# taz.de -- Dokumentarfilm „Alles, was man braucht“: Wo der Laden im Dorf b… | |
> Antje Hubert hat sich auf die Suche nach Dorfläden in Norddeutschland | |
> gemacht und erzählt angenehm ruhig von den Menschen, die sie betreiben. | |
Bild: Am Automaten gibt es Marmelade, auf der Bank Erholung: der Regiomat in Ch… | |
Den letzten „Konsum“ in der Uckermark fand Antje Hubert in dem winzigen | |
Dorf Wallmow: Überleben konnte der kleine Laden, weil nebenan eine Schule | |
steht, und Schüler*innen Brötchen und Kuchen kaufen. Ramona Fester hatte | |
dort schon zu DDR-Zeiten als Verkaufsstellenleiterin gearbeitet, und als | |
1990 sämtliche Konsumläden pleite gingen, übernahm sie ihn in Eigenregie. | |
Ramona Fester saß immer noch hinter der Kasse, als [1][Antje Hubert] sie | |
2018 besuchte: Zwei Jahre lang reiste die Filmemacherin durch | |
Norddeutschland, um solche „Inseln“ zu finden. So nennt sie selber diese | |
kleinen, von Individualist*innen wie Fester betriebenen Dorfläden, | |
von denen es nur noch wenige gibt – Netto, [2][Aldi] oder [3][Edeka] | |
versprechen mehr Auswahl, und billiger ist dort auch alles. | |
Moment: Einiges sei bei ihr schon günstiger, sagt Berit Thomsen aus Delve | |
in Dithmarschen. Sie muss dann aber doch vorrechnen, dass die | |
[4][Ladenketten] bei den Großmärkten viel bessere Preise bekämen als kleine | |
unabhängige Läden wie ihr eigener. | |
Und doch ist das Lebensmittelgeschäft, das sie zusammen mit ihrem Ehemann | |
Knut betreibt, ein Erfolgsmodell: Als vor einigen Jahren der letzte Laden | |
im Ort geschlossen hatte, wollten sich die Einwohner*innen damit nicht | |
abfinden. Sie gründeten eine [5][Genossenschaft], bauten eine alte | |
Dorfschule um, und richteten den Laden dann so ein, dass er zum zentralen | |
Treffpunkt von Delve wurde. Am großen Tisch im Foyer sitzen nun fast immer | |
ein paar Kund*innen mit einer Tasse Kaffee in der Hand. | |
Als das wegen [6][Corona] nicht möglich war, zogen die Thomsens mit einem | |
Holzwägelchen durch das Dorf, darauf Kuchen und Sahne für die älteren | |
Stammkund*innen. Nun mag diese Aktion allerdings auch ein wenig für die | |
Kamera inszeniert worden sein: Dabei entstanden sind idyllische, | |
hoffnungsvolle Bilder für Antje Huberts letzte Einstellungen. | |
Die Filmemacher*in macht gar keinen Hehl daraus, dass – und wie sehr – | |
sie dem Thema verbunden ist. Wenn sie etwa das Dorf Müden in der Lüneburger | |
Heide besucht, sagt sie: „Hier bin ich aufgewachsen“, und erzählt dann, an | |
wie vielen Läden sie einst auf dem Schulweg vorbeigekommen ist. | |
Dazu sind Fotos aus Familienalben zu sehen, auf denen sich etwa bei der | |
Eröffnung des ersten Supermarkts im Ort die Kund*innen durch die | |
Verkaufsgänge drängen. Zu diesem Bild gibt es auch ein geschickt | |
arrangiertes Gegenstück: In Müden wurde ein Laden wiedereröffnet – in dem | |
selben Gebäude. Bei der Einweihung war Hubert natürlich dabei und machte | |
ihre Aufnahme ziemlich genau von dort aus, wo einst das Supermarktfoto | |
geschossen worden war. | |
Auch in Müden waren es Dorfbewohner*innen, die zur Rettung der | |
Nahversorgung aktiv wurden. Sie bekamen Fördermittel, rund 500 Menschen | |
investierten aber auch eigenes Geld. Den Laden leitet nun Thomas Dietz, der | |
nach einer internationalen Karriere als Koch mit 55 Jahren | |
eigenverantwortlich arbeiten – und den Menschen in der Heide gleich noch | |
gute Nahrungsmittel schmackhaft machen will. Vor der Kamera zeigt er die | |
Vorzüge der Spaghetti in seinem Sortiment: Sie halten die Soße besser als | |
die billigen von anderswo. Später bekocht er das Filmteam dann auch noch | |
mit Chili con Carne. | |
Dabei schaut die Kamera in den Kochtopf: Antje Hubert hat verstanden – oder | |
im Laufe ihrer langen Reise gelernt –, dass die Menschen, die diese | |
Dorfläden aufgebaut haben und sie nun leiten, die wahren Entdeckungen sind. | |
Hinter jedem Geschäft steht jemand, der oder die sich mit Leidenschaft | |
dafür einsetzt, dass die Menschen dort, wo sie leben, auch einkaufen | |
können: Andreas Borchers etwa versorgt die Bewohner*innen der Halligen | |
in Nordfriesland mit seinem Lieferdienst mit Lebensmitteln. Oder Ralf | |
Tiessen, der Bürgermeister von Christiansholm im Kreis | |
Rendsburg-Eckernförde: Der ließ an der Dorfstraße ein Holzbüdchen mit einem | |
Automaten bauen, an dem sich nun „mal Kirschmarmelade und mal | |
Himbeermarmelade“ ziehen lässt, wie er selber stolz erklärt. | |
Die Filmreise hat einen angenehm ruhigen Fluss. Das liegt auch an dem | |
organischen Sounddesign von Simon Bastian sowie der dezent swingenden | |
Filmmusik von Roland Musolff. | |
Bei den Fahrten durch das Land verwandeln sich die Bilder manchmal in | |
animierte Sequenzen, in denen der Filmemacher Rainer Ludwigs die | |
Landschaften ins Poetisch-Surreale kippen lässt. Da fliegt dann ein Wal | |
über das Meer zwischen den Halligen, oder Windkraftanlagen schweben über | |
den norddeutschen Feldern. | |
Wie bei jedem guten Reisefilm ist die Fahrt wichtiger als das Ankommen, und | |
so lässt sich Huber nur zu gerne durch Stimmungen und Begegnungen ablenken | |
von ihrem eigentlichen Thema. An der Dorfstraße in Christiansholm ist dann | |
auch Zeit für einen kleinem Plausch mit einer 95-Jährigen, die sich auf | |
einer Holzbank ausruht – und den Satz sagt: „Und mit dem Rollator, das is | |
’ne schöne Erfindung.“ | |
29 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Wilfried Hippen | |
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