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# taz.de -- ÖPNV-Modellprojekt in Bielefeld: Autofahren trotz Gratis-Ticket
> Zwei Jahre lang konnten 1.200 Menschen im Bielefelder Stadtteil
> Sennestadt kostenlos Bus fahren. Doch die Zahl der Autofahrten sank
> nicht.
Bild: Diese bielefelder Straßenbahn-Idylle hilft vielleicht, beim nächsten ma…
Bielefeld taz | Das 9-Euro-Monatsticket für den öffentlichen Nahverkehr ist
gestartet. Die Hoffnungen sind groß, dass dadurch viele Menschen zum
[1][Umstieg vom Auto auf Bahn und Bus] bewegt werden. Doch kann das
klappen? Der Blick auf ein bundesweit einmaliges Modell im [2][Bielefelder]
Stadtteil Sennestadt lässt vermuten, dass der Preis alleine nicht
entscheidend ist.
In Sennestadt – ein Ende der 1950er Jahre gebauter Stadtteil am Bielefelder
Stadtrand, der nach dem Konzept der autogerechten Stadt ganz auf den
Individualverkehr ausgerichtet war – durften von Anfang 2019 bis Ende 2020
rund 1.200 Bewohnerinnen und Bewohner von 750 Haushalten mit den sechs
Buslinien im Stadtteil gratis fahren.
Vom Vermieter, der Bielefelder Gesellschaft für Wohnen und
Immobiliendienstleistungen BGW beziehungsweise der Baugenossenschaft Freie
Scholle, bekam jeder Haushalt das so genannte Sennestadt-Ticket automatisch
zugeschickt. Weitere Tickets für Mitbewohnerinnen und Mitbewohner ab 18
Jahren konnte man kostenlos anfordern. Außerdem konnten die Mieterinnen und
Mieter der 750 Haushalte eine Monatskarte für den gesamten Bielefelder Bus-
und Stadtbahnverkehr für etwa die Hälfte des normalen Preises erwerben.
Die beiden Wohnungsgesellschaften zahlten an den kommunalen Bielefelder
ÖPNV-Betreiber Mobiel pro Haushalt und Monat jeweils 5 Euro zur
Finanzierung des Modellversuchs. Für die Mieterinnen und Mieter war das
Sennestadt-Ticket umsonst, der Betrag wurde nicht auf die Miete
draufgeschlagen.
Gleichzeitig gab es im 22.000 Einwohner zählenden Stadtteil verschiedene
Aktivitäten, um Alternativen zur Autonutzung aufzuzeigen. Dazu gehörten
öffentlichkeitswirksame Radtouren, die Präsentation von Lastenrädern, die
Initiative für ein Car-Sharing-Fahrzeug sowie die zeitweise Umwandlung von
Parkplätzen. Ein ehrenamtlich betriebener Kleinbus fährt immer samstags zum
Markt und bietet Platz für mobilitätseingeschränkte Personen.
## Und, wie war's?
Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) aus Dortmund
hat 160 SennestädterInnen zweimal vor Beginn der Pandemie zu ihrem
Mobilitätsverhalten befragt. Danach hat sich die Nutzung des Autos vor und
während des Modells nicht entscheidend verändert, aber es wurden seit
Einführung des Sennestadt-Tickets mehr Wege zu Fuß und mit dem Bus
zurückgelegt.
Zu den regelmäßigen NutzerInnen zählten vor allem Menschen mit einem
niedrigen Einkommen, darunter viele Rentnerinnen, denen kein Auto zur
Verfügung steht. Mit jeweils rund 40 Prozent war die Zustimmung der
Befragten zu den Aussagen „Mache aktiv was für Klimaschutz“, „Fühle mich
mobiler“ und „Macht Erledigungen einfacher“ besonders groß.
## Pkw-Routinen schwer zu durchbrechen
Die ILS-Expertinnen betonen, dass eine routinehafte Nutzung des Pkw häufig
nicht kurzfristig verändert werden kann. „Unklar bleibt …, inwiefern durch
ein längerfristiges Angebot eines solchen Mietertickets auch
weitreichendere Veränderungen erreicht werden könnten (z. B. Abschaffung
eines Pkw auf Haushaltsebene)“, heißt es im ILS-Bericht.
Empfohlen wird dem Wohnungsunternehmen, mit einem Mieterticket zu werben,
um so gezielt Menschen auf Wohnungssuche anzusprechen, die zu einem
Verzicht auf ein Auto oder zu einer Reduzierung ihrer Autofahrten bereit
sind.
Das grundsätzliche Interesse von Mieterinnen und Mietern an solchen
Angeboten bestätigt Kai Schwartz, Vorstandsvorsitzender der
Baugenossenschaft Freie Scholle: „Die Leute fragen heute nicht nach einem
Pkw-Stellplatz, sondern nach einer Anbindung an den ÖPNV.“
## Das 9-Euro-Ticket bleibt ein Fragezeichen
Das Stadtwerke-Tochterunternehmen Mobiel freut sich, dass sich durch den
Modellversuch bei den beteiligten Haushalten die Zahl der Abonnements für
ein in ganz Bielefeld gültiges ÖPNV-Monatsticket mehr als verdreifacht hat.
„Mobiel ist insgesamt mit den Nutzerzahlen zufrieden“, sagt Yvonne Liebold,
Sprechern der Stadtwerke Bielefeld.
Nach ihren Worten sind Verbesserungen durch die Einrichtung neuer
Buslinien und die Verlängerung einer Straßenbahnlinie bis nach Sennestadt
geplant, von wo man derzeit 45 Minuten mit dem öffentlichen Nahverkehr bis
ins Bielefelder Zentrum braucht – mit dem Auto geht es wesentlich
schneller. Ob das [3][9-Euro-Ticket] angesichts der Erfahrungen in
Sennestadt ein Erfolg werden könnte, darüber mag Liebold nicht spekulieren.
1 Jun 2022
## LINKS
[1] /OePNV/!t5018153
[2] /Bielefeld/!t5023345
[3] /Start-des-9-Euro-Tickets/!5854994
## AUTOREN
Joachim Göres
## TAGS
Autoverkehr
Öffentlicher Nahverkehr
Mobilität
9-Euro-Ticket
Volker Wissing
Deutsche Bahn
365-Euro-Ticket
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