# taz.de -- Prozess wegen Staatsfolter in Syrien: Schwere Vorwürfe gegen Alaa … | |
> Im Prozess in Frankfurt wirft ein Zeuge dem Angeklagten vor, ihn | |
> gefoltert zu haben. Anklage und Verteidigung liefern sich einen | |
> Schlagabtausch. | |
Bild: Durch den Krieg zerstörtes Haus im syrischen Homs, 2021 | |
Frankfurt am Main taz | Wenn es so ist, wie es der Zeuge behauptet, hätten | |
sich die beiden Männer im Saal vor zehn Jahren kaum unterschiedlicher | |
begegnen können: Als Folterer und Gefolterter. Angestrengt versucht Richter | |
Lars Rhode den knappen Ausführungen des Zeugen bei der Verhandlung am | |
Donnerstag am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt zu folgen. „Das Blut jedes | |
Gegners des Regimes war freigegeben“, sagt der junge Mann. Auf die | |
minutiösen Nachfragen des Richters erzählt er einsilbig von der Folter, die | |
er im syrischen Homs als Gegner des Regimes von Baschar al-Assad durchlebt | |
haben soll – und bezeichnet den Angeklagten im Verhandlungssaal als Täter. | |
[1][Alaa M. steht seit Januar wegen des Vorwurfs der Verbrechen gegen die | |
Menschlichkeit in Frankfurt vor Gericht.] Die Anklage wirft dem 36-Jährigen | |
vor, Gefangene, die der syrischen Opposition zugerechnet wurden, gefoltert | |
zu haben. In den Jahren 2011 und 2012 soll er als Assistenzarzt in einem | |
Militärkrankenhaus und im Gefängnis des Militärgeheimdiensts in der Stadt | |
Homs Menschen in 18 Fällen brutal misshandelt und in einem Fall vorsätzlich | |
getötet haben. | |
Der Angeklagte, der bis zu seiner Verhaftung als Facharzt für Orthopädie | |
und Unfallchirugie in Hessen arbeitete, bestreitet die Vorwürfe. Bei den | |
vorherigen Gerichtsterminen hatte er sich auf die Anschuldigungen | |
eingelassen [2][und beteuert, seinerzeit nur „ein kleiner Assistenzarzt“ | |
gewesen zu sein,] der sich zwar mit dem Assad-Regime arrangiert, aber nie | |
jemanden misshandelt habe. | |
Der Zeuge, den das Gericht nun befragt, belastet Alaa M. schwer. Er sei in | |
Griechenland bereits zu dem Fall gehört worden, sagt der junge Mann. „Sie | |
haben mir Bilder gezeigt, ich habe die Person mit einer Sicherheit von zu | |
70 bis 80 Prozent wiedererkannt“, sagt der Zeuge. Richter Rhode hakt nach: | |
„Wenn sie die Person hier im Saal sehen, bleibt es bei 70 bis 80 Prozent?“ | |
Der junge Mann entgegnet: „Nein, es sind 100 Prozent.“ | |
## Der Strafsenat will es genau wissen | |
Der Name des Zeugen soll hier nicht genannt werden. Es handelt sich um | |
einen Mann Ende 20, er hat ein rundes Gesicht und einen sauber getrimmten, | |
schwarzen Bart. Vor etwa einem Jahr sei er nach Deutschland gekommen, sagt | |
er vor Gericht. In Syrien war er [3][bei den Protesten 2011 und 2012 gegen | |
Machthaber Assad beteiligt]. Anders als der angeklagte Arzt und die | |
herrschende Klasse des Landes stamme er aus einer sunnitischen Familie, die | |
aber nicht besonders religiös gewesen sei. | |
Bei den Demonstrationen gegen Assad, an denen er zum Beginn der Proteste in | |
seinem Land teilgenommen habe, sei er immer wieder festgenommen worden und | |
in Gewahrsam geraten. Nach einer Inhaftierungen im Homser Zentralgefängnis | |
und einem Gefangenenaufstand dort sei er in das Militärkrankenhaus der | |
Stadt verlegt worden. „Als Rache für die Rebellion im Gefängnis“, wie er | |
sagt. | |
Was im Militärkrankenhaus geschah, will der Strafsenat genau wissen. „Wir | |
wollen uns die Zeit nehmen“, sagt der Vorsitzende Richter Christoph Koller. | |
Er gibt sich umgänglich: Koller hält sich in der Befragung zwar zurück, als | |
es aber wegen der Übersetzung der Ausführungen des Zeugen aus dem syrischen | |
Arabisch nach Deutsch zu Diskussionen kommt, droht er mit der Einführung | |
einer Redeliste. | |
Mehrfach muss er Staatsanwaltschaft und Verteidigung ermahnen, die sich | |
einen Schlagabtausch liefern und immer wieder den Zeugen unterbrechen. Und | |
in Richtung des jungen Mannes gerichtet: „Wir wissen, dass das nicht leicht | |
ist, solche Dinge zu schildern und dass es schon lange her ist. Gleichwohl | |
müssen wir, um unsere Überzeugung darauf stützen zu können, sehr | |
detailliert nachfragen, da bitte ich um Verständnis dafür.“ | |
Wie er ins Militärkrankenhaus gelangt sei, welche Farbe und Beschaffenheit | |
die Tür in der Sammelzelle dort gehabt hätte, welche Farbe die Bediensteten | |
dort trugen und ob er Unterschiede in deren Funktionen feststellen konnte: | |
Richter Rhode, der die Befragung führt, will vom Zeugen alles bis ins | |
letzte Detail wissen. Viele der Fragen muss er immer mehrmals | |
umformulieren, der junge Mann antwortet oft mit einfachen Jas und Neins. | |
Dennoch kommt es zu Verständnisschwierigkeiten mit dem Übersetzer. „Ich | |
habe das Gefühl, dass Sie durcheinander sind“, sagt der Zeuge einmal zum | |
Richter. Und der: „Ja, das Gefühl habe ich auch.“ | |
## Der Angeklagte bleibt unbewegt | |
Rhode lässt den Zeugen beschreiben, was sie im Militärkrankenhaus den Bogen | |
nannten. Folteropfer sollen dabei mit Händen und Füßen verbunden an der | |
Decke aufgehängt worden und dabei geschlagen worden sein. Er sei einmal | |
Opfer dieser Foltertechnik geworden. Der Richter will wissen, ob jemand der | |
Folternden, während der junge Mann so misshandelt worden sei, mit ihm | |
gesprochen habe. Der Zeuge bricht ab und verlangt eine Pause. | |
Die Beschreibungen sind nur schwer erträglich. Es geht auch darum, wie der | |
Arm des jungen Mannes mit einer Flüssigkeit übergossen, angezündet und das | |
Feuer später mit Fußtritten ausgetrampelt wurde. Der Zeuge scheint den | |
Angeklagten während seiner Schilderungen zu ignorieren, kein einziges Mal | |
treffen sich ihre Blicke. Alaa M. hingegen schaut immer wieder angestrengt | |
zu dem jungen Mann, auch als der nach der Unterbrechung seine Vorwürfe | |
deutlich macht. | |
Wenn er gefragt werde, wie die Misshandlung abgelaufen sei, bekäme er die | |
Worte nur schwer raus, sagt der Zeuge. „Das hat mehrere Gründe. Der erste | |
ist, wenn ich die Stimme der Person höre, die vorher gesprochen hat, | |
verlässt mein Gehirn den Raum und ich erinnere mich an die Folter.“ | |
Rhode: „Was meinen Sie, die Person, die vorher gesprochen hat?“ | |
Der Zeuge sagt: „Der Arzt“ und deutet auf Alaa M. | |
Koller: „Verstehe ich das richtig, dass sie die Stimme des Angeklagten | |
wiedererkannt haben?“ | |
Der Zeuge: „Ein Mensch, der Ihnen mit Beleidigungen begegnet, gewisse | |
Sachen, da vergessen Sie die Stimme nicht. Die Beleidigungen, die | |
Schwester, die Mutter, die Verwandten, unsere Kultur, dann ist das was | |
Großes. Und das Gefühl, wenn man sich nicht wehren kann.“ | |
Alaa M. habe ihn an dem Tag gefoltert und habe auch den Befehl zum Anzünden | |
seines Armes gegeben, sagt der Zeuge. Unbewegt nimmt der Angeklagte die | |
Anschuldigungen auf. | |
Das Verfahren, das ursprünglich bis Ende März terminiert war, soll noch bis | |
mindestens Ende September dauern. Allein die Befragung des Zeugen dürfte | |
sich noch über mehrere Verhandlungen ziehen. | |
Möglich wurde der Prozess gegen den syrischen Staatsbürger Alaa M. auf | |
Grundlage des sogenannten Weltrechtsprinzips, das in Deutschland gilt. | |
Demnach darf die deutsche Justiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch | |
dann verfolgen, wenn die Straftaten in anderen Ländern begangen wurden und | |
wenn auch die mutmaßlichen Täter*innen keine Deutschen waren. In einem | |
ähnlichen Fall wurde [4][am 13. Januar in Koblenz der ehemalige syrische | |
Oberst Anwar R. zu lebenslanger Haft verurteilt.] | |
6 May 2022 | |
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Cem-Odos Güler | |
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