# taz.de -- Fraktionsklausur der Grünen: Doch nicht alles Bullerbü | |
> Bei der Klausur der Grünen-Fraktion auf dem Landgut Stober zeigt sich: | |
> Ohne Reibung ist das Verhältnis in der rot-grün-roten Koalition nicht. | |
Bild: SPD-Fraktionschef zum grünen Finanzsenator: „Daniel, willst du uns ver… | |
BERLIN taz | Gelb der Raps auf den umliegenden Feldern, rot der Backstein | |
des alten Landguts Stober südlich von Nauen, das Bio-Hotel selbst ist | |
gerade als das grünste Europas ausgezeichnet worden. Angesichts dieser | |
Idylle überrascht es kaum, dass bei der [1][Klausurtagung der | |
Grünen-Fraktion] immer mal wieder von Bullerbü die Rede ist, die an Astrid | |
Lindgren angelehnte Vision des schönen Lebens. | |
Es ist darum schon ein wenig krass, wenn im Tagungsraum der weniger | |
freundliche Satz fällt: „Daniel, willst du uns verarschen?“ | |
[2][SPD-Fraktionschef Raed Saleh] spricht ihn aus. Die Grünen hatten Saleh | |
zu ihrer Klausur geladen, um – durchaus presseöffentlich – über die Zukun… | |
von Rot-Grün-Rot zu diskutieren. Der Daniel, den er da anspricht, ist der | |
grüne Finanzsenator Wesener. Saleh hält Wesener vor, dass der Senat Geld | |
ausgebe, „als gebe es kein Morgen mehr“ – aber teilweise eben nicht für | |
Dinge, die im Koalitionsvertrag verabredet seien. | |
Was am Anfang wie eine Showveranstaltung für die mitgereisten Journalisten | |
gewirkt hat, in der sich Saleh, die Grünen-Fraktionsspitze und auch | |
Linksfraktionschef Carsten Schatz gegenseitig bestätigen, wie gut die | |
Zusammenarbeit in der Koalition angeblich ist, lässt nun doch ein bisschen | |
tiefer blicken | |
## Differenzen nicht zukleistern | |
Bei den Grünen haben auch nicht alle Lust, aktuelle wie vergangene | |
Differenzen zuzukleistern. Andreas Otto etwa, der Pankower Abgeordnete und | |
Bauexperte, kann sich noch gut erinnern, wie Ende der vergangenen | |
Wahlperiode die verabredete neue Bauordnung an der SPD scheiterte. Bei all | |
dem, was er da gerade von Politik „aus einem Guss“ höre, will Otto von den | |
Fraktionschefs wissen: „Wie lange halten wir das durch?“ Worauf erwartbar | |
alle versichern, die Koalition sei auf fünf Jahre angelegt. | |
Ziemlich klar sagt Saleh allerdings auch: Einseitige Änderungen am | |
Koalitionsvertrag mache die SPD nicht mit, Verträge seien einzuhalten. Das | |
sagt er konkret zu einer City Maut, die die Grünen gerne hätten, die SPD | |
aber nicht. Aber mutmaßlich gilt der Hinweis auch der Linkspartei, bei der | |
die verabredeten Ziele im Wohnungsbau plötzlich infrage zu stehen scheinen. | |
Saleh erinnert daran, dass sich auch die SPD an Zugeständnisse halten | |
würde, und erzählt im Plauderton, wie die Stimmung in seiner Fraktion | |
gewesen sei, als plötzlich durch das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium | |
der Weiterbau der A 100 wieder Thema wurde: Da habe es „vielen in den | |
Fingern gejuckt“, eine große Chance zu nutzen. | |
Später von der taz auf seine harsche Wortwahl gegenüber dem Finanzsenator – | |
„verarschen“ – angesprochen, sagt Saleh, die Grünen hätten ihn zuvor | |
aufgefordert, bei dieser Diskussion zu reden, wie in der regelmäßigen Runde | |
der rot-grün-roten Koalitionschefs in Berlin. Was gleichfalls tief blicken | |
lässt. Was dabei auch auffällt: Zwischenzeitlich könnte man in der | |
Diskussion fast vergessen, dass auch Linksfraktionschef Schatz anwesend ist | |
– so stark konzentriert sich die Auseinandersetzung auf das Verhältnis | |
zwischen Grünen und SPD. | |
## Lackmustest für Koalition | |
Schatz kommt wieder ins Spiel, als die grüne Mietexpertin Katrin | |
Schmidberger fragt, wie die Koalition dauerhaft beim Wohnungsbau | |
zusammenarbeiten soll. „Das wird ein Lackmustest für diese Koalition sein“, | |
antwortet Schatz mit Blick auf die Enteignungsfrage. „Wir haben eine | |
Chance, über diese Klippe zu kommen – das liegt an uns.“ | |
Noch spannender wäre es geworden, wenn Saleh – nicht nur für diese | |
eineinhalbstündige Diskussionsrunde zur rot-grün-roten Zukunft eingeladen – | |
von Anfang an dabei gewesen wäre. Denn zum Auftakt der Klausur haben die | |
Grünen Katja Diehl beklatscht, Verfasserin von „Autokorrektur“, einem | |
gerade oft zitierten Plädoyer für die Verkehrswende. | |
Diehl forderte die Grünen nämlich auf, „aggressiver“ gegenüber den Mensc… | |
zu werden, die am Auto festhielten. Von einer „Battle“ spricht sie, einer | |
Schlacht also. „Gleichberechtigt unbequem“ will sie zudem das Auto machen. | |
Raed Saleh hingegen hatte im Wahlkampf 2021 klargemacht: „Mit der SPD gibt | |
es keinen Krieg gegen die Autofahrer.“ | |
So einstimmig wie ein Papier zur Mobilitätswende beschließen die | |
Grünen-Abgeordneten auch einen Masterplan „Ankommen & Teilhaben“ für | |
ukrainische Flüchtlinge. Ein Punkt darin: den ukrainischen | |
Unabhängigkeitstag am 24. August einmalig auch in Berlin als Feiertag zu | |
begehen, als „deutliches Zeichen der deutsch-ukrainische Verbundenheit“. In | |
der Koalition haben die Grünen das noch nicht abgesprochen – der | |
SPD-Fraktionschef ist auf jeden Fall überrascht von der Idee. Wie genau das | |
aussehen soll, ob als arbeitsfreier oder reiner Gedenktag, bleibt offen. | |
Dass überhaupt Journalisten mit im Raum sitzen und das mitbekommen, ist | |
angesichts des Begriffs „Klausur“ eigentlich ein Widerspruch in sich. Das | |
Wort kommt ja immerhin vom lateinischen claudere, schließen, und steht | |
klassischerweise für ein internes Treffen – auch ohne sich dabei | |
tatsächlich einzuschließen, wie die Kardinäle bei der Papstwahl. | |
## Abends „Socializing“ | |
Umgekehrt allerdings profitiert davon auch eine Fraktion wie die grüne, die | |
ja zur Hälfte neu im Landesparlament ist: So lassen sich für die 32 | |
Abgeordneten ganz niedrigschwellig Pressekontakte etablieren, die über | |
kurze Telefonate hinausgehen – umso mehr am Abend, der mit dem Wort | |
„Socializing“ angekündigt ist. Wie meist, gibt es allerdings auch im | |
Landgut Stober am Sonntag einen nicht presseöffentlichen Teil. Da kommen | |
dann üblicherweise Dinge auf den Tisch, bei denen die Meinungslage weit | |
weniger klar ist als bei den am Samstag breit unterstützten Themen | |
Mobilität und Flüchtlinge. | |
Mit dabei sitzt zeitweise auch die Frau, mit der Berlin erstmals seit 2005 | |
– damals war es Renate Künast – wieder in der Bundesregierung vertreten | |
ist: [3][Lisa Paus – die neue Familienministerin,] die der | |
Abgeordnetenhausfraktion selbst mehrere Jahre angehörte, bevor sie in den | |
Bundestag wechselte. Riesiges leiste Berlin, lobt sie mit Blick auf die | |
Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine – allzu viel mehr sagen kann sie | |
aber nach knapp 14 Tagen im Amt noch nicht. | |
Während die Fraktion noch debattiert, wabert durch die geöffneten Fenster | |
vom Hof der Duft von frisch Gegrilltem in den Raum. Fleisch zum Abendessen | |
bei den Berliner Grünen? Doch nein, der Geruch kommt von der | |
Hochzeitsgesellschaft, die zur selben Zeit auf dem Landgut feiert – bei der | |
Fraktion bleibt es vegan-vegetarisch. Wobei auch der eine oder die andere | |
Grüne durchaus mit dem Gedanken spielt, sich mal unauffällig am | |
Hochzeitsgrill in die Schlange zu stellen. Was offenbar doch nicht | |
passiert. Die Spinat-Gnocchi vom eigenen Buffet sind ja auch nicht | |
schlecht. | |
15 May 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Treffen-im-brandenburgischen-Bio-Hotel/!5850359 | |
[2] /Direkte-Demokratie-in-Berlin/!5853086 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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