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# taz.de -- London zum Nordirland-Protokoll: Nordirisches Pokerspiel
> Großbritanniens Regierung will mit einem neuen Gesetz das
> Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens außer Kraft setzen. Irland gibt
> sich gelassen.
Bild: „Keine große Sache“, sagt Boris Johnson zu seinem Gesetzentwurf
Dublin taz | Die britische Regierung will das Nordirland-Protokoll des
Brexitvertrags mit der EU aushebeln. Außenministerin Liz Truss legte am
Montagabend dem Parlament einen entsprechenden [1][Gesetzentwurf] vor.
Demnach sollen in nordirischen Häfen ein „Green Channel“ und ein „Red
Channel“ für Waren aus Großbritannien eingeführt werden – grün für War…
die in Nordirland bleiben, rot für Waren, die in die Republik Irland und in
die EU weitergehen und deshalb kontrolliert werden müssen.
Weiterhin sieht der 20 Seiten lange Entwurf vor, dass nicht mehr der
Europäische Gerichtshof, sondern ein britisches Gericht als Schiedsinstanz
bei Konflikten zuständig ist. Darüber hinaus soll das Gesetz die britische
Regierung ermächtigen, sich über fast jeden Teil des Protokolls
hinwegzusetzen, falls es ihr nötig erscheint. Premierminister Boris Johnson
behauptete, das sei „keine große Sache“. Es gehe lediglich um „triviale
bürokratische Anpassungen“.
Das [2][Nordirland-Protokoll] ist Bestandteil des [3][Brexit-Abkommens]
zwischen Großbritannien und der EU und soll eine harte Grenze mit
Warenkontrollen zwischen Nordirland und der Republik Irland vermeiden. Es
regelt, dass Nordirland faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt.
Unternehmen, die etwa britische Pflanz- und Tierprodukte nach Nordirland
liefern, müssen zahlreiche Formulare ausfüllen, um die
Gesundheitsbestimmungen der EU zu erfüllen. Einigen Lieferanten ist das zu
mühselig und sie liefern gar nicht mehr aus Großbritannien nach Nordirland.
Deswegen sind Nordirlands probritische Unionisten mit dem Protokoll sehr
unzufrieden, weil Nordirland dadurch anders behandelt wird als der Rest des
Vereinigten Königreichs. Die führende unionistische Partei, die Democratic
Unionist Party (DUP), legte Nordirlands Regionalregierung im Februar aus
diesem Grund lahm, als ihr Erster Minister aus Protest gegen das
Nordirland-Protokoll zurücktrat.
Ohne die DUP gibt es keine nordirische Regierung. Im Belfaster Abkommen vom
Karfreitag 1998, das der britischen Provinz relativen Frieden beschert hat,
ist festgelegt, dass die beiden stärksten Parteien auf
protestantisch-unionistischer und katholisch-republikanischer Seite
gemeinsam regieren müssen. Bei den letzten Wahlen im Mai war die
katholische Sinn Féin erstmals stärkste Kraft geworden, aber auch sie muss
nun gemeinsam mit der DUP regieren – oder gar nicht.
Johnson hofft, die DUP werde aufgrund der Gesetzesvorlage einwilligen, dass
wenigstens ein Sprecher des nordirischen Regionalparlaments nominiert wird,
damit das Parlament in Belfast teilweise handlungsfähig ist. Und wenn das
Gesetz vom Unterhaus in London verabschiedet wird, könnte die DUP wieder in
die nordirische Regierung eintreten, bevor es dem Oberhaus vorgelegt wird.
In dem Fall könnten die Lords das Gesetz kaum ablehnen, was ansonsten zu
erwarten wäre. Denn dann wären sie verantwortlich, falls die DUP die
Regierung in Belfast erneut stürzt.
## EU mahnt, Irland reagiert gelassen
Diese innenpolitischen Erwägungen interessieren auf EU-Seite nur wenig. Der
Vizepräsident der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, sagte, dass sich die
britische Regierung an das Protokoll halten müsse. Eine Neuverhandlung
lehnte er ab. Die deutsche Bundesregierung drohte London mit weitreichenden
Gegenmaßnahmen der EU. Auch die US-Regierung hat erklärt, dass sie eine
einseitige Aufkündigung des Protokolls nicht hinnehmen werde.
Der irische Premierminister Micheál Martin reagierte hingegen relativ
gelassen. Zwar sagte er, es sei ein neuer Tiefpunkt, dass das Vereinigte
Königreich ein internationales Abkommen brechen wolle, aber er fügte hinzu,
dass die britische Regierung gerne „Dinge zunächst aufblähe, um sie dann
wieder zu entschärfen, bevor sie in die Tat umgesetzt“ würden.
Tatsächlich ist es fraglich, ob das Gesetz jemals vom britischen Parlament
verabschiedet wird. In seiner eigenen Partei hat Johnson nicht mehr großen
Rückhalt.
14 Jun 2022
## LINKS
[1] https://bills.parliament.uk/bills/3182
[2] https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/…
[3] https://ec.europa.eu/info/strategy/relations-non-eu-countries/relations-uni…
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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