# taz.de -- AfD Berlin nach der Wahl: Die Gewinner der Verlierer | |
> Nach der Wahlniederlage der AfD in Berlin ist die völkische Strömung der | |
> Gewinner. Mit Thorsten Weiß kommt ein Höcke-Verehrer in den | |
> Fraktionsvorstand. | |
Bild: Thorsten Weiß (links im Bild) bei der konstituierenden Sitzung der Berli… | |
Trotz der starken Verluste nach der Abgeordnetenhauswahl gibt es im | |
Berliner Landesverband der AfD nicht nur Verlierer. Gewinner der von 25 auf | |
13 Sitze geschrumpften Fraktion, die auch nach der Wahlschlappe von | |
Landeschefin und Spitzenkandidatin Kristin Brinker angeführt wird, ist die | |
völkische Strömung innerhalb des Landesverbands. Der ehemalige Landesobmann | |
des offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügels, Thorsten Weiß, ist zum | |
stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden. Er setzte sich innerhalb der | |
Fraktion gegen Frank-Christian Hansel durch, der nicht mehr in den Vorstand | |
gewählt und damit zum einfachen Abgeordneten degradiert wurde. | |
Und Weiß ist nicht irgendwer. Weder zeigte der ehemalige Vorsitzende der | |
Jungen Alternative Berührungsängste gegenüber der Identitären Bewegung, | |
noch hat er jemals einen Hehl aus seiner Zuneigung zum Rechtsextremisten | |
und ehemaligen Flügel-Führer Björn Höcke gemacht. Weiß ließ sich etwa in | |
der Vergangenheit mit einer tiefen Verbeugung von Höcke Fantasieorden | |
anstecken und hatte nach einer über einstündigen Höcke-Rede beim | |
Kyffhäusertreffen 2019 [1][erklärt]: „Du bist unser Anführer, dem wir gerne | |
bereit sind zu folgen.“ | |
Seine Wahl in den Fraktionsvorstand ist der politische Tribut, den die | |
Völkischen in der AfD Berlin noch einfordern konnten. Mit ihrer Hilfe hatte | |
sich die Spitzenkandidatin und jetzige Fraktionsvorsitzende auf dem | |
Parteitag mit [2][März zur Landeschefin wählen lassen]. Hinzu kommt wohl, | |
dass Frank-Christian Hansel ein Gegner Brinkers ist, mit dem sie sich in | |
der vergangenen Legislatur im Streit über die Fraktionsfinanzen überworfen | |
hatte. Hansel war wie der scheidende Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski | |
stets Verfechter des „Berliner Kurses“ – was für eine „bürgerliche“… | |
„gemäßigte“ Ausrichtung der AfD stehen und schließlich zur | |
Regierungsfähigkeit der AfD führen sollte. | |
Nun, dieser Kurs scheint mittlerweile abgehakt. Auch wenn Brinker mit Höcke | |
wenig anfangen kann, wie sie betont, tut sie sich mit einer eindeutigen | |
Distanzierung von der [3][völkischen Strömung schwer]. Ihr Wahlversprechen | |
als Landeschefin war, alle Teile der Partei zu integrieren. Zuvor hatte sie | |
die AfD gar zum parlamentarischen Arm der Querdenken-Bewegung erklärt. Mit | |
der Wahl von Weiß in den Fraktionsvorstand dürfte Brinker ihr Versprechen | |
gehalten haben. | |
Allein ist Weiß in der Fraktion als ehemaliger Flügel-Anhänger nicht. Mit | |
der wieder eingezogenen Jeanette Auricht gibt es eine weitere | |
Höcke-Unterstützerin, die ebenso wie Weiß mittlerweile auch im | |
Landesvorstand sitzt. Ihr Antrittsversprechen damals war unter anderem, den | |
„linken Mist von der Straße zu fegen“. Innerhalb der | |
Abgeordnetenhausfraktion gilt zudem der wieder eingezogene Hugh Bronson als | |
flügelnah. | |
Der größte Verlierer der AfD Berlin ist unterdessen nicht sonderlich schwer | |
auszumachen: der scheidende Abgeordnete Georg Pazderski. Eine häufig in der | |
Politikberichterstattung gebräuchliche Floskel ist die „lahme Ente“. Damit | |
werden Politiker*innen bezeichnet, die zwar noch Funktionen inne, aber | |
eigentlich nichts mehr zu melden haben. Und auch wenn Floskeln eigentlich | |
scheußlich sind, hat der Ausdruck wohl selten so gut gepasst wie für den | |
offiziell noch bis zum 3. November amtierenden alten Fraktionschef der AfD | |
im Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski. | |
Denn der quakt zwar noch immer viel und laut, vornehmlich über die sozialen | |
Kanäle und per Pressmitteilungen, ist aber de facto seit der Wahl zu | |
Abgeordnetenhaus und Bundestag im Ruhestand. Den Machtkampf um die AfD | |
Berlin hat er mit dem schlechten Wahlergebnis endgültig verloren, nachdem | |
sich die AfD von 14,1 Prozent auf 8 fast halbiert hat. | |
Pazderski wollte sich nach seinem im Frühjahr verlorenen Machtkampf um den | |
Landesvorsitz in den Bundestag retten – allerdings reichte es nur für einen | |
wackeligen vierten Platz auf der Landesliste. Mit dem schlechten | |
Wahlergebnis der AfD scheiterte er krachend. Innerhalb der Berliner AfD | |
gilt er als Verfechter des vermeintlich gemäßigten Kurses von | |
(Noch-)Bundessprecher Jörg Meuthen. | |
2019 wollte Pazderski noch Bundesvorsitzender der AfD werden. Entsprechend | |
schwer tut er sich mit seinem Bedeutungsverlust. Noch am Tag nach der | |
Bundestagswahl ließ er per Pressemitteilung einen zweiseitigen „Sprechtext“ | |
verschicken, der nichts anderes ist als eine Abrechnung mit der | |
Spitzenkandidatin Brinker, Pazderskis Intimfeindin und Nachfolgerin. Ihre | |
Aufstellung sei ein Fehler gewesen, ihre „Unbekanntheit“ und „Angst“ | |
anzuecken hätten den Wahlkampf stark beeinträchtigt. | |
Der scheidende Bundeswehr-Offizier machte das „enge Verhältnis“ Brinkers | |
zum offiziell aufgelösten rechtsextremen Flügel für die Wahlniederlage | |
verantwortlich und bemängelte die „Annäherung an Verschwörungstheoretiker�… | |
während der Coronakrise. Er plädierte am Tag vor der Wahl des neuen | |
Fraktionsvorsitzes dafür, die „Wahlverliererin Kristin Brinker“ nicht zu | |
wählen. | |
Brinker bekam in der neuen Fraktion allerdings 12 von 13 Stimmen – bei | |
einer Enthaltung. Pazderski, abgestraft, blieb nach dem Debakel der | |
nächsten Sitzung der alten Fraktion fern. Dort sprachen die | |
Noch-Abgeordneten ob seiner öffentlich breitgetretenen Schimpftiraden eine | |
Missbilligung für Pazderski aus. So endet die politische Karriere des | |
bisherigen Fraktionsvorsitzenden mit der Missbilligung aus den eigenen | |
Reihen. | |
Enthalten haben sollen sich dazu übrigens Pazderskis Vertraute Ronald | |
Gläser und Karsten Woldeit. Auf Anfrage der taz an Gläser, wie er das | |
Nachtreten Pazderskis gegen Brinker werte, heißt es nur lapidar: „Unsere | |
Landesvorsitzende heißt Kristin Brinker.“ Mit der arbeite er vertrauensvoll | |
zusammen. Zum Erfolg der Höcke-Fans seiner Fraktion sagte er: „Berlin ist | |
nicht Erfurt. Hier ist ein anderer Stil erfolgversprechend.“ Der Flügel | |
habe sich aufgelöst, Flügelkämpfe spielten keine Rolle „bei der soliden | |
Zusammenarbeit mit den genannten Parteifreunden“. | |
Direkt nach der Wahl Brinkers zur Fraktionsvorsitzenden deutete sich | |
allerdings an, dass die Grabenkämpfe innerhalb der AfD ohne Unterbrechung | |
weitergehen: In einem intern kursierenden Beitrag, der an den | |
[4][Tagesspiegel durchgestochen wurde], heißt es, dass Brinker die Fraktion | |
den radikalen Kräften um Thorsten Weiß ausgeliefert hätte. Sie führe die | |
Partei auf den „thüringischen Höcke Weg“, zusammen mit ihrem „Kettenhund | |
und Vollstrecker“, dem erneut gewählten Harald Laatsch. | |
Brinker nannte das „völligen Quatsch“. Trotz aller einschlägig bekannten | |
Fakten und Aussagen über den Landesobmann der völkischen Strömung sagte | |
Brinker der taz: „Den Flügel gibt es nicht mehr. Weiß ist normales Mitglied | |
der AfD.“ Sie habe in der vergangenen Legislatur im Hauptausschuss gut mit | |
ihm zusammengearbeitet. Im Übrigen wolle sie die AfD Berlin regierungsfähig | |
machen. Die Vorwürfe von Pazderski kommentiere sie nicht. | |
Das Schreiben macht allerdings klar: Brinkers Gegner*innen haben noch | |
nicht aufgegeben. Und ganz ohne Einfluss sind Pazderskis Vertraute in der | |
neuen Fraktion auch nicht: Ronald Gläser wurde zum parlamentarischen | |
Geschäftsführer gewählt, und für Karsten Woldeit reichte es ebenfalls für | |
den Fraktionsvorstand. | |
18 Oct 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/politik/erkenntnisse-fuer-den-verfassungsschutz… | |
[2] /Neue-Parteichefin-der-AfD-Berlin/!5757819 | |
[3] /Fuenf-Jahre-AfD-im-Abgeordnetenhaus/!5797759 | |
[4] https://www.tagesspiegel.de/berlin/kettenhund-und-vollstrecker-weiter-hefti… | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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