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# taz.de -- Gülle und Welse in der Marsch: „Die größtmögliche Utopie“
> Antje Hubert hat einen Film über Oberndorf bei Cuxhaven gedreht. Die
> Bewohner züchten Welse, um ihr Dorf vorm Verfall zu retten. Die
> Regisseurin über Durchaltevermögen in der Marsch.
Bild: Leere Höfe und kein Geld: Milchbauer Jörn Nagel kämpft auf seine Art g…
taz: Frau Hubert, wie passen afrikanische Welse mit der Gülle aus der
niedersächsischen Marsch zusammen?
Antje Hubert: Hinter beiden Begriffen steckt ein ziemlich spannendes
Konzept: Gülle erzeugt in einer Biogasanlage Wärme und Strom. Mit der Wärme
können afrikanische Welse gezüchtet werden. Die fühlen sich bei 28 Grad
wohl. Und so eine Zucht hat das Dorf Oberndorf.
Was haben Sie als Dokumentarfilmerin mit diesem Projekt zu tun?
Das Dorf macht das alles nicht aus Jux und Tollerei. Sie haben eine
Aktiengesellschaft für die Biogasanlage und Fischzucht gegründet, weil kein
Geld mehr da ist für das soziale Leben im Dorf. Sogar die Schule sollte
geschlossen werden.
Wie kamen Sie auf das Dorf?
Das erste Mal war ich vor vier Jahren mit dem mobilen Kino Niedersachsen
dort. Ich habe meinen Film über das Atomkraftwerk Brokdorf gezeigt. Darin
tauchen Fragen der Anwohner auf, wie: Habe ich die Macht, mein Leben selbst
zu gestalten? Diese Frage haben sich die Oberndorfer auch gestellt. Das
Tolle war, dass sie nicht gejammert haben, sondern sie wollten die Probleme
angehen.
Wieso heißt ihr Film „Von Bananenbäumen träumen“?
Die Bananenbäume sind die größtmögliche Utopie im ganzen Plan der
Oberndorfer. Im Wasser der Welse sind wegen ihres Kots Nährstoffe. Mit der
Wärme aus der Biogasanlage und dem nährstoffreichen Wasser können in einem
Gewächshaus Bananen gezüchtet werden. Das Bild von Bananenbäumen in der
Marsch fand ich toll: Es ist poetisch, es steckt ganz viel Hoffnung drin
und was verrücktes.
Findet sich dieses utopische Moment im Film wieder?
Ja, es zieht sich durch den Film und steht für die Frage: Schaffen wir das,
oder schaffen wir es nicht? Weder die Oberndorfer noch ich wussten, ob das
mit der Biogasanlage und der Welszucht überhaupt klappen kann. Wird die
Utopie wahr oder nicht? Diese Träume sollten genauso auf der filmischen
Ebene nicht verloren gehen. Deshalb haben der Animationsfilmer Rainer
Ludwigs und ich die Fische erfunden, die immer mal wieder durch das Bild
schweben oder die Bananenbäume, die auf dem Acker wachsen, um nicht zu
vergessen, was die Oberndorfer im Kopf haben.
Mussten die Oberndorfer erst vom Filmprojekt überzeugt werden?
Ich hoffe, man merkt dem Film an, dass sich die Oberndorfer ganz auf uns
eingelassen haben. Es ist ein großes Vertrauensverhältnis zwischen uns
gewachsen. Das lag auch daran, dass wir das Projekt und seinen Prozess
gemeinsam entdeckt haben. Wenn neue Fragen aufkamen, wusste keiner mehr als
der andere. Wir haben das Projekt alle durch Learning-by-doing bewältigt.
Hat der Film den Oberndorfern Auftrieb gegeben?
Auftrieb brauchten sie nicht. Der Wert unserer Arbeit liegt darin, dass wir
die Protagonisten ernst genommen haben. Sie haben mir immer wieder gesagt,
wie schwer es ist, über so eine lange Zeit an etwas dran zu bleiben und zu
merken, dass das, was getan wird, wichtig ist. Darin haben wir sie
bestätigt, weil wir in den drei Jahren wiedergekommen sind und wissen
wollten, wie es weitergeht.
Steht das Dorf in der Marsch mit seinen Problemen eigentlich alleine da?
Das Dörfe-Sterben ist ein europaweites Problem. Und es verändert sich
drastisch. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, hat es auch nicht leicht.
Die Leute ziehen weg, da ist kein Leben mehr. Oberndorf zeigt, dass es
Ideen und Modelle dagegen gibt. Dass man die Dorfstrukturen als Chance
sehen kann und dadurch zum Beispiel demokratische Strukturen aufbaut,
Landwirtschaft neu erfindet und Wirtschaft für etwas gutes nutzt. Sie sehen
es einfach mal positiv, statt dass nur Frust und Lustlosigkeit herrscht.
Andere Dörfer können also etwas von den Oberdorfern lernen?
Zumindest können sie diese Aufbruchstimmung entdecken und sehen: Da geht
noch was. Das hilft vielleicht gegen diese Es-geht-nicht-Haltung in
Dörfern. Es geht schon, aber man braucht Durchhaltevermögen.
Gehen Sie deshalb mit dem neuen Film wieder mit einem mobilen Kino auf Tour
durch die Dörfer?
Einerseits mache ich das aus meiner Liebe zum Kino. Andererseits schwingt
in der Idee auch das mit, was Oberndorf so stark macht: Alles was wir nicht
haben, müssen wir eben selbst machen. Wenn es kein Kino gibt, organisieren
wir es eben. Gleichzeitig zeigen wir einen Film, der die Leute ermutigen
kann, es ähnlich zu machen. Wenn der Film gezeigt wird, besteht vielleicht
danach das Interesse, darüber zu reden. Wenn wir über viele Dörfer ziehen
könnten, wäre das wunderbar.
29 Mar 2017
## AUTOREN
Antonia Wegener
## TAGS
Höfesterben
Versorgung
Atomaufsicht
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