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# taz.de -- Streit über Hamburger Holocaust-Denkmal: Mahnmal soll weg
> Ein Schlosser hat ein Denkmal mit fragwürdigem Text vor ein einstiges
> Hamburger ZwangsarbeiterInnenlager gestellt. Nun will es keiner
> entsorgen.
Bild: Umstritten: Bardehles „Schraubzwinge“ vor dem einstigen Zwangsarbeite…
Hamburg taz | Der Vorplatz wirkt wie eine Hafenbrache, mit
LKW-Fahrgestellen, Containerhälften, alten Autos, allerlei Müll. LKW
donnern im Sekundentakt vorbei. Unwirtlich ist es vor dem Eingang zum
[1][Lagerhaus G] im Hamburger Hafen. Ein Teil des 24.000 Quadratmeter
großen denkmalgeschützten Gebäudes von 1903 ist eingezäunt. Nur zwei kleine
Messingschilder erwähnen, dass dies ein [2][Außenlager des KZ Neuengamme]
war, wo 1944/1945 mehrere tausend Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen
sowie italienische Militärinternierte kaserniert waren.
Doch ein würdiges Gedenken fehlt bislang. Stattdessen hat die Stadt das
Gebäude privatisiert; aktuelle Eigentümerin ist die Lagerhaus Heritage KG,
die ein Mischkonzept aus kommerzieller Nutzung und Gedenkort will. Doch die
Planungen stagnieren. Die Initiative Dessauer Ufer, 2017 von StudentInnen
und StadtteilaktivistInnen gegründet, kritisiert das seit Längerem und
moniert auch, dass keine Räume für Stadtteil-Aktivitäten vorgesehen sind.
Und als sei das nicht schwierig genug, steht seit einigen Monaten ein
umstrittenes Mahnmal vor dem Lagerhaus G, für dessen Entfernung sich
niemand zuständig fühlt. Es ist eine fünf Meter hohe stählerne
Schraubzwinge, in die ein Kind in Häftlingskleidung geklemmt ist.
Geschaffen hat sie der Bergedorfer Schlosser Carsten Bardehle nach einem
Entwurf der Schülerin Ella Nora Sloman, die 2011/2012 einen Wettbewerb
gewann. Sie hatte allerdings einen Erwachsenen dort eingeklemmt und auch
keine Texte vorgesehen.
## Bardehle hat den Entwurf verändert
Das hat Bardehle geändert. Er hat neben großen unkommentierten
[3][KZ-Zitaten] wie „Arbeit macht frei“ und „Jedem das Seine“ eine Tafel
verfasst, auf der unter anderem steht: „Erinnerung an 1.500.000 Kinder, die
in 5 Jahren WKII gezielt getötet wurden. Das wurde von Nazi-Akademikern
geplant und mit Hilfe der Verwaltung ausgeführt. Es sind und waren
habgierige Agitatoren, die ein ganzes Volk gegen eine Minderheit …
aufgehetzt haben und aufhetzen werden … Die alten und neuen …
Menschenschlächter … sind die Faulen, Arbeitsscheuen, Habgierigen.“
Wer mit „Nazi-Akademikern“ gemeint sei, bleibe unklar, schreibt die
Antisemitismusforscherin Rosa Fava. Die Benennung von „Akademikern“, ohne
deren Berufe zu nennen, deute darauf hin, das es nicht um konkrete
Tätergruppen gehe, sondern um eine akademische, von der Bevölkerung
abgespaltene Elite. „Hier offenbart sich ein gewisser
Antiintellektualismus, der mit Antisemitismus meist einhergeht.“
Zudem negiere die Reduktion der [4][NS-Täterschaft] auf eine kleine Gruppe
die breite Zustimmung eines großen Teils der Deutschen zum
Nationalsozialismus, ergänzt die Initiative Dessauer Ufer. Auch seien
Zuschreibungen wie „arbeitsscheu“ und „habgierig“ gefährlich, da die
Nationalsozialisten Menschen mit ähnlichen Zuschreibungen als sogenannte
„Asoziale“ verfolgten und ermordeten, etwa in der „Aktion Arbeitsscheu
Reich“ von 1938.
Ähnlich kritisch sieht es die AG Gedenken des Bezirks Bergedorf, dem
Bardehle die „Schraubzwinge“ zunächst anbot. „Wir haben Herrn Bardehle
gesagt, dass ein solcher Text im öffentlichen Raum der Kommentierung
bedarf“, sagt der Neuengammer Pastor Hanno Billerbeck. „Wir boten ihm
unsere Hilfe an, aber er hat sich nicht wieder gemeldet.“ Auch mit der
Stiftung Hamburger Gedenkstätten habe Bardehle weder Rücksprache gesucht
noch den Wunsch nach Beratung geäußert, sagt deren Direktor Detlef Garbe.
## Dass das Mahnmal weg muss, scheint Konsens
Schließlich hat Bardehle die „Schraubzwinge“ Güven Polat angetragen. Polat
ist Sprecher der Eigentümergemeinschaft, der Lagerhaus Heritage KG. „Herr
Bardehle erklärte mir am Telefon, dass die Skulptur auf dem Dach des
Lagerhaus G gut aussehen würde und ein Blickfang wäre“, sagt Polat. „Da er
sich sichtlich bemühte, wollte ich ihn nicht einfach abspeisen. Ich
berichtete ihm von der geplanten Gedenkveranstaltung für italienische
Militärinternierte am 8. September 2021 – und dass er es vielleicht lieber
dort oder bei der Hafencity GmbH versuchen sollte.“
Den Text habe er im Trubel nur beiläufig zur Kenntnis genommen, sagt Polat.
Die Initiative Dessauer Ufer aber sehr wohl: „Wir begrüßen, dass vor Ort an
die Verfolgten im NS erinnert werden soll, halten dieses Denkmal jedoch für
kontraproduktiv, unangemessen und nicht tragbar“, heißt es dort. Auch die
Hamburger Kulturbehörde findet, dass ein Gedenken an diesem historischen
Ort „auf Grundlage der aktuellen historischen Forschung beruhen und
möglichst breit getragen sein“ sollte.
Dass das Mahnmal weg muss, scheint also Konsens, aber das kann dauern.
Polat sagt, er sei selbst überrascht gewesen, dass Bardehle die
Schraubzwinge nicht wieder entfernt und stattdessen vom öffentlichen Boden
vor dem Lagerhaus auf die Rampe gestellt habe. „Auf meine Aufforderungen,
es zu entfernen, hat er nicht reagiert und gesagt, er sei seit einem
Betriebsunfall zu 50 Prozent geistig behindert. So jemanden verklage ich
doch nicht.“
Die Gebäudeeigentümerin wende sich klar gegen jede Relativierung der Shoah
und gegen Antisemitismus, sei für den Abtransport jedoch nicht zuständig,
da sie keinen vertraglichen Zugriff auf die vorderen Flächen habe, sagt
Polat.
## Komplizierte Rechtslage
Juristisch ist die Sache tatsächlich kompliziert: Die Rampe, auf der die
Schraubzwinge steht, schwebt über öffentlichem Grund – dem der Hafen City
GmbH. Somit wäre eigentlich die Stadt Hamburg für den Abtransport
zuständig. Kulturbehördensprecher Enno Isermann schreibt aber, das Werk sei
auf private Initiative aufgestellt worden. Und ob die Rampe öffentlicher
Raum sei, werde derzeit geprüft.
Bardehle selbst gibt sich zugeknöpft: Auf Fragen nach dem Abtransport
antwortet er nicht. Solche nach Intention und Wortwahl des Textes kontert
er mit der Bemerkung, man habe „den Sinn der Skulptur mit ihrer
Beschriftung nicht verstanden“ und stelle überhaupt unintelligente Fragen.
Wie es weiter geht, ist offen. „Wir wollen den Konflikt nicht eskalieren
lassen“, sagt Thomas Käpernick von der Initiative Dessauer Ufer. „Wir
wollen nur, dass das Denkmal entfernt wird.“
20 Jun 2022
## LINKS
[1] /Dokumentarfilm-Lagerhaus-G/!5845319
[2] /Debatte-ueber-einstiges-NS-Haeftlingslager/!5768236
[3] /Holocaustueberlebende-Margot-Friedlaender/!5857241
[4] /Gedenken-an-den-Holocaust/!5667479
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
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Hamburg
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