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# taz.de -- Waldpartnerschaften: Holznutzung kontra Urwald
> Forstämter versuchen mit Unternehmenspartnerschaften ihre Flächen
> nachhaltig zu bewirtschaften und trotzdem Geld zu verdienen.
Bild: Wollen wir künftig was bezahlen, für einmal Seele baumeln lassen im sch…
Berlin taz | Rund 200.000 Euro zahlt die Möbelkette Roller der Stadt
Boppard künftig für eine Waldpartnerschaft. Vermittelt hat den Vertrag
zwischen dem Gelsenkirchener Unternehmen und dem Luftkurort in
Rheinland-Pfalz, [1][dessen Wälder vom Forstamt Boppard betreut und
bewirtschaftet werden, der Forst Stewardship Council (FSC)] – eine
Organisation, die sich nach dem Nachhaltigkeitsgipfel 1992 in Rio in
Brasilien gegründet hat und mittlerweile weltweit tätig ist. Mit Deals wie
in Boppard will der FSC Probleme lösen, vor denen viele Waldbesitzer
stehen, vor allem jene, die ihre Forste nachhaltig bewirtschaften.
Geld lässt sich nämlich bislang mit Wäldern auf drei Arten verdienen: mit
der Verpachtung von Jagdrechten und Flächen für Windräder und vor allem mit
dem Verkauf von Holz. Die Preise für Holz, etwa mit einem FCS-Siegel,
liegen dabei nicht über denen konventionell wirtschaftender Betriebe. Wer
mit seinem Wald Geld verdienen will, muss also viel Holz verkaufen.
Nachhaltigkeit – die etwa durch mehr ungenutzte Flächen, mehr Totholz im
Wald oder weniger Wege für den Abtransport des Holzes erreicht wird – lässt
sich nicht in höhere Gewinne umsetzen.
Gemeinsam mit dem FSC suchte der Leiter des Forstamts Boppard Lösungen für
diese beiden Probleme. Die Antwort lautet: „Waldpartnerschaften“. Mit dem
neuen Instrument knüpfen sie an eine Debatte an, die in den Forst- und
Umweltwissenschaften schon seit Jahrzehnten geführt wird: Wie lassen sich
die Ökosystemleistungen des Waldes in Geld umrechnen? Durch das neue
Waldsterben hat sie neue politische Brisanz gewonnen, weil Holzverkäufe in
vielen Gegenden als Einkommensquelle ausfallen. Außerdem führt die Frage
mitten hinein in die Debatte darüber, welcher Wald am besten für Klima- und
Artenschutz geeignet ist.
Ökosystemleistungen sind Leistungen, die der Wald aus sich heraus
vollbringt: Er stabilisiert den Wasserhaushalt und kühlt seine Umgebung. Er
ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen und Erholungsort für Menschen. Zudem
ist er ein riesiger CO2-Speicher.
Die Leistungen sind unbestritten – sie in Geld umzurechnen, ist aber
kompliziert. Elmar Seizinger, Mitglied der Geschäftsleitung beim FSC, hat
das Konzept der Waldpartnerschaften mit entwickelt. „Lange haben die
Forstwissenschaftler überlegt, wo sie ansetzen“, sagt er. Sollte man etwa
die Kosten für Lawinenschutzanlagen aus Stahl und Beton in den Alpen
berechnen und diesen Wert dem Wald als Ökosystemleistung anrechnen? Was
kostet Erosion? Was ist Erholung wert? „So richtig konnten wir damit nichts
anfangen“, sagt Seizinger. „In dem Moment, als man CO2 einen Preis gegeben
hat, wurde es interessant“, sagt er. Die Fähigkeit, CO2 zu speichern, lässt
sich messen, also auch monetarisieren.
## Douglasien für den Klimaschutz?
Einfach ist auch das nicht: Schnell wachsende Bäume speichern viel CO2 –
das spräche für neue Fichten- oder Douglasienplantagen. Im Sinne des
Waldumbaus hin zu einem widerstandsfähigen, artenreichen Laubmischwald wäre
das nicht. Abgesehen davon: Der Wald als CO2-Speicher ist in der
offiziellen deutschen Kohlenstoffbilanz, die das Umweltbundesamt führt,
schon eingepreist. Ein Waldbesitzer, der CO2-Zertifkate ausgeben würde,
würde seinen Wald also doppelt anrechnen.
Das Konzept der Waldpartnerschaft funktioniert jedoch auch anders: Die
Waldbesitzer müssen mit einem FSC-Siegel nachweisen, dass sie nachhaltig
wirtschaften; [2][das Siegel dient dann einer erweiterten Prüfung von
konkreten Ökosystemleistungen], etwa der Fähigkeit, CO2 zu speichern oder
Wasser in der Region zu halten. Dafür zahlt der Unternehmenspartner und
kann so sein Image verbessern. „Das Interesse der Unternehmen, in
Waldprojekte vor Ort zu investieren, und nicht weit weg im Globalen Süden,
ist groß“, sagt Seizinger.
Auf Waldschutz vor der Haustür setzen auch andere Projekte. Beispielsweise
das Start-up Woodify aus Bonn. Ebenfalls im Gebiet des Forstamts Boppard
vermittelt Woodify Patenschaften für eine Waldfläche, zwischen der
Rhein-Nahe-Verbandsgemeinde und Unternehmen, die in Klima- und Artenschutz
investieren wollen. Die Waldfläche der Verbandsgemeinde wird allerdings
künftig nicht mehr nachhaltig bewirtschaftet, sondern gar nicht mehr.
„Wir nehmen den Wald für 30 Jahre aus der holzwirtschaftlichen Nutzung“,
erklärt Anselm Schneider, einer der Woodify-Gründer. Wissenschaftlich
begleitet wird das Projekt von Pierre Ibisch vom Centre for Econics and
Ecosystem Management der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde.
„Auf diesen Flächen können Bäume, die nach Stürmen und Insektenbefall
absterben, verbleiben“, sagt Ibisch. Unter ihrem Schutz könnte sich neuer,
an neue klimatische Bedingungen angepasster Wald entwickeln, mit
unterschiedlichen Baumarten und einer großen biologischen Vielfalt.
Unternehmen können in dieses „Urwaldprojekt“ investieren.
Der Forstwissenschaftler Roland Irslinger hält von solchen
Verurwaldungsprojekten wenig. „Wenn Wälder nachhaltig genutzt werden,
entsteht in Form der Holzprodukte ein zusätzlicher Speicher, der sich in
Deutschland auf ein Äquivalent von etwa 1,2 Milliarden Tonnen CO2 beläuft“,
sagt er, „wenn Holz für Holzprodukte wie Holzhäuser verwendet wird, wird
zur Herstellung dieser Holzprodukte außerdem weit weniger fossile Energie
benötigt als bei Verwendung von Beton, Stahl, Alu oder Glas.“ Diese
Speicher- und Substitutionsfunktion habe ein Wald, der sich selbst
überlassen werde, nicht.
Was also ist ein guter Klimaschutzwald – ein nachhaltig bewirtschafteter
oder ein Urwald? Für Christopher Reyer, Forstwissenschaftler am
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, sind für eine Antwort noch zu
viele Fragen offen. „Wir wissen, dass Wälder weltweit unter Klimastress
kommen, aber wir wissen noch nicht genau genug, welche Rolle Störungen für
die CO2-Speicherfähigkeit spielen“, sagt er, „Modellierungen, die die
Fähigkeit des Waldes berechnen wollen, CO2 zu speichern, rechnen in der
Regel ohne Waldbrände, Stürme oder Insektenbefall.“
In der Regel gehen solche Modelle davon aus, dass Wälder pro Jahr und
Hektar um etwa drei bis vier Kubikmeter wachsen und dabei ein Kubikmeter
Holz eine Tonne CO2 speichert. Doch wie ändert sich diese Bilanz, wenn 400
Hektar Wald abbrennen, wie gerade in Brandenburg? Wie wirken Stürme, Hitze
und Insekten zusammen? „Dafür brauchen wir komplexere Modelle als bislang“,
sagt Reyer.
Außerdem müsse die Forstwissenschaft ihren Blick „über die Systemgrenze
Wald hinaus weiten“: Was wollen wir in einer künftigen Bioökonomie alles
aus Waldbiomasse produzieren? Medikamente, Häuser, Kleidung, Energie?
Welche fossilen Rohstoffe lassen sich nur durch Holz ersetzen? All das
seien offene Forschungsfragen, sagt Reyer. „Zudem brauchen wir haltbare
Aussagen darüber, was tatsächlich möglich ist.“
So gebe es zahlreiche Studien darüber, dass Laubbäume sehr gut als
Baumaterial nutzbar seien. „Die meisten Sägewerke können aber heute nur
Nadelholz verarbeiten, sie sind hoch spezialisiert auf diese Bäume,
Faserstärken, et cetera“, so Reyer. Wichtig sei also, die gesamte
Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen und zu bewerten, unter welchen
Umständen Bauprodukte aus Laubholz wirklich generiert werden könnten.
## Hauptsache, kein Greenwashing
Die derzeitige polarisierte Debatte in der Forstwissenschaft darüber, was
ein „guter Klimaschutz-Wald“ sei, sei nicht hilfreich, um diese Fragen zu
klären, so Reyer. Nur eins sei in Bezug auf beide Konzepte für
Waldpartnerschaften jetzt schon klar: „Wenn Unternehmen sie übernehmen, um
Greenwashing zu betreiben, und ihr eigenes Geschäftsmodell nicht nachhaltig
gestalten, dann ist für den Wald nichts gewonnen.“
1 Jul 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Heike Holdinghausen
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Forstwirtschaft
Wald
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Biodiversität
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