Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kunst im Einkaufszentrum: Die andere Skyline
> Das Konzept Kunst als Zwischennutzung zieht in Berliner Malls ein. Das
> Ringcenter zeigt dabei noch ganz andere Räume: Prototypen eines neuen
> Wohnens.
Bild: Begann als Gegenentwurf zu Geflüchtetenunterkünften: Das Wohnmodell „…
Üblicherweise geht es ja so: Erst kommt die Kunst und dann die
Gentrifizierung. Nur in Berlin geht’s andersrum, nach der Gentrifizierung
kommt die Kunst; etwa in der Friedrichstraße, von der man in ihrem jetzigen
Zustand nicht weiß, ob man sie die schreckliche Friedrichstraße nennen soll
oder die arme bedauernswerte Friedrichstraße.
Das ehemals mit Läden der Luxuslabels vollgestopfte Quartier 205
beispielsweise ist jetzt so leer, dass man sich für einen Moment fragt: Ich
bin doch nicht in Moskau gelandet?! Aber werden in den dortigen Shopping
Malls, wo man vor den Sanktionen Görtz-Schuhe verkaufte, jetzt auch
Tape-Art-Workshops angeboten, in denen man mit Klebeband Bilder klebt?
Vielleicht unterscheidet das Berlin von Moskau, und auch der
[1][Contemporary Show Room], in den man gleich nebenan hineinstolpert.
Betrieben wird er vom gemeinnützigen DEEDS.LAB.
Nach der Eröffnungsausstellung zeigt die „Überschau #2“ momentan noch 101
Kunstwerke aus zehn Berliner Galerien von zusammen 25 Künstler:innen
(aus den Galerien CRONE Berlin/Wien, Galerie Dittmar, EIGENHEIM
Weimar/Berlin, Galerie Martin Mertens, Galerie Michael Haas,
janinebeangallery, Galerie Kremers, Migrant Bird Space, Galerie mutare und
Galerie Sievi. Eine Liste der Künstler:innen [2][findet sich hier])
unter anderem mit Kunst von Baselitz-Meisterschülerin Caro Stark, oder
Peter Doherty.
Letzterer bekannt als Frontman der Band Babyshambles und The Libertines,
noch bekannter als zeitweiliger Gefährte von Supermodel Kate Moss und am
bekanntesten als Junkie mit Hang zur Randale. Was Dohertys Kunst angeht,
drei Papierarbeiten und eine Installation: ist nicht weiter der Rede wert.
Da sieht man mit Arbeiten wie der Malerei von Mehmet Güler schon weiteaus
Interessanteres.
## Affekt, Konsumwelt, Wohnraum
Im Ring Center bei der S-Bahn Haltestelle Frankfurter Allee werden
ebenfalls Räume zur [3][künstlerischen Zwischennutzung] zur Verfügung
gestellt, und zwar von Kultur Räume Berlin, einem Bündnis aus Verwaltung,
freier Szene, gemeinwohlorientierter Immobilienwirtschaft und der eigens
gegründeten Kulturraum Berlin GmbH. Ja, die Liebe des Berliner Senats
[4][für die landeseigene GmbH und die Intransparenz]. Die Kulturraum Berlin
GmbH entstand jedenfalls 2020 in Form einer Tochter der
öffentlich-rechtlichen Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und
Kulturberatung. Letztere ging aus dem einst noch in der DDR gegründeten
„Institut für Weiterbildung des Ministeriums für Kultur an der
Kunsthochschule Berlin“ hervor. Die landeseigene Stiftung wird von der
Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa gefördert. Nun gut.
Das Ring Center allerdings hat die entschieden interessanteren
Zwischennutzer. Im [5][Ausstellungsraum Stella], einem ehemaligen
Schokoladenladen, erkunden Robert Schwark, Georg Thanner, Manuel Cornelius
und Stefanie Schwarzwimmer mit ihren zwischen Klebefolien, Scheinwerfern,
künstlichen MDF-Wänden und Vitrinen angesiedelten künstlerischen
Erzählungen noch bis Samstag ihr Verhältnis zur Affektökonomie der
Konsumwelt.
Einen Stock höher trifft man dann auf das Modell des „Frankfurt Prototype“,
eine von den Studierenden der Städelschule unter Anleitung von
Gastprofessor Niklas Maak entworfene experimentelle Wohnanlage. Für den
Preis eines Vorort-Einfamilienhauses, also circa 350 000 Euro, errichten
sie ein Gebäude, in dem 12 bis 15 Leute wohnen können, mit ausreichend
Privatsphäre, vor allem aber viel Raum für das Gemeinschaftsleben, für
produktive und reproduktive Grünflächen, dazu offen zum urbanen Leben.
Dazu wird aus acht gebrauchten Containern die sogenannte Markthalle im
Erdgeschoß errichtet. Sie soll tatsächlich als solche genutzt werden, aber
auch Bühne sein für Diskussion und Vortrag, für Konzert oder Theater, was
auch deshalb gut funktioniert, weil sie solider Vorhang aus LKW-Planen
umgibt, der die Markthalle je nach Notwendigkeit öffnet oder verschließt.
Die Wohnebene darüber wird aus vorfabrizierten, stapelbaren Raummodulen aus
Holz mit Bad und Kochnische errichtet, deren Größe flexibel ist. Gärten,
Loggien und begrünte Dachterrassen sorgen wie der massive Einsatz von
Recyclingmaterial, das aus Abrissbauten gerettet wurde, für
Klimaneutralität.
## Gegenentwurf für anderes Wohnen – und Wirtschaften
Zunächst für [6][Flüchtlingsunterkünfte in Berlin] gedacht, mangels
Versicherungsmöglichkeit aber nicht realisierbar, wird der „Frankfurter
Prototype“ nun vor der Städelschule als experimentelles Studentenwohnheim
der Frankfurter Kunsthochschule gebaut – und auch von der Hochschule
versichert. So wie sich das Modell nun im Ring Center präsentiert, wird der
Bau ein großartiger Gegenentwurf zur Frankfurter Skyline sein – obwohl man
sich vorstellen kann, dass das grundlegende Konzept auch für Hochbauten
taugt, mit Marktplätzen auch im achten oder zwölften Stock.
Aber selbst dann wird der Prototype ein Gegenentwurf bleiben, für ein
anderes Wohnen und sich Begegnen, für eine andere, Ressourcen schonenden
Baumethode, für eine andere Ästhetik, verführerisch auch für Insekten,
Vögel und sonstige nichtmenschliche Tiere; und last not least für eine
andere kostengünstige, ökologisch abgesicherte Baufinanzierung. Denn
wenigstens so dringend wie die Industrie, die trockene und schwere Güter
herstellt, muss die Finanzwirtschaft radikal umgestaltet werden, soll es
eine Zukunft für Mensch und Tier und recht besehen auch für
Aktiengesellschaften geben.
4 Jun 2022
## LINKS
[1] https://csr.art/
[2] https://csr.art/
[3] /!5557403/
[4] /Debatte-um-Kunsthalle-in-Tempelhof/!5833147
[5] https://stellastella.info/
[6] /Migration-nach-Berlin/!5824648
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
## TAGS
Kunst Berlin
Berliner Galerien
taz Plan
Architektur
Kulturpolitik
Zwischennutzung
Unterbringung von Geflüchteten
Alternatives Wohnen
taz Plan
taz Plan
taz Plan
Wochenkommentar
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Kunst der Woche für Berlin: Blatt und Stock
Ein Doge in Venedig, eine Bretonische Hochzeit: Die neue Reihe im
Kupferstichkabinett stellt künstlerische Drucktechniken vor. 1400 fängt
alles an.
Die Kunst der Woche für Berlin: Von Böden und Dächern
Die wahren Flieger von Tegel: Daniel Poller fotografierte die Vögel am
stillgelegten Flughafen. Auch das Schau Fenster zeigt Modelle der
Kohabitation.
Die Kunst der Woche für Berlin: Blühendes Vermächtnis
Gleich zwei Schöneberger Orte bespielt die Ausstellung „textile“. Gerade in
den Kiez umgezogen: ChertLüdde, mit einer frisch duftenden Auftaktschau.
Debatte um Kunsthalle in Tempelhof: Der Dercon-Moment
Der Boykottaufruf der Berliner Künstlerschaft gegen die private Kunsthalle
im Flughafen Tempelhof ist richtig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.