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# taz.de -- Theologin über Homo-Hass in der Bibel: „Gott hat noch etwas vor�…
> Das Bremer Landgericht will per Gutachten klären, ob die Bibel Olaf
> Latzels homophoben Aussagen deckt. Laut Ruth Heß ist das auch theologisch
> sinnlos.
Bild: Mit der Bibel in der Hand und Homophobie auf der Zunge: Pastor Olaf Latze…
taz: Frau Heß, die juristische Frage ist das eine. Aber ist ein Gutachten
des Landgerichts im Fall Latzel theologisch sinnvoll?
Ruth Heß: Die Frage, die an das angeforderte Gutachten gestellt wird,
[1][ob nämlich die Aussagen Latzels „noch von der Bibel gedeckt“ sind], ist
aus meiner Sicht theologisch selbst schon problematisch formuliert. Denn
sie teilt ja bereits die fundamentalistische Voraussetzung, dass die Bibel
zu diesen und jenen Fragen, die gesellschaftspolitisch und in diesem Fall
auch juristisch strittig sind, unmissverständlich Auskunft gäbe. Und dass
sich das wissenschaftlich auf diese Weise verifizieren oder falsifizieren
ließe.
Das geht nicht?
Die theologische und auch die bibelwissenschaftliche Diskussion zum Thema
Homosexualität ist sehr vielstimmig. Um sich ein realistisches Bild zu
machen, müsste sie ja in ihrer Breite dargestellt werden. [2][Ein einzelnes
Gutachten, noch dazu mit einer von vornherein festgelegten Position], wird
sich damit wahrscheinlich schwertun. Dafür bräuchte es mindestens zwei oder
besser noch drei Gutachten.
Und was stört Sie dann an der fundamentalistischen Annahme der eindeutigen
Antwort, wenn sie doch nur eine von vielen ist?
Das christliche Glaubensbekenntnis hat ja nicht nur einen, sondern drei
Teile: den Glauben an den Gott der Schöpfung, der Versöhnung, der Erlösung.
Es kann also in der christlichen Wirklichkeitsdeutung nie abstrakt um eine
starre „Schöpfungsordnung“ gehen.
Sondern?
Gerade auch in der Bibel wird von einer lebendigen Beziehung zwischen Gott
und Mensch erzählt, in der das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Gott
hat, fromm gesprochen, immer noch etwas Neues mit uns vor – auch was unsere
Geschlechtlichkeit betrifft. Das bedeutet aber auch: Was wir selbst hier
und heute für theologisch richtig halten, kann nie dieses letzte Wort sein.
Wir bewegen uns als Menschen immer im Vorletzten – nie im Letzten. Das ist
ja der eigentliche Witz am Glauben, dass der Selbstzweifel per se
dazugehört. Wir können immer nur in Klammern zu theologischen Aussagen
kommen, weil sie allesamt unter einem göttlichen Bewahrheitungsvorbehalt
steht. Diesen grundlegend selbstkritischen (um nicht zu sagen: demütigen)
Zug vermisse ich in der ganzen Diskussion am meisten: Denn er führt jeden
fundamentalistischen Gestus von innen heraus ad absurdum.
Das würden Olaf Latzel und andere bestreiten, die einer wortgetreuen …
Pastor Latzel zitiert ja nicht einfach die Bibel. Das Wort „Gender“ kommt
dort nicht vor.
Sondern?
Er eignet sich das, was er aus der Bibel herausnimmt, in seiner sehr
spezifischen Weise an. Er interpretiert biblische Motive in einer
bestimmten Weise. Und er rahmt sie in einer bestimmten Weise. Es geht also
immer, ob wir wollen oder nicht, um komplexe und unabschließbare
Deutungsprozesse.
Seine Deutung scheint mir relativ abgeschlossen: Homosexuelle müssen, weil
teuflisch, bekämpft werden. Das scheint ihn schon lange umzutreiben. Lässt
sich das theologisch erklären?
Die Frage ist wichtig: Woher kommt überhaupt der Drang, [3][im Kontext
eines Eheseminars, an dem ja vermutlich ausschließlich heterosexuelle
Ehepaare teilnehmen], das Thema Homosexualität derart exponiert zu
verhandeln? Warum wird Geschlechtlichkeit – und hier die Haltung zur
Homosexualität – zu dem scheinbar letzten Nagel in der Wand, der über
Rechtgläubigkeit oder nicht entscheidet? Warum? Sexualität und
Geschlechtlichkeit sind in der Bibel ein Nebenthema und in der christlichen
Theologiegeschichte zwar mitgelaufen, haben aber nie eine solche Prominenz
entwickelt. Ich denke, da geht es schlicht um eine Diskursstrategie, die
weit über die Causa Latzel hinausgeht.
Inwiefern?
In den Debatten und auch gerade in den Aussagen von Pastor Latzel passiert
zweierlei: Ein Nebenthema wird zum Hauptthema gemacht, und es wird
vereindeutigt. Meine These ist: Geschlechterfragen eignen sich prima als
Differenzmarker in religiösen Kulturkämpfen, auch global gesehen, weil sie
gesellschaftlich vermittelbar sind. Wenn sich das christliche
Identitätsprofil wie früher drehen würde um dogmatische Fragen –
Abendmahlsverständnis, Trinitätslehre –, das wäre gesellschaftlich kaum
noch verständlich. Die theo-politische Instrumentalisierung von
Geschlechterfragen erreicht dagegen in westlichen Gesellschaften maximale
Resonanz. Das scheint mir die Diskursstrategie dahinter. Sex sells – auch
in dieser Hinsicht.
Mal ernsthaft: Ist der bloß ein [4][Narr in Christo] oder halten Sie das
für gefährlich?
Pastor Latzels Aussagen bewegen sich ja auf drei Ebenen: erstens auf der
Ebene von Bibel und Theologie, die angebliche „feste Ordnung der
Schöpfung“. Diese Aussagen müsste man dann eben auch biblisch-theologisch
diskutieren. Zweitens greift er konkrete Personen und Personengruppen an,
die angeblichen „Verbrecher vom CSD“. Wie diese Pauschalisierung zu
beurteilen ist, wird das Gericht klären. Die aus meiner Sicht
problematischste Ebene ist da erreicht, wo Pastor Latzel diesen beiden
Aussagenebenen ein bestimmtes Framing gibt: Er legt ein extremes
Freund-Feind-Schema darüber. Er spricht ja von „Gender“ als Dreck. Er
spricht davon, dass das Eintreten für queere Rechte satanisch, teuflisch,
gottlos sei. Er legt nahe, dass Regenbogenfahne und Rathaus nicht
zusammengehören. Und dann stellt er das alles in einen Zusammenhang mit
Degeneration, Zerstörung und Untergang. Die Botschaft lautete: „Wir“ und
„unsere Kinder“ sind durch diese Einwicklungen zutiefst bedroht. Mit diesen
perversen „Anderen“ und ihrem Denken bahnt sich eine Katastrophe an und wir
laden Schuld auf uns, wenn wir nicht dagegen vorgehen, bis ins Alltagsleben
hinein, bei der Wohnungsvergabe oder im kollegialen Kreis.
Das ist aber doch nur ein Rückzugsgefecht, oder?
Das ist das klassische Framing des Anti-Gender-Diskurses, wie er sich seit
30 Jahren, übrigens aus christlich-religiösen Wurzeln heraus, bis in die
Mitte der Gesellschaft vorgeschoben hat und immer weiter befeuert wird. Das
finde ich das eigentlich Beunruhigende: das Ausbreiten dieses
Schwarz-Weiß-Schemas, in dem ganze gesellschaftliche Gruppen und
abweichende Denkweisen als abstrakte, übermächtige Bedrohung dargestellt
werden. Man sagt nicht mehr: Diese oder jene geschlechterpolitische
Entwicklung finde ich aus diesem oder jenem Grund problematisch, sondern
man arbeitet mit Dämonisierungen. Das macht den demokratischen Diskurs
unmöglich und entmenschlicht im schlimmsten Fall das Gegenüber. Gläubige
werden dazu animiert, Andersdenkende und -lebende pauschal als eine Art
toxischen Feind anzusehen, dem man sich erwehren muss.
22 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.evangelisch.de/inhalte/190378/07-09-2021/fall-latzel-staatsanwa…
[2] https://www.queer.de/detail.php?article_id=39863
[3] https://www.deutschlandfunk.de/geschlechter-in-der-bibel-als-mann-und-frau-…
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Narr_in_Christo_Emanuel_Quint
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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