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# taz.de -- Proteste gegen G7-Gipfel in Elmau: Der harte Kern
> Bei Schloss Elmau demonstrieren genau 50 Menschen. Mehr ist nicht
> erlaubt. Doch auch sonst ist die Zahl der Protestierenden überschaubar.
> Warum nur?
Bild: Protest vor Alpenkulisse – Montag vor Schloss Elmau
Montagmorgen im oberbayerischen Hochgebirge: Es ist nicht so, dass nur 50
Demonstrantinnen und Demonstranten zum Protest gegen den G7-Gipfel im
idyllischen Schloss Elmau gekommen sind. Es sind schon ein paar mehr. Aber
nur 50 der Aktivist:innen dürfen wirklich ganz nahe an [1][die sieben
Staatenlenker im Schloss Elmau] heran.
Allerdings dürfen die Protestierenden nicht einfach auf eigene Faust
dorthin laufen oder fahren. Nein, sie werden aus Sicherheitsgründen von der
Polizei begleitet in einem Bus an Ort und Stelle gebracht. Vorher müssen
sie sich ausweisen. Eine einzige Zufahrtsstraße führt von
Garmisch-Partenkirchen, [2][wo sich das Protestcamp befindet], nach Schloss
Elmau. Durch schattige Mischwälder geht es Kehre um Kehre bergauf.
Schließlich öffnet sich der Wald, die Straße fällt sanft ab auf eine grüne
Alm und vor der Kulisse des Wettersteingebirges fällt der Blick auf das
Schloss. Die Protestierenden haben tatsächlich den Ort des Gipfels
erreicht.
Eigentlich hält das Protestbündnis die polizeilichen Bestimmungen, den Bus,
die Ausweiskontrolle, dieses ganze Vorgehen für einen Skandal. Zum Schluss
hat es sich dennoch darauf eingelassen.
Esteban Servat steht nun 500 Meter vom Schloss entfernt im Graben neben der
Straße, der für die Aktion vorgesehen ist. Er ist einer der Redner. [3][Der
37-Jährige aus Argentinien] hat noch in München, am Wochenende vor seiner
Fahrt in die Alpen, von seinen Motiven erzählt. Servat sagt, er habe
Vertrauen darin, dass man neue Menschen gewinnen könne, denn er sei im
Grunde einer von ihnen.
Der Klimaaktivismus sei eher zu ihm gekommen als andersherum, erzählt er.
Zehn Jahre lang hat der Biotechnologe für einen Pharmakonzern im
US-amerikanischen Silicon Valley gearbeitet, dann wollte er zurück nach
Argentinien, um in einem eigenen Unternehmen Impfstoffe zu entwickeln. Dort
erfuhr er von Fracking-Gasbohrungen und ihren Auswirkungen auf Umwelt und
Klima und es kam alles anders. Er machte es sich zur Aufgabe, dagegen zu
kämpfen.
Servat lebt seit drei Jahren in Berlin und tritt nun hier gegen den Ausbau
der Gas-Infrastruktur ein. Er glaubt, das Problem der Klimabewegung sei,
dass sie von Politik und Wirtschaft oft gegen die Arbeiter:innen
ausgespielt werde – obwohl die Bewahrung von Lebensgrundlagen natürlich
auch in deren Interesse liege. Dort will der Argentinier ansetzen, um
Zuwachs für die Klimabewegung zu bekommen.
Servat nutzt jetzt vor dem Schloss die Gelegenheit, um die Forderung
bekannt zu machen, mit der dieser Schulterschluss gelingen soll: ein
Schuldenschnitt für die armen Länder, aber mit ökologischer Begründung.
„Dept for Climate“ heißt die Kampagne. Das Argument: die ökologischen
Schulden der Industrieländer, die ihren Reichtum auf ihren vielen
Treibhausgasen aufgebaut haben, gegen die finanziellen Schulden des
Globalen Südens.
Dass er mit dieser Forderung in Elmau offene Schlosstüren einrennt, glaubt
Servat aber selbst nicht. „Das hier sind die Leute, die die Klimakrise
verursacht haben, von ihnen wird nicht die Antwort kommen.“
## Enttäuschung auf der Theresienwiese
Die eine Hälfte der Münchner Theresienwiese ist am Samstag vor dem
G7-Gipfel prall gefüllt mit Menschen, Stimmen, Transparenten, Plakaten.
Aber das Überraschende ist die andere, die leere Seite. Es sind schon mehr
als 50 Menschen gekommen, aber doch weit weniger als erwartet: Nur etwa
5.000 haben sich zur [4][größten Demonstration anlässlich des G7-Gipfels]
aufgerafft. Dabei ist das Wetter gut, kein Regen, keine Kälte.
Auch wenn der Umweltverband BUND später tapfer in einer Pressemitteilung
erklären wird, dass „die bunte Demonstration“ ein klares Zeichen dafür se…
„wie stark der Wunsch vieler Menschen nach einer grundlegend anderen
Politik der G7-Staaten ist“ – das Ganze ist eine Enttäuschung. Angemeldet
war die vierfache Personenzahl.
Esteban Servat ist auch hier schon dabei. Er steigt auf die Bühne, will zu
den Versammelten sprechen. Er macht Stimmung. „Seid ihr bereit, solidarisch
mit den Arbeitern der Welt zu kämpfen?“, ruft er ins Publikum und erntet
Jubel. „Dann kann ich euch etwas wirklich Spannendes sagen: Wir bauen eine
weltweite Kampagne auf, um die Arbeiter der Welt mit der Klimabewegung zu
verbinden.“ Wieder Jubel. Jedenfalls auf einer Hälfte des Platzes.
Der Gipfelprotest hat Nachwuchsprobleme. Als sich die Regierungschefs im
Jahr 2007 in [5][Heiligendamm] an der Ostsee trafen, damals noch mit
Russland als G8, trieb das Zehntausende auf die Straße. Und jetzt 5.000.
Dabei liegen die Krisen doch offen zutage, vielleicht mehr denn je.
Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Die Pandemie ist nicht überwunden.
Die Preise für fossile Energie treiben viele Menschen in die Verzweiflung.
Hunger und Armut breiten sich aus. Und die Klimakrise, die all die anderen
Krisen noch verschärft, hinterlässt sichtbare Spuren in der Welt.
Die G7-Regierungen spielen in vielen dieser Krisen eine Hauptrolle, sind
mächtige Player auf dem Weltmarkt und zu siebt für ein Viertel der
weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Es passt deshalb, dass
es neben den traditionellen Globalisierungskritiker:innen
mittlerweile vor allem Klimaaktivist:innen wie Esteban Servat sind,
die gegen die G7 mobil machen.
Doch auch die Klimabewegung hat zahlenmäßig schon bessere Zeiten gesehen:
Nach den großen Protestwellen von Fridays for Future ab 2018 kam Corona und
machte Massendemonstrationen lange unmöglich. Bis heute erreichen sie
nicht ihre alte Größe.
## Es fehlen die Nachbarn von nebenan
Es ist auffällig in München: Die meisten dort haben ein T-Shirt, Plakat
oder Transparent, das sie als Mitglied oder gar Angestellte:n einer
Organisation ausweist. Kaum vertreten sind Familien mit Kindern oder andere
Grüppchen, Anwohner etwa, die zwischen Picknick und Samstagabendbier den
sommerlichen Demo-Spaziergang durch die Stadt mitnehmen – also die
Menschen, die zwar Proteste nicht organisieren, sie aber groß machen.
Nach der Demo in München setzt sich Servat in einen Zug, unterwegs zum
eingeschworenen harten Kern des Gipfelprotests. In Garmisch-Partenkirchen,
kurz vor der Grenze zu Österreich und nahe dem Tagungsort Schloss Elmau,
treffen sich ein paar Hundert Menschen.
Am Samstag sind es vielleicht 50 Zelte, die auf der Wiese am Ufer der
Loisach vor einer gigantischen Bergkulisse stehen. Auf den Parkplätzen in
der Nähe reihen sich die Polizeiwagen aneinander, auch auf dem Kiesweg zum
Camp trifft man auf ein gutes Dutzend Polizist:innen. Viel zu tun haben sie
nicht. Vor Ort seien etwa 120 Aktivist:innen, sagt eine Polizistin.
Eine von ihnen ist Tatjana Söding. Die 25-Jährige ist eine der
Sprecher:innen von „[6][Stop G7]“, dem Bündnis hinter dem Protestcamp
und den Aktionen, die es in Garmisch-Partenkirchen geben soll. Ein
Interview nach dem anderen gibt die junge Frau in der Stunde, die das Camp
für die Presse geöffnet ist. Sie beantwortet Fragen, dreht sich
bereitwillig von einer Kamera zum nächsten Smartphone.
Die Sonne prallt auf das Zeltlager, ab und zu streicht sich Söding
erschöpft die Haare aus dem Gesicht – dann geht es weiter mit dem nächsten
Gespräch. „Die G7 sind sehr gut darin, Themen vermeintlich aufzunehmen, die
soziale Bewegungen schon lange fordern“, sagt sie. Damit meint sie etwa
Gender-Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, globale Kooperation. „Aber es geht
mehr darum, diese Themen vor sich her zu tragen, sie sind nicht wirklich
Teil der Politik – vielen Leuten reicht das vielleicht, sie denken, dass es
vorangeht.“
Söding hat gerade ihr Studium in Humanökologie beendet und war schon in
verschiedenen Teilen der Klimabewegung aktiv, zurzeit vor allem bei
„[7][Sand in Getriebe]“. Die kleine Gruppe setzt sich für eine radikale
Verkehrswende ein, auch mit Mitteln des zivilen Ungehorsams. Söding stimmt
aber auch zu: „Der Klimagerechtigkeitsbewegung fehlt gerade das Momentum.“
Schwierig sei das aber natürlich dadurch, dass die Menschen in Deutschland
und anderen reichen Ländern größtenteils von er bisherigen Politik der G7
profitieren. Im Übrigen würden aber im Camp noch einige mehr erwartet,
bevor am Sonntag die geplante Demo beginnt.
## „Ich suche den kreativen Protest“
Am Sonntagmorgen hat sich die Wiese tatsächlich etwas gefüllt. Etwa 300
seien da, weitere noch auf der Anreise, heißt es. Einer der Neuankömmlinge
ist der Münchner IT-Projektmanager Hagen Pfaff, der auch für „Stop G7“
spricht. Der 58-Jährige hat schon viel Gipfelerfahrung, war auch in
Heiligendamm dabei. „Ich war 20 Jahre bei Attac“, sagt er. „Das hat sich
aber abgenutzt.“
Jetzt ist Pfaff Klimaaktivist bei Extinction Rebellion. Die Gruppe ist für
ihre spektakulären und dramatischen Aktionen bekannt, bei denen auch mal
der Tod in Kostümform einen Auftritt hat und viel Kunstblut fließt. „Ich
suche den kreativen Protest“, meint Pfaff lächelnd.
Er blickt gelassen auf die Teilnehmer:innenzahlen. „Auf die genaue Zahl
kommt es mir gar nicht an, ein Erfolg wäre es, wenn wir die
Weltöffentlichkeit erreichen“, meint Pfaff. Natürlich seien der
Klimabewegung über die Coronapandemie viele Menschen weggebrochen.
Forderungen an den Gipfel hat „Stop G7“ nicht. Die Aktivist:innen im
Protestcamp lehnen das Format als Ganzes ab, in dem die mächtigen sieben
Staaten weitgehend unter sich über die Zukunft der Welt verhandeln. Doch da
gibt es in der Öko-Szene auch andere Sichtweisen. Manche
Klimaschützer:innen wollen den Gipfel nicht abschaffen, sondern
beeinflussen.
Am anderen Ende von Garmisch-Partenkirchen liegt das Medienzentrum, in dem
die meisten von den Hunderten Journalist:innen arbeiten. Am
Sonntagmittag ploppt auf den Bildschirmen in der Zeltstadt eine Nachricht
auf: Während „Stop G7“ mit rund 1.000 Menschen in der Stadt gegen den
Gipfel demonstriert, wollen internationale Nichtregierungsorganisationen
kurzfristig Medienvertreter in einem Hintergrundgespräch über dessen
Fortgänge aufklären.
Zufrieden sind sie aber auch nicht – ganz im Gegenteil. „Aus Elmau
erreichen uns alarmierende Nachrichten“, berichtet Friederike Meister, die
Deutschland-Direktorin von [8][Global Citizen], einer internationalen
Kampagnenorganisation. Man höre aus den Verhandlungen, dass Deutschland die
Vereinbarung blockiere, nach der bis Ende des Jahres keine neuen fossilen
Energiequellen mehr erschlossen werden sollten.
Die G7 hatten sich erst im Mai darauf verständigt, die Ampelregierung hat
es im Koalitionsvertrag verankert. Aber Russland dreht am Gashahn, über die
Hauptleitung Nord Stream 1 fließt 60 Prozent weniger Gas als gewöhnlich.
Die Bundesregierung befürchtet eine Kettenreaktion: Fehlt das Gas, stottert
die Wirtschaft, drohen wirtschaftlicher Abschwung und Verlust von
Arbeitsplätzen. Hinzu kommen explodierende Gaspreise. Im Kanzleramt ist man
besorgt: Es gehe nun darum, dass russische Gas irgendwie zu ersetzen.
Konkret geht es um ein Gasfeld im Senegal. Bei seinem Besuch im Mai hatte
Bundeskanzler Olaf Scholz dem Land bereits Unterstützung bei der
Exploration dieses Gasfelds zugesagt. Das dürfe natürlich auf keinen Fall
zu Lasten der Pariser Klimaziele gehen, heißt es.
Nichtregierungsorganisationen wie Global Citizen befürchten, dass genau das
passiert. „Das würde alle Bemühungen umkehren und das 1,5-Grad-Ziel
ernsthaft gefährden“, warnt Meister.Doch wie aus einem internen
Regierungspapier hervorgeht, will Deutschland im Verbund mit Italien in die
Abschlusserklärung diesen einen Satz hineinschmuggeln: „Wir erkennen an,
dass öffentlich gefördertes Gas notwendig ist – im Lichte der aktuellen
Krise.“
27 Jun 2022
## LINKS
[1] /G7-Gipfel-in-Elmau/!5862012
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[4] /G7-Gipfel-in-Elmau/!5860824
[5] /Verletzer-G8-Gegner/!5198401
[6] https://www.stop-g7-elmau.info/
[7] https://sand-im-getriebe.mobi/
[8] https://www.globalcitizen.org/de/
## AUTOREN
Susanne Schwarz
Anna Lehmann
Lena Wrba
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