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# taz.de -- Verletzer G8-Gegner: Der Augenzeuge
> Der Strahl eines Wasserwerfers beim G8-Gipfel hat sein linkes Auge schwer
> verletzt. Jetzt erstattet Steffen B. Anzeige gegen unbekannt. Was genau
> ist passiert?
Bild: Wasserwerfereinsatz bei der Anti-G8-Demonstration
POTSDAM taz An den Moment, bevor die Welt flach wurde, erinnert sich
Steffen B. genau. Er sieht einen Polizisten, der mit seinem Schlagstock auf
ihn zeigt. Dann trifft ihn etwas im Gesicht und schreit, fliegt nach
hinten. Dann ist sein linkes Auge "irgendwie ausgeschaltet."
Wenn Steffen B. heute nach einem Glas Milch greift, wirft er es öfter mal
um. Der 36-Jährige kann Entfernungen nicht mehr einschätzen, er sieht seine
Umgebung wie auf einem Fernsehbildschirm - flach eben. Sein Auge wurde von
einem Wasserwerfer getroffen, vor vier Wochen, am 7. Juni gegen halb eins
am Mittag in Heiligendamm, als dreitausend Menschen den Zugang zum G8-Hotel
blockiert haben. Die Zeitungen drucken danach Bilder, die
Volksfestatmosphäre zeigen: friedliche Protestler auf mecklenburgischen
Wiesen. Nach den Krawallen in Rostock fünf Tage zuvor scheint die Welt
wieder in Ordnung. Tatsächlich aber gibt es an den beiden Tagen der
Blockade die meisten Verletzten. Steffen B. ist einer von ihnen.
Als ihn der Strahl des Wasserwerfers trifft, steht der Potsdamer gerade auf
der Wiese vor dem Westtor. Mit ein paar Freunden ist er tags zuvor per Auto
angereist. Sie kennen zwar einige aus der früheren linken Szene von Potsdam
- Leute, die heute vierzig Jahre und älter sind -, gehören aber nicht zu
denen, die sich schon seit Monaten auf den Gipfel vorbereitet haben.
Wie hätte sich Steffen B. auch auf solch einen Tag vorbereiten sollen? Das
Klima zwischen Polizisten und Demonstranten ist aufgeheizt, viele Beamte
verhalten sich aggressiv. Dazu trägt wohl, neben der Erfahrung mit den
vermummten Steinewerfern von Rostock, auch die Einsatzleitung "Kavala" bei.
Die lässt verbreiten, dass die Demonstranten Polizeibeamte mit Steinen
bewerfen und mit Säure bespritzen. Nichts davon ist bis heute belegt. Den
Polizisten wird suggeriert, die Blockierer seien ein zu allem bereiter
Lynchmob.
Als Gewalttäter ist Steffen B. nicht bekannt, in der Staatsanwaltschaft
Potsdam liegt nichts gegen ihn vor. Politisch aktiv ist er ab und an
durchaus, er hat sich beispielsweise für Asylbewerber eingesetzt. Viel mehr
will er über sich aber nicht erzählen. Er möchte "für die Öffentlichkeit
auf keinen Fall ein Gesicht bekommen, sonst steht noch RTL vor meiner Tür."
Deshalb sind auch Fotos unerwünscht. Es muss die Beschreibung reichen:
blonde wellige Haare und die drahtige Figur eines Sportlers, eines
Langenstreckenläufers vielleicht. Sein verletztes Auge sieht äußerlich fast
normal aus, tränt aber, das Jochbein schimmert bläulich. Ob B. in seinem
Beruf - "etwas im medizinischen Bereich" - wieder arbeiten können wird,
wagen die Ärzte derzeit nicht zu sagen. Sie meinen, er müsse warten. Er
könne nichts weiter tun.
Aber Steffen B. tut gern etwas, er verabscheut Ohnmacht. Auch deswegen ist
er nach Heiligendamm gefahren. Er hat kein politisches Programm, aber das
Gefühl, gegen die "zutiefste Ungerechtigkeit in der Gesellschaft, für die
die Vertreter der G8 stehen, ein Zeichen setzen zu können." Steffen B. hat
nicht wirklich daran geglaubt, dass die Blockaden den Gipfel tatsächlich
von der Außenwelt abschneiden könnten: "Dieser Protest ist immer
symbolisch, aber genau darum wichtig."
Dafür sind er und seine Gruppe vom Protestcamp Reddelich Richtung Zaun
aufgebrochen. Drei Stunden sind sie durch Wald und Felder marschiert, den
Polizeistreifen ausgewichen. Als sie in der Nähe von Hinter Bollhagen bei
einem der Eingänge in den Sperrzaun ankommen, stehen da viele Polizisten.
Sie blockieren die Straße um die Protestler fernzuhalten. Neuankömmlinge
werden mit Wasserwerfern empfangen.
Die Spritzkanonen der Polizeifahrzeuge schießen an diesem Tag öfter in
Kopfhöhe - das lässt sich in Videoclips im Internet noch heute beobachten.
Eigentlich sei das aber nicht erlaubt, sagt Ulf Erler, der Sprecher der
Kavala. "Beamte sollen nicht auf Köpfe, sondern auf die Beine zielen." Es
könne natürlich vorkommen, dass jemand stürze und dann am Kopf getroffen
werde, aus Versehen.
Aber Steffen B. ist nicht hingefallen. Als der Potsdamer auf der Wiese
ankommt, hält er sich fürs erste fern von den spritzenden Wasserwerfern. Er
läuft eine halbe Stunde umher, verliert in der Menge einige seiner Freunde
aus den Augen. Als die Polizei den Wasserbeschuss einstellt, geht B. weiter
nach vorn. Er will "sehen, was da so los ist." In der ersten Reihe hält
eine Gruppe Demonstranten eine Bauplane vor sich - etwa sechs Meter
entfernt stehen drei Wasserwerfer. Dann passiert es. Ein Polizist zeigt mit
seinem Schlagstock auf Demonstranten, wie ein Dirigent. Erst links, dann
rechts, dann auf Steffen B. Der Turm des mittleren Werfers dreht sich. B.
hört einen Ruf, etwas wie "Achtung, wir löschen." Den Strahl sieht er nicht
mehr kommen.
Laut der Dienstvorschrift 122 für den Einsatz von Wasserwerfen müssen
Demonstranten rechtzeitig gewarnt werden, bevor mit Wasserstrahlen
geschossen wird. Steffen B. ist sich noch heute sicher, dass das nicht
passiert ist. Andere Demonstranten bestätigen seine Aussage. Beweisen lässt
sich so etwas trotzdem schwer. So wie auch viele andere Übergriffe, die
Polizisten während des G8-Gipfels in Heiligendamm begangen haben sollen.
Bisher sind gerade einmal 27 Dienstaufsichtsbeschwerden bei der Kavala
eingegangen. Und laut Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier
(CDU) gibt es bisher nur eine Strafanzeige. Dieser Tage bereitet der
Republikanische Anwaltsvereins weitere vor. Die von Steffen B. soll in der
nächsten Woche rausgehen.
Als er auf der Erde liegt, weiß er, dass etwas "absolut Krasses passiert
sein muss." Seine linke Gesichtshälfte ist taub. Im medizinischen Befund
wird es später heißen, dass das Jochbein zertrümmert und das Lid halb
abgerissen ist. Neben ihm schreit ein Mann: "Die haben dir das Auge
weggeschossen!"
Steffen B. muss ein bisschen lachen, als er diese Szene im Büro seines
Potsdamer Anwalts schildert - über die Panik auf der Wiese in Hinter
Bollhagen. Er macht öfter Witze über das, was ihm passiert ist.
Beispielweise darüber, dass, als er später in der Rostocker Klinik lag, das
ZDF vor dem Krankenhaus gestanden habe. Reden wollte er mit den
Fernsehleuten aber nicht: "Da stand groß am Übertragungswagen: Mit dem
Zweiten sieht man besser. Das war zu der Zeit nicht so mein Spruch." Er
sieht aus dem Fenster und schweigt einige Sekunden. Freunde haben ihm
gesagt, man könne fast froh sein, dass es gerade ihn getroffen habe, keinen
Schwächeren, er könne doch viel aushalten. Man würde ihnen gern Recht
geben. , Aber in diesem einen Moment der Stille - da nicht.
Denn es ist nicht nur so, dass Steffen B. mit seinem linken Auge heute nur
noch Umrisse und Schatten erkennen kann. Er hat auch Erfahrungen gemacht,
die er nicht versteht. Als er etwa auf dem Boden liegt, kümmern sich zwei
freiwillige Demo-Sanitäter um ihn. Sie legen ihm eine Binde über beide
Augen, es wird vollständig dunkel für ihn. Dann wollen sie ihn in einen der
nahe stehenden Krankenwagen bringen. Doch die Polizisten haben das nicht
zugelassen, das gaben die beiden Sanitäter später B.s Anwalt zu Protokoll.
Begründung: In den Krankenwagen liege Material. Erst nach einer halben
Stunde darf das Fahrzeug Steffen B. abtransportieren. Allein.
Keiner seiner Freunde habe ihn begleiten dürfen, erzählt B. "Ich war
orientierungslos und ich hatte eine Scheißangst. Warum haben die niemand
mitfahren lassen, den ich kannte?"
Er versteht auch nicht, warum die Beamten den Krankenwagen zuerst nach Bad
Doberan schicken. Dort hebt jemand die Augenbinde an, Steffen B. erkennt
einen weißen Raum, eine Bundeswehruniform. Er hört eine Stimme, die
verfügt, dass er sofort nach Rostock gebracht wird. Die Ärzte dort müssen
schnell handeln: Mit ein paar Spritzen betäuben sie sein linkes Auge,
decken das rechte ab und operieren. Steffen B. kann das leise Schaben der
Instrumente hören.
Erst elf Tage später wird er wieder nach Potsdam zurückkehren können. Noch
immer muss er sich regelmäßig behandeln lassen. Während der ganzen Zeit
geht ihm ein Bild nicht aus dem Kopf: "Das Gesicht des Polizisten, der im
Turm saß, hat sich bei mir eingebrannt", sagt Steffen B. Er habe ihn durch
das Fenster des Wasserwerfes gesehen. Sehr jung sei der Beamte gewesen,
sein "Bubigesicht" habe ihn direkt angesehen, bevor das Wasser kam. B. ist
sich sicher, dass er den Mann erkennen würde, wenn man ihm Fotos zeigt. Er
will daher, dass er schnell Verdächtige sieht. "Ich hoffe so sehr, dass
dieses Bild so lange in meinem Kopf bleibt."
Doch seine Chancen sind begrenzt. Die Kavala soll bald aufgelöst werden,
und Polizisten unterliegen in Mecklenburg-Vorpommern keiner
Kennzeichnungspflicht. Deshalb ergeht die Anzeige gegen unbekannt. Doch
Steffen B. will diesen Polizisten finden. Gründe dafür gibt es natürlich
viele. Einer ist der, dass Steffen B. von einem Gericht hören will, dass
ihm und anderen durch Polizisten grundlos Gewalt angetan worden ist.
Während der Krankenhaustage in Rostock - nach einer zweiten Operation heilt
sein Auge langsam - liest er unter Mühen im Spiegel ein Interview mit
August Hanning, Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Die Journalisten
fragen, ob die Polizei zu hart vorgegangen sei, ein Demonstrant würde
womöglich sein Auge verlieren. Hanning erwidert, immerhin sei in
Heiligendamm niemand erschossen worden. Man könne mit dem Ergebnis
zufrieden sein.
5 Jul 2007
## AUTOREN
Daniel Schulz
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