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# taz.de -- Freispruch für Olaf Latzel: Christlich hassen ist legal
> Bremer Landgericht kassiert die Verurteilung des Martini-Pastors Olaf
> Latzel: Er hatte auf biblischer Grundlage gegen Homosexualität gehetzt.
Bild: Martini-Kirche Bremen: Draußen bleiben Liebe, Toleranz und Freiheit
BREMEN taz | Olaf Latzel, der [1][berüchtigte evangelikale Pastor aus
Bremen], durfte in einem später per Youtube verbreiteten Ehe-Seminar
Schwule und Lesben pauschal als „Verbrecher vom Christopher Street Day“
bezeichnen und Homosexualität als „zutiefst teuflisch und satanisch“
bezeichnen.
Zu dieser Einschätzung ist Richter Hendrik Göhner am Freitag im
Berufungsverfahren gekommen. Er hob damit die [2][Verurteilung Latzels
wegen Volksverhetzung in erster Instanz] auf: „Eine skandalöse
Entscheidung“ nennt das Santos Blume vom Bündnis Queerlobby, das am
Freitagfrüh zur Demo vorm Gerichtsgebäude aufgerufen hatte.
In einem Redebeitrag erinnerte er daran, dass öffentliche Diskriminierung
sich „messbar negativ auf den Alltag“ auswirke und Ausschlüsse und Gewalt
gegen die angegriffenen Teile der Bevölkerung führt. „Diese Wirkungen sind
auch aus der Forschung gut belegt“, so Blume.
Der Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten sei „als Gradmesser einer
Demokratie“ eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Um dieser gerecht zu
werden, sei nun die Staatsanwaltschaft in der Pflicht, in Revision zu
gehen. „Und auch von der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) erwarten
wir, dass sie endlich aufhört, Hassprediger in ihren Reihen zu dulden.“
## Homosexualität ohne Menschen
Auch Richter Göhner hatte die Latzel-Parolen als „in gesellschaftlicher
Hinsicht mehr als befremdlich“ gerügt. Und er hatte betont, dass es
durchaus möglich sei, die Aussagen des Predigers als Versuch zu verstehen,
die Betroffenen verächtlich zu machen. Dann wären sie ein Angriff auf die
Menschenwürde, mit dem Latzel ihr Lebensrecht in der Gesellschaft
bestritten hätte.
Zur Volksverhetzung wären sie ihm zufolge jedoch nur geworden, wenn diese
Deutung die einzig mögliche wäre. Insbesondere, weil der verurteilte
Prediger seine Äußerungen im Rahmen einer langwierigen Belehrung und somit
„unter dem Schutz, nicht unter dem Deckmantel“ des Grundrechts auf
Glaubensfreiheit getätigt hatte, sei zu berücksichtigen, dass „man es auch
anders verstehen könnte“, so Göhner in der Urteilsbegründung.
Schließlich habe Latzel in der Verhandlung beteuert, nur die
Homosexualität, nicht aber die Homosexuellen zu verdammen. Das dürfe nicht
einfach als Schutzbehauptung abgetan werden. Das war es nach Einschätzung
des Amtsgerichts gewesen. [3][„Homosexualität ohne Menschen ist nicht
vorstellbar“, hatte Richterin Ellen Best am 25. November 2020 geurteilt].
Richter Göhner sieht das offenbar anders. Durch diese Trennung werde für
ihn „klar, dass nicht zu Hass gegen einen Teil der Bevölkerung
aufgestachelt werden soll“, so der Vorsitzende weiter. Auch machte er
geltend, dass die pauschalen Verdammnisse Latzels sich auf einen
spezifischen Kontext bezögen: So folgte er der Darstellung der
Verteidigung, nach der die Martini Gemeinde sich auch als Opfer fühlen
könne.
Tatsächlich war sie immer mal wieder [4][Ziel von queeraktivistischen Farb-
und Schriftzugattacken geworden]. Es gab auch fiese Aktionen auf Latzel
direkt – Paketbestellungen in seinem Namen etwa – und es war in die
Gottesdienste eingegriffen worden: Namentlich erwähnte der Richter ein
Happening im Jahre 2008, kurz nachdem Latzel die Stelle in Bremen
angetreten hatte.
Hier hätte sich gelohnt, genauer hinzuschauen, um die ganze Wahrheit in den
Blick zu bekommen. Denn genau genommen sind die Attacken jedoch auch einen
Hinweis darauf, wie sehr Latzels homophobes Wirken dazu angetan ist, den
öffentlichen Frieden zu stören. Und wie sehr er mit dieser Wirkung offenbar
kokettiert.
Bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Bremen hatte der Pastor
gegen Schwule und Lesben agitiert: Im Rahmen des evangelikalen
Christival-Kongresses warb er [5][für so genannte Konversionstherapien].
Deren Veranstalter geben vor, Schwule und Lesben so zu behandeln, dass sie
danach heterosexuell wären. Diese vermeintliche „Heilung“ verursacht oft
massive psychische Schäden bei ihren unmittelbaren Opfern. Seit 2020 sind
die entsprechenden Programme in Deutschland weitestgehend verboten.
## Ein Kiss-In als Gegenwehr
Einem bei dem evangelikalen Glaubens-Event geplanten, aber aufgrund von
Protesten abgesagten Umpolerseminar hatte Latzel damals seine Gemeinde in
einer öffentlichen Talkshow als alternativen Austragungsort angeboten –
weil er den Verzicht auf die Veranstaltung als „Einknicken“ verurteilte.
Der reale Kampf gegen die Homosexualität sollte offenkundig an Geist und
Körpern von Individuen ausgetragen werden.
Das hatte damals die Gegenwehr der Community auf sich gezogen: Wenige Tage
hatten sich LGBT*I-Aktivist*innen unter die Gläubigen gemischt, um eine
gegen sie gerichtete Andacht zu besuchen. Während der Predigt fingen sie
an, zu knutschen, einander zu streicheln, teilten Erdbeersekt, Zärtlichkeit
und Pappherzchen aus.
Schließlich wurden sie, teils mit roher körperlicher Gewalt, aus dem
Gotteshaus geworfen: Was will man auch von Menschen anderes erwarten, denen
ihr Hirt weismacht, „diese Homolobby, dieses Teuflische“ komme „immer
stärker, immer massiver“, und fresse sich immer weiter vor, wie sich Latzel
ausdrückt – natürlich nur auf die abstrakte Homosexualität bezogen, nicht
auf Menschen. Er sage ein „absolutes Ja zu jedem Homosexuellen“, hatte der
Geistliche im Prozess gesagt.
Bei der Demo vorm Gerichtsgebäude schildert eine junge Frau in einer
bewegenden Rede, was es für eine Lesbe bedeutet, im homophoben
evangelikalen Kontext aufzuwachsen. „Ich habe das durchlebt“, sagt sie,
heute Mitarbeiterin eines feministischen Kultur- und Bildungs-Vereins.
## Kirchenrechtliches Disziplinarverfahren
Oft habe sie Predigten von Latzel gehört. Demütigungen, Hass und quälende
Schuldgefühle, der Glaube, abnorm zu sein – das sei es, was Predigten bei
ihr erzeugen würden. „Und dieser Mann ist nicht Prediger in irgendeiner
Freikirche“, erinnert sie, „sondern in einer der Landeskirchen der
Evangelischen Kirche Deutschlands“. Das mache es so besonders unerträglich.
Das kirchenrechtliche Disziplinarverfahren der BEK gegen Latzel läuft
unabhängig vom Strafverfahren. Während Latzel-Verteidiger Sascha Böttner
von einer Einstellung ausgeht, sofern der Freispruch rechtskräftig wird –
die Staatsanwaltschaft kann noch Revision beantragen – dürfte es Sanktionen
erschweren. Hinzu kommt, dass die Gemeinden der BEK theologisch autonom
sind.
Selbst gegen menschenverachtende Predigten habe man bislang keine direkte
Handhabe gefunden und Latzels Verbalattacken, die außer Homosexuelle auch
Katholik*innen, Buddha-Anhänger*innen und muslimische Gläubige trafen,
meist nur mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Allerdings betonte das
geistliche Oberhaupt der BEK, Schriftführer Bernd Kuschnerus gegenüber epd,
es sei dienstrechtlich unstrittig, dass „Ausgrenzung und Verunglimpfung von
Personen durch einen Pfarrer nicht tragbar sind.“
20 May 2022
## LINKS
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[4] /!5756314
[5] /Politik-gegen-Konversionstherapien/!5573010
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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Lesestück Recherche und Reportage
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