| # taz.de -- Finnisch-russische Trennlinie: An der Grenze zur Furcht | |
| > Kari Matikainen lebt als Bauer direkt an der Grenze. Angst hat er nicht. | |
| > Aber auch er unterstützt eine Nato-Mitgliedschaft Finnlands. | |
| Auf dem abschüssigen Acker wächst daumenhoch grüner Flaum. Der Weizen | |
| sprießt bis zu einem kleinen Tannenwäldchen am Ufer des Pitkäjärvisees, | |
| durch dessen Mitte die finnisch-russische Grenze verläuft. Kari Matikainens | |
| Familie bewirtschaftet dieses Land seit Generationen. Wenn er vor 30 Jahren | |
| am Ufer des Sees spielte, hielten seine Eltern gelegentlich einen | |
| Zeigefinger über ihre Lippen und zischten „pst“. Lärm zu jeder Tageszeit | |
| sowie Taschenlampen in der Nacht waren russischerseits an der Grenze | |
| verboten. | |
| Weitere Unterschiede zwischen seinen Spielen und denen anderer Kinder in | |
| Finnland kann Kari Matikainen nicht erkennen. „Wovor sollte ich Angst | |
| haben?“, fragt der heute 33-Jährige, „der Krieg in der Ukraine ist traurig. | |
| Aber ich fühle mich hier sicher.“ Sollte Russland eines Tages Raketen auf | |
| Finnland schießen, womit er kein bisschen rechnet, ergäbe das auch keine | |
| Probleme für sein Gehöft und seine Familie. „Die Raketen würden über dies… | |
| dünn besiedelte Land hinwegdonnern“, sagt er. Von Russland allerdings | |
| erwartet er in den nächsten Jahren wenig Gutes: „Wer weiß, ob nach Putin | |
| nicht noch Schlimmeres kommt.“ | |
| Alle zwei Tage holt ein Tanker 5.000 Liter Milch bei Kari Matikainen ab. | |
| Der Bauer will die Zahl seiner Kühe demnächst auf 300 verdoppeln. Er hat | |
| 700.000 Euro in ein Silo investiert, das bereits im Rohbau steht. Die | |
| Preise für Viehfutter, für Treibstoff und für Baumaterial sind in den | |
| letzten Monaten in die Höhe geschnellt, aber auch seine Einnahmen steigen. | |
| „Ich glaube an die Zukunft“, sagt er. | |
| Ohne die Tannen am östlichen Ende seines Weizenfeldes könnte Kari | |
| Matikainen von seinem Fenster aus Russland sehen. Sein Haus und Kuhstall | |
| sind nur auf Schotterstraßen zu erreichen. Wenn er seine Ernte mit dem | |
| Traktor einfährt, benutzt er aber neuerdings eine nagelneue Landstraße, die | |
| nach Kolmikanta führt. Der „provisorische Grenzübergang“, der schon läng… | |
| für den Gütertransport aus Russland zugelassen war, sollte zur | |
| internationalen Grenzstation hochgestuft werden, der auch dem Reiseverkehr | |
| dient. Seit Verhängung der jüngsten Sanktionen gegen Russland aber | |
| funktioniert noch nicht einmal mehr das Provisorium. Nur Kari Matikainen | |
| und seine zehn Nachbarn benutzen noch die Zufahrtsstraße. „40 Millionen für | |
| einen Feldweg“, scherzt er. | |
| ## Lückenlose Überwachung der Grenze | |
| „Stopp“ steht auf den Schildern in den beiden Landessprachen Finnisch und | |
| Schwedisch, sowie auf Deutsch, Englisch und Russisch: „Weitergehen nur mit | |
| Sondergenehmigung“. Bauern im finnisch-russischen Grenzgebiet haben diese | |
| besondere Genehmigung. Für alle anderen gilt die rote Hand auf den gelben | |
| Schildern, die kurz vor der Grenze an Birken- und Tannenstämmen befestigt | |
| sind. | |
| [1][Finnland] ist fast so groß wie Deutschland, hat aber nur 5,5 Millionen | |
| Einwohner. Die 1.340 Kilometer lange Grenze verläuft fast überall durch | |
| kaum besiedeltes Gebiet. Befestigt ist sie nur punktuell. Meist markieren | |
| hüfthohe Pfosten, auf finnischer Seite blau und weiß, auf russischer Seite | |
| rot und grün gestrichen, den Verlauf. Anwohner wissen, dass die | |
| elektronische Überwachung auch ohne Zäune lückenlos ist. | |
| In dem 4.700 Einwohner-Ort Parikkala nimmt Bürgermeister Vesa Huuskonen an | |
| diesem Nachmittag an einem „Strategieseminar“ teil. Wie andere | |
| Lokalpolitiker in der Grenzregion hatte er auf das Wachstum von bilateralem | |
| Handel und Tourismus gesetzt. Die russische [2][Annexion der Krim] im Jahr | |
| 2014 bremste die finnisch-russische Annäherung ein wenig. Aber schon 2015 | |
| gab es mehr als neun Millionen Grenzüberquerungen zwischen den beiden | |
| Ländern. Seit dem Beginn der Pandemie ist das vorbei. Jetzt kommen nur noch | |
| vereinzelt Russen nach Finnland. Zusätzlich zum Visum brauchen sie einen | |
| Impfnachweis. Ihre in der EU nicht anerkannte Sputnik-Impfung reicht nicht | |
| aus. | |
| Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind selbst die bis dahin noch | |
| offenen internationalen Grenzübergänge Endstationen geworden. Lediglich | |
| Menschen mit Doppelstaatsangehörigkeit oder anderen ganz besonderen Gründen | |
| dürfen sie noch überqueren. Die Hochgeschwindigkeitszüge, die in drei | |
| Stunden von Sankt Petersburg nach Helsinki fuhren, sind eingestellt. Die | |
| Papierfabriken müssen ihr Holz jetzt in Finnland kaufen. Die Abholzungen | |
| haben bereits zugenommen. | |
| Das Strategieseminar wird mit Sauna, Würstchen und Bier enden. Die | |
| Lokalpolitiker wollen ergründen, wie sie die Russen durch Touristen aus | |
| weiter südlich gelegenen Ländern ersetzen können. „Unsere Zukunft basierte | |
| auf der Kooperation mit Russland“, sagt der Bürgermeister, „der 24. Februar | |
| hat alles verändert“. | |
| ## Enttäuscht über Russland | |
| Parikkala ist einer der finnischen Orte, die ganz nah an Russland liegen. | |
| Im „Winterkrieg“ von 1939 bis 1940, als Stalin das erst 22 Jahre zuvor in | |
| der Oktoberrevolution unabhängig gewordene Finnland überfiel, und im | |
| „Fortsetzungkrieg“ ab 1941, als Finnland mit Deutschlands Hilfe die | |
| Sowjetunion angriff und am Ende noch mehr Land verlor, hat Parikkala ein | |
| Drittel seines Gemeindegebietes eingebüßt. Neben dem Rathauseingang | |
| erinnert ein Gedenkstein an finnische Soldaten jener beiden Kriege. Weil | |
| sie es damals geschafft haben, die Panzer der übermächtigen Roten Armee mit | |
| Molotowcocktails aufzuhalten, gelten sie in Finnland bis heute als Helden. | |
| Auch die Karriere von Vesa Huuskonen ist eng mit Russland verknüpft. Er war | |
| lange im finnischen Grenzschutz tätig, brachte es bis zum Oberst, reiste | |
| nach Moskau. Er lernte andere europäische Grenzschützer im Frontex-Verbund | |
| kennen. Und Huuskonen erlebte die Aufbruchjahre in den finnisch-russischen | |
| Beziehungen aus nächster Nähe. | |
| In den 1980er Jahren führte er dreimal die Woche Gespräche mit russischen | |
| Kollegen, die auf der sowjetischen Seite der Grenze patrouillierten. Als er | |
| 2014 in Rente ging, wurde er in dem Grenzstädtchen auf Anhieb zum | |
| Bürgermeister gewählt. „Vermutlich hat es mir geholfen, dass ich als | |
| Militär Kontakt zu Russen hatte“, sagt er. | |
| Rückblickend betrachtet Vesa Huuskonen seine frühen Diskussionen mit den | |
| Russen als „stabil“. Heute hingegen sagt er: „Den Russen kann man nicht | |
| trauen“. Huuskonen trägt das Haar nur Millimeter über der Kopfhaut und gibt | |
| seine Beschreibungen militärisch knapp. In seiner Einschätzung der | |
| nationalen Sicherheit sei er immer der offiziellen finnischen Linie | |
| gefolgt. Jahrzehntelang wollte er auf keinen Fall, dass Finnland | |
| [3][Nato-Mitglied] wird – der Friedenssicherung zuliebe. Jetzt befürwortet | |
| Huuskonen den Beitritt zum Militärbündnis unbedingt – für den Frieden. | |
| Die Enttäuschung über Russland und die radikale Kehrtwende zur Nato zieht | |
| sich wie ein roter Faden durch Finnland. Noch im Februar diesen Jahres | |
| waren nur 28 Prozent der Finnen für einen Nato-Beitritt. Im Mai waren | |
| bereits 76 Prozent dafür. | |
| ## Die russischen Touristen bleiben aus | |
| Eine knappe Stunde südlich arbeitet Stadtratsvorsitzende Anna Helminen in | |
| dem riesigen weißen Rathaus, das ein paar Nummern zu groß für einen Ort mit | |
| nur 26.000 Einwohnern wirkt. Die Stromschnellen des Flusses Vuoksi machten | |
| [4][Imatra] zur ersten touristischen Attraktion Finnlands. Katharina die | |
| Große kam. Später machte die russische Oberschicht von Sankt Petersburg | |
| gerne Ausflüge in den idyllischen Ort in Karelien. | |
| Doch nach den beiden finnisch-russischen Kriegen war Imatra plötzlich eine | |
| Grenzstadt. Wegen der örtlichen Papier- und Metallindustrie glaubten | |
| Stadtplaner an eine Zukunft mit 100.000 Einwohnern. Auf ihren Reißbrettern | |
| entwickelten sie Vorstädte. Daraus ist nichts geworden. Ab nächstem Jahr | |
| soll das Rathaus am Stadtrand in ein Naturmuseum umgebaut werden. Die | |
| Stadtverwaltung wird dann in die Innenstadt umziehen. | |
| Seit die russischen Touristen nicht mehr nach Imatra zum Einkaufen kommen, | |
| stehen dort die Boutiquen leer, weil niemand mehr zollfrei Luxusartikel | |
| kauft. Im Mai hat Russland auch das Gas, das über eine Pipeline nach Imatra | |
| kam, abgeklemmt. Der Schritt erfolgte zeitgleich mit dem finnischen | |
| Beitrittsantrag zur Nato. Gazprom nannte die finnische Weigerung, das Gas | |
| in Rubeln zu zahlen, als Begründung. Die Treffen mit der russischen | |
| Partnerstadt Tichwin sind aufgekündigt. „Wir gelten jetzt als Feinde“, sagt | |
| Tea Laitimo, die im Rathaus von Imatra für die internationale | |
| Zusammenarbeit zuständig ist: „Es ist schlimmer als in der Zeit vor | |
| Gorbatschow.“ | |
| Den Wegfall der Gaspipeline kann Imatra verkraften. Die Stadt hat ihre | |
| Energieversorgung schon vor Jahren auf Fernwärme umgestellt, nur 200 | |
| Gebäude werden noch mit Gas beheizt. Im finnischen Energiemix spielen | |
| erneuerbare Energien und Atomkraft die zentrale Rolle. Erst im März ist | |
| nach jahrelangen Verzögerungen der französische Druckwasserreaktor (EPR) in | |
| Olkiluoto ans Netz gegangen. Es ist der größte Kraftwerksblock in Europa. | |
| Aus einem russisch-finnischen Projekt für ein weiteres Atomkraftwerk | |
| hingegen ist Finnland wegen des Ukrainekriegs ausgestiegen. | |
| „Wenn meine Großeltern noch lebten, wären sie jetzt am Boden zerstört“, | |
| glaubt die 46-jährige Ratsvorsitzende Anna Helminen. Oma und Opa kamen als | |
| Vertriebene nach Imatra. In den Jahren, als Finnland Reparationen an die | |
| Sowjetunion zahlen und 400.000 Menschen aus den verlorenen karelischen | |
| Gebieten integrieren musste, konzentrierten sie sich auf die Zukunft. Von | |
| ihrer Vertreibung sprachen sie nur selten. Nur in den 1990er Jahren nahmen | |
| sie an einer Bustour teil, die sie in ihre alte Heimat zurückbrachte. | |
| Die Enkelin lernte Russisch, vergaß es aber später wieder. Reiste nach | |
| Moskau und nicht nach Ostkarelien und verstand ihr Land als Teil des | |
| Westens. „Wir haben Gleichberechtigung, Demokratie und Pressefreiheit“, | |
| beschreibt sie den Kontrast zu den Nachbarn. Als Mitglied der konservativen | |
| Partei [5][Kokoomus] stand sie einer Nato-Mitgliedschaft schon lange | |
| aufgeschlossen gegenüber. Aber sie weiß auch, dass sich, wie sie sagt, „die | |
| öffentliche Meinung in Finnland noch nie so schnell geändert hat, wie nach | |
| dem russischen Angriff auf die Ukraine“. | |
| ## Zwischen alter und neuer Heimat | |
| Zu den Zeiten der Annäherung sind rund 1.000 Russen nach Imatra gekommen. | |
| Seit Beginn des Kriegs halten sich die meisten von ihnen bedeckt. Das gilt | |
| auch für die finnisch-russische Übersetzerin Natalia Tuovila, die seit 26 | |
| Jahren mit Mann und drei Kindern in Imatra lebt. Zu dem Krieg in der | |
| Ukraine will sie sich nicht äußern. An diesem Tag hat sie ein Gespräch | |
| zwischen einer selbstmordgefährdeten russischen Patientin und einer | |
| finnischen Sozialarbeiterin übersetzt. | |
| „Ich bin neutral“, begründet sie, „anders könnte ich meinen Job in Finn… | |
| nicht tun.“ Manche Russen in Finnland wollen sich nicht mit den in ihrer | |
| Heimat verbliebenen Familien überwerfen und halten sich deswegen mit | |
| Äußerungen über Wladimir Putin zurück. Natalia Tuovila will nicht einmal | |
| wissen, wie ihre Familie über den Krieg denkt. Wenn sie mit ihrer in | |
| Russland lebenden Mutter und ihren Geschwistern telefoniert, vermeidet sie | |
| alle Themen, die zu Streit führen könnten – und dazu zählt Putin. | |
| Nur zu einem Nato-Beitritt hat sie eine klare Meinung: „Schlecht für | |
| Finnland.“ Ihr finnischer Mann Hannu ergänzt: „Wir sind keine Putinisten.�… | |
| Für ihn war die Neutralität „eine gute Zeit für Finnland“. Jetzt macht er | |
| sich Sorgen über die Zukunft. Dazu gehört auch seine Frage, was passieren | |
| würde, falls es zu einem Konflikt zwischen den USA und Russland kommt, bei | |
| dem Finnland als Nato-Mitglied an der Seite Amerikas steht. | |
| ## Auch der Veteran will den Nato-Beitritt | |
| Von den 40 Veteranen der beiden finnischen Kriege mit der Sowjetunion, die | |
| heute noch in dem südkarelischen Ort Lappeenranta leben, ist Eino mit | |
| seinen 104 Jahren der älteste. Der alte Mann verfolgt die Nachrichten vom | |
| Krieg in der Ukraine täglich im Fernsehen. Er lebt allein. Eino schwärmt | |
| von den vier täglichen Hausbesuchen, die er als Veteran bekommt. Seinen | |
| Nachnamen möchte er nicht in einer ausländischen Zeitung sehen. Eino kam | |
| 1918 zur Welt. Im Winterkrieg ritt er auf einem Pferd gegen russische | |
| Panzer an. Er kam mit einem zerschossenen linken Arm zurück, schaffte es | |
| aber dennoch, in seinem weiteren Leben eine Tankstelle zu führen. | |
| Die Ereignisse in der Ukraine erscheinen ihm als Déjà-vu. Wie heute die | |
| Ukraine war auch Finnland 1939 erst kurze Zeit unabhängig von Moskau | |
| geworden. Kaum jemand rechnete mit einem Krieg. Am meisten überrascht Eino, | |
| wie schwach die Russen heute in der Ukraine auftreten und wie falsch deren | |
| Präsident Putin die Lage eingeschätzt hat. „Er ist verrückt“, befindet d… | |
| 104-Jährige über den russischen Präsidenten, „er bringt seine eigenen | |
| Soldaten um.“ | |
| Eino glaubt nicht, dass Russland erneut einen Krieg gegen Finnland führen | |
| wird. Aber nachdem er ein Leben lang gegen eine finnische | |
| Nato-Mitgliedschaft war, ist auch er jetzt für einen Beitritt. „Wir | |
| brauchen die Nato“, sagt er. | |
| Die Hotelmanagerin Marisanna Ahola in [6][Lappeenranta] witzelt über Leute, | |
| deren Angst umso größer sei, „je weiter sie von der Grenze entfernt sind“. | |
| Sie ist in Lappeenranta aufgewachsen: 198 Kilometer von Sankt Peterburg | |
| entfernt – 224 von Helsinki. Als Jugendliche ist sie nach Russland | |
| gefahren, um billig Benzin, Alkohol und Zigaretten zu kaufen. | |
| Als sie das Hotel Rakuuna eröffnete, hatte sie zunächst vor allem russische | |
| Kunden zu Gast. Erst während der Pandemie füllten sich die Räume fast | |
| ausschließlich mit Finnen. Marisanna Ahola glaubt nicht an einen russischen | |
| Angriff auf Finnland. „Dies ist keine ehemalige Sowjetrepublik“, begründet | |
| sie das. Sicherheitshalber will auch sie der Nato beitreten. | |
| ## Antikriegsparolen und Bunker in Helsinki | |
| In Helsinki sind zu Pfingsten die Osterglocken erblüht. In den Wohnungen | |
| werden die Heizungen gedrosselt. In der [7][Bibliothek Oodi] fragen die | |
| Besucher stärker nach Büchern über Russland und die Ukraine als je zuvor. | |
| An der Fassade der benachbarten Konzerthalle flimmert eine ukrainische | |
| Fahne. Und im obersten Stock des Museums für moderne Kunst, Kiasma genannt, | |
| hängt ein Transparent mit der englischsprachigen Aufschrift des russischen | |
| Künstlers Evgeni Antufiev: „No War“. | |
| Stolz führen Stadt und Innenministerium ihre unterirdischen Schutzbunker | |
| vor. Viele davon sind tief in den Fels hineingegraben und unter Sportplätze | |
| in Werkstätten und Parkplätze hineingebaut. Im Notfall soll Helsinki über | |
| mehr Bunkerplätze verfügen als die Stadt Einwohner hat. Im Gegensatz zu | |
| anderen westlichen Ländern, die den Militärdienst abgeschafft haben, hat | |
| Finnland nach dem Ende des Kalten Kriegs daran fest gehalten. | |
| Jan Kyllönen, der in der Kinderabteilung der Oodi-Bibliothek arbeitet, trat | |
| den Militärdienst an, weil sein Vater gar nichts anderes akzeptiert hätte. | |
| Wie viele Finnen glaubte der Vater, dass ein Junge erst beim Militär zum | |
| Mann wird. Bei der Grundausbildung im hohen Norden muss Jan Kyllönen in | |
| Regen marschieren und erkältet sich. Danach verlässt Jan Kyllönen das | |
| Militär und beginnt den Zivildienst. | |
| Bis zum russischen Angriff auf die Ukraine hat sich der 33-jährige Jan | |
| Kyllönen „sicher“ in seinem Land gefühlt. Heute sagt er: „Wenn du den | |
| Frieden liebst, bereite den Krieg vor.“ Auch er hält es jetzt für weise, | |
| der Nato beizutreten, zu der er bis Anfang des Jahres keine eigene Meinung | |
| hatte. | |
| „Wir machen Sommerpause“, steht auf einem Schild neben einem Samowar im | |
| Schaufenster des russischen Lokal Troikka im Stadtteil Töölö. Vor dem Krieg | |
| in der Ukraine war das Lokal allabendlich ausgebucht. Seit dem 24. Februar | |
| ist es leer geblieben, bis die Eigentümer im Mai ihre lange Sommerpause | |
| begannen, aus der sie erst im August zurückkehren wollen. | |
| Architektonisch ist Helsinki eine russische Stadt. Es wurde erst zur | |
| Hauptstadt, nachdem Finnland im Jahr 1808 unter russische Kontrolle fiel. | |
| Damals begannen russische Architekten, die Stadt nach ihren Modellen | |
| auszubauen. Aus jener Zeit rühren die Häuserfassaden am Hafen, die wie eine | |
| kleine Version von Sankt Petersburg wirken. Die Statue auf dem zentralen | |
| Senatsplatz und die vergoldeten Zwiebeltürme der orthodoxen | |
| Usbenski-Kathedrale sind das Erste, was Schiffspassagiere bei der Einfahrt | |
| in den Hafen von Helsinki von der Stadt sehen. | |
| ## Die Großmutter gegen die Nato | |
| „Nej til Nato“ steht auf dem farbigen Sticker, den Ulla Klotzer am Revers | |
| trägt. Die Anti-Nato-Aufschrift ist Schwedisch – wie die Sprache der | |
| kleinen Minderheit in Finnland, aus der auch Ulla Klotzer stammt. Einen | |
| finnischsprachigen Anti-Nato-Sticker hat die pensionierte Lehrerin bislang | |
| nicht gesehen. Die 73-Jährige ist seit 1979 als Friedensaktivistin aktiv. | |
| Ende der 1990er nahm sie im damals noch sowjetischen Murmansk an einer | |
| Anti-Atom-Konferenz teil und schmuggelte in ihrem BH Material über den | |
| Super-GAU von Tschernobyl über die Grenze. | |
| Als Großmutter macht Klotzer jetzt bei einer Kampagne für eine | |
| atomwaffenfreie Ostsee und für eine Neuauflage der Konferenz über | |
| Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die 1975 in Helsinki begonnen | |
| hatte, mit. Als die finnische Regierung im Dezember letzten Jahres 64 | |
| US-amerikanische Kampfflugzeuge bestellt, begreift die Friedensaktivistin, | |
| dass es mit der Neutralität ihres Landes vorbei ist. „Wir waren auf dem Weg | |
| in die Nato“, sagt sie. Am 24. Februar besiegelt der russische Angriff auf | |
| die Ukraine die Kehrtwende. | |
| Mit ihrem Bekenntnis zu den Prinzipien, die jahrzehntelang die Außenpolitik | |
| ihres Landes bestimmt haben, ist die Friedensbewegung isoliert. Bis zum | |
| Nato-Beitrittsantrag im Mai schwenken zusätzlich zu der konservativen | |
| Partei auch die drei Regierungsparteien – die Sozialdemokraten, die Grünen | |
| und die Linken – auf den Nato-Kurs um. | |
| Ulla Klotzer, die einst im Vorstand der Grünen saß, hat der Partei schon | |
| den Rücken gekehrt, als die sich zur Atomenergie bekannte. „Ich schäme mich | |
| für meine alte Partei“, seufzt Ulla Klotzer. Wegen der Nato-Entscheidung | |
| hat sie sich inzwischen auch von den Linken abgewandt. Sie ist so | |
| enttäuscht, dass sie nicht mehr wählen will. „Nie wieder“, sagt sie. | |
| 15 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Finnland | |
| [2] /Fuenf-Jahre-nach-der-Krim-Annexion/!5580865 | |
| [3] /Nato-Beitritt-von-Schweden-und-Finnland/!5854023 | |
| [4] https://www.visitsaimaa.fi/de/finnland-imatra-reisetipps/ | |
| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Nationale_Sammlungspartei_(Finnland) | |
| [6] https://www.discoveringfinland.com/de/seengebiet/lappeenranta/ | |
| [7] https://blickgewinkelt.de/oodi-bibliothek-helsinki/ | |
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| Dorothea Hahn | |
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