# taz.de -- AfD entlarvt sich in zwei Dokus: „Torpedieren, sinnentleeren“ | |
> In den zwei AfD-Dokumentationen „Eine deutsche Partei“ von Simon Brückner | |
> und „Volksvertreter“ von Andreas Wilcke entlarvt sich die Partei selbst. | |
Bild: AfD-Mitglied Andreas Wild bei einer Anti-Corona-Demo | |
Beim beobachtenden Dokumentarfilm geht es darum, das Gezeigte für sich | |
sprechen zu lassen. Es gibt keine Einordnung über die Bilder hinaus: Keine | |
Stimme aus dem Off, keine Kontextualisierung und wenig Informationen zum | |
Gezeigten. | |
Welcher wahnwitzige Regisseur würde versuchen, dieses Dogma ausgerechnet | |
auf die AfD anzuwenden? Im Umgang mit der extrem rechten Partei gilt doch: | |
Kein rassistischer AfD-Wortfetzen ohne Einordnung, kein Bericht ohne | |
Kontextualisierung. Und erst recht kein anderthalbstündiger Dokumentarfilm | |
ohne jeden Kontext! Oder? | |
Gleich zwei solcher Dokus laufen aber nun in den Kinos: Heute startet „Eine | |
deutsche Partei“ von Simon Brückner. Bereits zu sehen ist „Volksvertreter�… | |
von Andreas Wilcke. Beide begleiteten AfD-Politiker über mehrjährige | |
Zeiträume. Beide belegen mit ihren Filmen die Stärke des Genres der | |
beobachtenden Dokumentation. | |
Erst beim zweiten Nachdenken und beim Anschauen der Filme leuchtet ein, | |
warum Brückner und Wilcke dieses Mittel gewählt haben: Niemals wäre es mit | |
herkömmlichen Mitteln gelungen, so nah heranzukommen an AfD-Abgeordnete und | |
einzufangen, wie sie in geschlossenen Runden unverstellt und unter sich | |
reden. | |
## Am Ende steht die Selbstentlarvung | |
Denn in mühevoller Kleinarbeit – man will gar nicht wissen, wie viele | |
AfD-Veranstaltungen beide Regisseure ertragen mussten – haben sie sich | |
einen exklusiven Zugang zu Abgeordneten, deren Fraktionssitzungen, | |
Hinterzimmergesprächen, Wahlkampfteams und Auslandsreisen erwallrafft. | |
Am Ende steht nicht nur die erneut herausgeschälte antidemokratische | |
Grundausrichtung der Partei, sondern auch Selbstentlarvung. Der angesichts | |
von mutmaßlich tonnenweise Rohmaterial minutiösen und mutigen Arbeit der | |
Regisseure ist zu verdanken, dass das funktioniert. Denn natürlich findet | |
durch die Auswahl von Szenen eine Einordnung statt. Nur sargt die AfD sich | |
hier halt selbst ein. | |
Durch die Dokus dürften selbst einige AfD-Wähler*innen erkennen, wie | |
armselig, klein und trist die Welt ihrer gewählten Volksvertreter ist. | |
Brückner hat in „Eine deutsche Partei“ einen besonderen Fokus auf die | |
Berliner AfD gelegt, aber auch die seit Gründung fortschreitende | |
Radikalisierung der Gesamtpartei zwischen 2019 und 2021 beleuchtet. Wilcke | |
hingegen begleitete vier Bundestagsabgeordnete in der ersten Legislatur der | |
AfD drei Jahre lang ab 2017. | |
In Brückners „Eine deutsche Partei“ zeigt sich besonders der aussichtslose | |
Kampf derjenigen, die sich als „gemäßigt“ inszenieren. Dabei wird zunäch… | |
deutlich, dass Mäßigung bei ihnen nur eine hohle Phrase ist. | |
[1][Georg Pazderski etwa, der die AfD auf dem „Berliner Kurs“ mit einer | |
Abgrenzung zu Rechtsextremen zu einer Volkspartei machen wollte], amüsiert | |
sich königlich bei einem Vortrag des rechtsdrehenden ehemaligen | |
Focus-Journalisten Michael Klonovsky, der von einer „Rangordnung der | |
Kulturen“ spricht und davon, dass sich „auch ethnische Kollektive in ihren | |
Eigenschaften, Talenten und Mentalitäten signifikant voneinander“ | |
unterschieden. Hinterher gibt es krachenden Applaus. | |
## So sieht Mäßigung bei der AfD aus | |
Und selbst wenn man Pazderski im Film abnimmt, dass er die noch extremeren | |
Kräfte in seiner Partei bekämpfen will, scheitert er letztlich. Er verliert | |
eine Kampfabstimmung gegen den [2][Bayer Stephan Protschka aus der | |
völkischen Strömung, obwohl der gerade mal wieder einen Nazi-Skandal zu | |
verantworten hat]. Beim Smalltalk auf dem Weg nach draußen erfährt | |
Pazderski von einer Party, von der er nichts wusste. Mäßigung bei der AfD: | |
not invited to the party. | |
Wirklich gruselig wird es mit den Protagonisten der völkischen | |
Parteiströmung: Wenn die [3][Abgeordneten Gunnar Lindemann und Andreas | |
Wild] auf Auslandsreise etwa mit Ustascha-Faschisten in einer Hotellobby | |
bonden. | |
Oder wenn man erkennt, wie gut [4][Rechtsextremist Andreas Kalbitz] trotz | |
seines Rausschmisses in der AfD vernetzt ist und wenn dessen Protegé | |
Steffen Kotré nebenbei bei einem „Bürgerdialog“ mit Bier in der Hand eine | |
rechte Verelendungstheorie zum Besten gibt, nach der es Deutschland noch | |
schlechter gehen müsse, damit mehr AfD gewählt würde. | |
Andreas Wilcke gelingt es in „Volksvertreter“ wiederum exzellent, seine | |
Protagonisten in Widersprüche zu verwickeln. Etwa wenn der Höcke-Freund aus | |
der völkischen Strömung, Enrico Komning, bei einer Wahlkampfrede sagt, dass | |
in der AfD kein Platz für Eitelkeiten sei, schließlich ginge es um | |
Deutschland, ansonsten aber jederzeit darum bemüht ist, gut auszusehen bei | |
Social-Media-Auftritten im Bundestag. Resultat: Der eitelste Mensch im Film | |
ist Enrico Komning. | |
## Flügel-Mann und Nazi-Opa | |
Und Armin-Paulus Hampel, Flügel-Mann aus Niedersachsen, wirkt fast wie eine | |
Parodie auf den alten kettenrauchenden Nazi-Opa, der nach ein paar Schnaps | |
rassistische Parolen und sexistische Herrenwitze raushaut. Bloß dass Hampel | |
sich das ohne Alkohol im Bundestag traut. Als er mit seinem Team auf die | |
griechische Insel Samos fährt, um rassistische Stereotype über Geflüchtete | |
mit eigenen Propaganda-Bildern zu reproduzieren, ist Hampel zuverlässig der | |
unsympathischste Mensch vor der Kamera. | |
Die gestrandeten Flüchtlinge, die unter widrigsten Umständen an der | |
EU-Außengrenze in Zeltlagern eingepfercht sind, bleiben trotz der | |
widerlich-paternalistischen Ansprache Hampels und allen Umständen | |
freundlich und offen. | |
Die meisten wollen nicht nach Deutschland, zwei wollen nur aufs griechische | |
Festland und dort arbeiten. Harter Schnitt zur Pressekonferenz im Bundestag | |
nach der Reise, Hampel lügt den Anwesenden direkt ins Gesicht: „Alle, mit | |
denen wir gesprochen haben, wollten nach Deutschland kommen“, behauptet er. | |
Dann ist da noch Norbert Kleinwächter, der auf einem Brandenburger | |
Landesparteitag als Krawallschachtel und deutlicher Kritiker des | |
Proto-Neonazis Kalbitz auftritt und daraufhin mit seiner Kampfkandidatur | |
eine herbe Niederlage einfährt. Kleinwächter gehört zwar zu denen, die sich | |
„gemäßigt“ nennen, antidemokratisch kann er dennoch: | |
Bei einer „Schulung Kommunalpolitik“ bringt der gelernte Lehrer | |
Kleinwächter AfD-Kreistagsabgeordneten und Lokalpolitikern das kleine | |
Einmaleins der Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie bei. Die | |
Stichworte auf seiner PowerPoint-Folie gehen so: „torpedieren, | |
sinnentleeren, endlos hinterfragen, Debatte ins Endlose ziehen, mit Schmutz | |
bewerfen“. Kleinwächter sagt dazu: „Im Kreistag ist offenes Feuer, da ist | |
alles erlaubt.“ | |
## Trauter Rassismus beim Public-Viewing | |
In einer anderen Szene klopft Kleinwächter bei einem AfD-Public-Viewing die | |
Fußball-Nationalmannschaft gewissermaßen auf ihren „Ariernachweis“ ab. Der | |
Tenor: Alles keine echten Deutschen, selbst Verteidiger Niklas Süle habe | |
einen ungarischen Vater, das sei eine richtige „Merkel-Mannschaft“, so | |
Kleinwächter. | |
Beim Spiel freuen sich dann alle in trautem Rassismus über die rote Karte | |
für den schwarzen Verteidiger Jérôme Boateng. Eine Frau benutzt das N-Wort, | |
ein anderer kommentiert „Abschieben“. Kleinwächter sagt dazu: „Das müss… | |
man auch an der Grenze machen: Rot!“ | |
Achtung Kontext: [5][Auf dem Parteitag nächste Woche will Kleinwächter als | |
Kandidat des vermeintlich gemäßigten Lagers in einer Kampfkandidatur gegen | |
den von den Völkischen protegierten Sachsen Tino Chrupalla antreten]. An | |
Kleinwächter wird überdeutlich, dass auch seine Rhetorik kaum weniger | |
extrem ist als die des tumb-strammen Flügelmannes Enrico Komning. | |
Zugleich bringt Kleinwächter die vereinsmeiernde Bratwurstigkeit der Partei | |
wunderbar auf den Punkt. Wenn er mit lascher Haltung dasteht und schief die | |
Nationalhymne mitsingt etwa, um alle Anwesenden danach im verschüchterten | |
Vertrauenslehrer-Ton noch auf ein Bier und natürlich Wurst einzuladen. | |
## Keine Einordnung durch die „Lügenpresse“ | |
Schön ist das alles nicht. Einerseits ist es für Außenstehende eine Art | |
Nazi-Horror-Porno, Titel: „Ich habe drei Jahre lang Nazis beobachtet, damit | |
ihr es nicht müsst.“ Andererseits dürfte Wilckes Film gerade für die | |
AfD-Kernklientel abschreckend sein, weil die verhasste Einordnung der | |
„Lügenpresse“ fehlt, die Partei sich also selbst demontiert und neben ihrem | |
neoliberal-rassistischen bis faschistischen Markenkern ihre heuchlerische | |
Inkompetenz und unendliche Eitelkeit freilegt. Umso besser wäre es, wenn | |
die Filme zusätzlich im Fernsehen laufen würden. | |
Die AfD jedenfalls wird sich auf ein solches Filmprojekt wohl so schnell | |
nicht wieder einlassen. Bezeichnend dafür ist eine Szene, die Brückner im | |
Arbeitskreis Wirtschaft der Bundestagsfraktion eingefangen hat: Dort träumt | |
der Ex-Abgeordnete Hans-Jörg Müller recht zusammenhanglos vom Austritt aus | |
„der Drecks-EU“, woraufhin Parteichef Tino Chrupalla den Dokumentarfilmer | |
doch lieber aus der internen Sitzung rausschmeißt. „Wem nützt denn das?“, | |
fragt Chrupalla. Der AfD sicher nicht. | |
16 Jun 2022 | |
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## AUTOREN | |
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