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# taz.de -- Sinn Féin siegt in Nordirland: Irland kann wieder träumen
> In Nordirland beschert der Zwist im probritischen Lager der irischen Sinn
> Féin den Wahlsieg. Aber ein Referendum zur Wiedervereinigung ist
> ungewiss.
Bild: Erst mal wird gefeiert: Michelle O’Neill (Mitte links) und Mary Louise …
Dublin/Belfast taz | Als das Endergebnis der [1][Wahlen zum nordirischen
Regionalparlament] nach zweitägiger Auszählung der Stimmen am Samstagabend
feststand, hagelte es Superlative. Kommentatoren und Politiker sprachen von
einem „politischen Erdbeben“, von einer „Zeitenwende“, vom Beginn einer
„neuen Ära“.
Zum ersten Mal in der 101-jährigen Geschichte Nordirlands stellen die
protestantischen Unionisten, die für den Verbleib im Vereinigten Königreich
eintreten, nicht mehr die stärkste Partei. Die ist nun [2][Sinn Féin, der
frühere politische Flügel der inzwischen aufgelösten
Irisch-Republikanischen Armee] (IRA).
Sinn Féin gewann 29 Prozent der Stimmen, die zweitgrößte katholische Partei
SDLP 9,1 Prozent. Auf protestantischer Seite holte die bisher stärkste
Kraft DUP (Democratic Unionist Party) 21,3, die UUP 11,2 und die TUV 7,6
Prozent. Die nichtkonfessionelle Alliance Party kam auf 13,5 Prozent. Sinn
Féin wird nun mit Michelle O’Neill die Erste Ministerin Nordirlands
stellen.
Viele träumen nun von der irischen Wiedervereinigung, auch wenn Sinn Féin
die im Wahlkampf kaum thematisiert hatte. Parteipräsidentin Mary Lou
McDonald sagte in Dublin nach der Wahl, die Planungen für ein Referendum
sollten sofort beginnen. Sie hält das binnen fünf Jahren für möglich.
O’Neill in Belfast war etwas vorsichtiger: Die irische Regierung müsse die
Bedingungen für eine Debatte über das Thema schaffen, sagte sie.
## Wiedervereinigung ungewiss
O’Neill stammt aus Clonoe, einem kleinen Dorf in der Grafschaft Tyrone. Mit
16 brach sie die Schule ab, weil sie ein Kind bekommen hatte. Ihre
Großfamilie, darunter IRA-Mitglieder, stand ihr jedoch bei, sodass sie ihr
Abitur nachholen konnte. 2007 kandidierte sie für die Regionalregierung und
gewann. 2011 wurde sie Landwirtschafts-, später Gesundheitsministerin, kurz
bevor das Parlament 2017 wegen einer Korruptionsaffäre der DUP
auseinanderbrach und drei Jahre auf Eis lag. Nachdem
Sinn-Féin-Vizepräsident Martin McGuinness, der sie protegiert hatte, 2017
starb, folgte sie ihm im Amt.
Eine Wiedervereinigung Irlands, das seit dem Entstehen der unabhängigen
Republik Irland im Süden und dem Verbleib von sechs Grafschaften im Norden
bei Großbritannien geteilt ist, ist trotz des Sinn-Féin-Wahlsiegs
keineswegs ausgemacht. Laut dem Nordirland-Friedensabkommen vom Karfreitag
1998 liegt ein Referendum darüber im Ermessen des britischen
Nordirlandministers. Glaubt er, dass es Erfolgschancen hat, kann er es
anberaumen, heißt es vage im Abkommen.
Auch nach diesen Wahlen haben aber die Unionisten, die für einen Verbleib
im Vereinigten Königreich eintreten, in Nordirland die Mehrheit – nur ihre
Zersplitterung macht Sinn Féin zur stärksten Kraft. In der Frage der Union
sind sich die zerstrittenen unionistischen Parteien einig. DUP-Chef
Jeffrey Donaldson sagte am Samstag: „Die unionistische Stimme ist nach wie
vor stark, wir sind die größte Gruppe im Regionalparlament.“
## Keine Regierung in Sicht
Donaldson muss sich nun binnen einer Woche entscheiden, ob er seinen
Unterhaussitz in London aufgibt und seinen Sitz im Belfaster
Regionalparlament einnimmt. Ein Doppelmandat ist nicht zulässig. Am
kommenden Donnerstag bereits soll das neu gewählte Regionalparlament in
Belfast zusammentreten.
Zur Bildung einer neuen Regierung wird es aber nicht kommen. Donaldson hat
angekündigt, der Regierung fernzubleiben, solange das
[3][Nordirland-Protokoll] des Brexit-Vertrags unverändert in Kraft ist. Das
Protokoll regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt
und sich an die EU-Zollregeln halten muss, was [4][Zollkontrollen zwischen
Nordirland und Großbritannien] erzwingt – aus Sicht radikaler Unionisten
etwa in der TUV, die damit der DUP viele Stimmen abgenommen hat, ist das
ein Bruch des Nordirland-Friedensabkommens.
Ohne DUP gibt es keine nordirische Regierung, denn die besteht laut
Friedensabkommen zwingend aus einer Koalition. Die beiden stärksten
Parteien auf protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer
Seite stellen jeweils die Erste Ministerin und ihren gleichberechtigten
Stellvertreter – die eine gibt es nicht ohne den anderen. Boykottiert
DUP-Chef Donaldson die Regierungsbildung, kann auch Sinn Féins O’Neill
nicht Erste Ministerin werden.
Die andere große Gewinnerin ist die Alliance Party. Sie hat ihre Sitze von
acht auf 17 mehr als verdoppelt. Die Partei ist in der Frage der irischen
Wiedervereinigung neutral. Ihr Erfolg ist Erstwählern zu verdanken, aber
auch immer mehr Ältere sind offenbar des Lagerdenkens überdrüssig.
8 May 2022
## LINKS
[1] /Regionalparlamentswahl-in-Nordirland/!5844655
[2] /Wahl-in-Irland/!5662635
[3] https://ec.europa.eu/info/strategy/relations-non-eu-countries/relations-uni…
[4] /Politikerin-ueber-Nordirland-Protokoll/!5822052
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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