# taz.de -- Jurist über Freispruch von Olaf Latzel: „Das Urteil ist skandal�… | |
> Der Bremer Pastor Olaf Latzel wetterte gegen Homosexuelle, wurde | |
> verurteilt – und freigesprochen. Jurist Tore Vetter über die Sicht der | |
> Betroffenen. | |
Bild: Sind neben anderen auch Betroffene der Latzel-Attacken: Teilnehmende des … | |
taz: Das Landgericht Bremen hat am Freitag entschieden: Was Pastor Olaf | |
Latzel [1][in einem Eheseminar über Homosexuelle gesagt hat], ist keine | |
Volksverhetzung. Wie konnte es zu diesem Urteil kommen, Herr Vetter? | |
Tore Vetter: Die Äußerungen von Latzel selbst waren unbestritten. Es ging | |
nur noch um die Frage, ob diese Äußerungen im Sinne der Volksverhetzung ein | |
Aufstacheln zum Hass gegen Teile der Bevölkerung sind oder die Würde dieser | |
Menschen angegriffen haben. In jedem Einzelfall muss ein Gericht dann die | |
Grundrechte der Beteiligten abwägen, auch die von Latzel: die | |
Meinungsfreiheit, bei religiösen Äußerungen auch die Religionsfreiheit. Die | |
Urteilsbegründung liegt noch nicht schriftlich vor, aber das war wohl der | |
Knackpunkt: dass die Abwägung zwischen der Religionsfreiheit und der | |
Persönlichkeitsrechten sowie der Menschenwürde queerer Menschen zugunsten | |
Latzels ausgefallen ist. | |
Anders als das [2][Amtsgericht in erster Instanz] entschieden hatte. | |
Genau. Die Gerichte schauen, ob eine Äußerung unter die Religionsfreiheit | |
fallen könnte. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend, | |
wird anhand einer sogenannten Plausibilitätsprüfung geguckt, ob das Gesagte | |
irgendwie plausibel unter den Glauben der äußernden Person fällt. | |
Deswegen auch [3][die Gutachten], die für den Prozess beauftragt wurden? | |
Ja. Wobei es recht erstaunlich ist, dass das Gericht so umfangreiche | |
theologische Gutachten eingeholt hat, weil man wahrscheinlich auch ohne | |
hätte sehen können, das zumindest in Teilen des Christentums homosexuelle | |
und queere Menschen abgelehnt werden. Insofern ist es erst mal auch relativ | |
unproblematisch, dass Latzel sich auf seine Religionsfreiheit berufen kann. | |
Das darf aber keinesfalls dazu führen, dass eine Äußerung deswegen keine | |
Straftat sein kann. Die Religionsfreiheit ist keine Art Super-Grundrecht, | |
das grundsätzlich zu einer Straffreiheit von Äußerungen führt. Bei der | |
Frage, ob die Menschenwürde der Betroffenen angegriffen ist, muss immer die | |
Perspektive dieser einbezogen werden. Es darf keine Art von | |
Parallel-Wertung innerhalb der Religion vorgenommen werden. | |
Wann ist die Würde eines Menschen denn verletzt? | |
Ein Angriff auf die Menschenwürde kann nach der Rechtsprechung etwa dann | |
vorliegen, wenn das Recht der betroffenen Gruppe auf ein gleichberechtigtes | |
Leben innerhalb der Gesellschaft in Frage gestellt wird. Dann muss | |
natürlich berücksichtigt werden: Was hat das für Folgen für die | |
Betroffenen? Und nicht nur der ideologische Hintergrund des Äußernden. | |
Die Richterin am Amtsgericht hat genau darauf geschaut und gesagt: Latzel | |
stiftet zu einem Hass gegen einen Teil der Bevölkerung an. | |
Im Landgericht scheint sich dagegen das Narrativ durchgesetzt zu haben – | |
wie es in einer christlichen, fundamentalistischen Szene von der | |
katholischen Kirche bis zu Evangelikalen verbreitet wird -, dass nicht die | |
Menschen abgelehnt würden, sondern die Homosexualität. Das Amtsgericht ist | |
dem nicht auf den Leim gegangen und hat gesagt: Homosexualität ohne | |
Menschen ist schlichtweg nicht vorstellbar. Das hat das Landgericht | |
offensichtlich anders gesehen – und damit die Sichtweise der Betroffenen | |
meines Erachtens verkannt. Dabei muss diese im Rahmen so einer Bewertung | |
ganz klar mit berücksichtigt werden. | |
Viele Gruppen sind empört und halten das Urteil für falsch. Sie also auch? | |
Ja. Das Skandalöse daran ist doch, dass es gravierende Folgen haben kann. | |
Menschenverachtende Äußerungen und solche, die sich ganz konkret gegen | |
homosexuelle, queere Menschen richten, könnten sich damit zukünftig immer | |
unter dem Deckmantel der Religion verstecken. Oder hinter dem Argument: Es | |
sind gar nicht die Menschen gemeint, sondern eben „nur“ ihre | |
gesellschaftliche Gleichstellung. Übrigens ist das eine Entwicklung, die | |
auch an anderer Stelle sichtbar geworden ist: Im März letzten Jahres hat | |
das Landgericht Kassel in zweiter Instanz zugunsten eines Biologieprofessor | |
geurteilt. Er hatte sich homophob geäußert und auf die | |
Wissenschaftsfreiheit berufen. Das Gericht hat berücksichtigt, dass er als | |
Biologieprofessor einen wissenschaftlichen Hintergrund hätte und quasi | |
einen wissenschaftlichen Beitrag hätte leisten wollen. | |
Liegt das Rechtssystem in dieser Abwägung ein Stück weit zurück hinter der | |
gesellschaftlichen Entwicklung zurück? | |
Es ist zumindest problematisch, wenn Gerichte zugunsten eines einseitig | |
liberalen Grundrechtsverständnisses der Äußernden die Grundrechte der | |
Betroffenen komplett verkennen. | |
Glauben Sie, dass die Staatsanwaltschaft im Fall Latzel Revision einlegen | |
wird? | |
Ich hoffe, dass da noch was kommt und der Fall zum Oberlandesgericht geht. | |
Damit es eben nicht Schule macht, sich bei solchen Äußerungen auf | |
Religionsfreiheit berufen zu können. Aber die strafrechtliche Perspektive | |
ist nicht die einzige. Aus meiner Sicht ist jetzt vor allem die | |
Landeskirche in der Pflicht. | |
Das Disziplinarverfahren läuft noch. Welchen Spielraum hat die Kirche | |
überhaupt? | |
Die Kirche schien auf den Ausgang des Verfahrens gewartet zu haben, auch | |
wenn sie davon unabhängig ist. Es kommt nicht drauf an, ob Latzel sich | |
strafbar gemacht hat, sondern ob er Amtspflichten verletzt hat – etwa wenn | |
er gegen den kirchlichen Auftrag und die Ordnung der Kirche verstoßen oder | |
ihr Ansehen verletzt hat. Dann kann er versetzt oder sogar aus dem Dienst | |
entfernt werden. Die Kirche darf sich jetzt jedenfalls nicht hinter diesem | |
Freispruch zurückziehen. Meiner Ansicht nach sollte sie den | |
Handlungsspielraum nutzen, auch wenn eine Entfernung aus dem Dienst | |
natürlich vor Gericht auch gekippt werden könnte. Sie sollte sich | |
entscheiden, ob sie homophobe Prediger wie Latzel duldet oder sich an die | |
Seite der Betroffenen, nicht zuletzt der queeren Menschen innerhalb ihrer | |
Gemeinden, stellt. | |
24 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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