüber Russland sein müssen?
Rückblickend ist es natürlich immer einfach zu sagen, wir hätten härter
reagieren sollen. Die finnische Haltung speiste sich aus zwei Aspekten:
Geschichte und Geografie. Wenn wir über Mentalität sprechen, landen wir bei
einer Kombination aus Idealismus und Realismus. Es ähnelte dem deutschen
Weg auf eine Art und Weise, ein gutgläubiger Idealismus. Wir wollten mit
Russland kooperieren und es zum Teil des Westens machen. Dahinter stand der
Glaube, dass Handel zu Frieden führen würde. Aber im Unterschied zu
Deutschland haben wir eine der größten Armeen in Europa beibehalten.
Der Nato-Gipfel wie auch andere internationale Treffen, werden vom
Ukrainekrieg überschattet. Zuletzt hat auch EU-Kommissionspräsidentin
Ursula von der Leyen von einem notwendigen Sieg der Ukraine gesprochen. In
Deutschland ist allein die Debatte um den Begriff scharfer Kritik
ausgesetzt. Wohin führt uns diese Diskussion?
Ich habe eine eher agnostische Haltung gegenüber den Begriffen Sieg oder
Niederlage in der modernen Kriegsführung. Die Linie zwischen Krieg und
Frieden ist verschwommen. Natürlich sehen wir derzeit einen konventionellen
Krieg. Aber Krieg kann es auch in vielen Facetten geben, etwa Information
und Desinformation, Energieabhängigkeiten oder Sanktionen. Aus meiner Sicht
gibt es zwei Lager: das Gerechtigkeitslager und das Friedenslager.
Diejenigen aus dem Gerechtigkeitslager fordern einen vollständigen Sieg für
die Ukraine und betonen, dass Russland internationales Recht verletzt hat.
Russland ist der Aggressor und muss besiegt werden. Auf der anderen Seite
gibt es diejenigen, die um jeden Preis Frieden wollen.
Welchem Lager ordnen Sie sich zu?
Zu 25 Prozent im Friedenslager und zu 75 Prozent im Gerechtigkeitslager.
Aber die Einzigen, die wirklich über Sieg oder Niederlage entscheiden
können, sind Wolodimir Selenski und die Ukraine. Mir gefiel daher auch der
offene Brief sogenannter deutscher Intellektueller nicht, die Selenski und
die Ukraine aufriefen, ihr Land aufzugeben. Es ist nicht an ihnen, diese
Entscheidung zu treffen. Als jemand, der den größten Teil seines Lebens mit
Russland als Nachbarn entlang einer 1.340 Kilometer langen Grenze verbracht
hat, können Sie mir glauben: Beschwichtigungen und weiche Politik sind
nicht die Instrumente, auf die Russland hört. Das Einzige, was sie
verstehen, was Putin versteht, ist Macht. Daher befürchte ich, dass dies
bis zum bitteren Ende weitergehen muss. Ich möchte Putin keinen Anreiz
geben, an anderer Stelle in Europa so weiterzumachen.
Also gibt es nur eine militärische Lösung, die Diplomatie hat versagt?
Die Diplomatie versagte am 24. Februar. Und auch der Krieg ist aus
russischer Perspektive gescheitert. Eigentlich ging Russland von einer 48
Stunden dauernden Offensive aus. Und jetzt dauert der Krieg schon mehr als
20 Tage länger als der Winterkrieg [[2][sowjetisch-finnischer Krieg] vom
30. November 1939 bis 13. März 1940; d. Red.], der nach 105 Tagen beendet
war. Die Lösung wird vermutlich nur militärisch machbar sein. Russland hat
nie an internationales Recht geglaubt, sondern nur an die Macht des
Stärksten. Wir haben das 2008 in Georgien gesehen, dann 2014 bei der
Annexion der Krim und natürlich jetzt. Eine auf Regeln basierende Ordnung
wird zerstört. Deshalb können wir keine Schwäche zeigen. In diesem Sinne
hat Selenski recht, wenn er sagt, er kämpft für die Freiheit in Europa.
Daran müssen wir uns erinnern, wenn wir nach Lösungen suchen.
29 Jun 2022
## LINKS
[1] /Vergroesserung-der-Nato-Eingreiftruppe/!5863730
[2] https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article205949707/Sowjetisc…
## AUTOREN
Barbara Oertel
Tanja Tricarico
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