# taz.de -- Gedenken zum 9. Mai in Berlin: Tag der Gereiztheiten | |
> Bei den Feiern zum Tag des Sieges kommen viele Putin-Fans und Verteidiger | |
> des Krieges. Streit mit Kriegsgegnern ist die Folge. | |
Bild: Blumen, Gedenken und russische Propaganda im inneren des Soldatendenkmals… | |
BERLIN taz | Es war kein freudiger Tag des Sieges über den deutschen | |
Faschismus in Berlin. Stattdessen waren es spannungsgeladene | |
Veranstaltungen, die vor allem an den [1][sowjetischen Ehrenmalen im | |
Treptower Park] und auf der Straße des 17. Juni insgesamt Tausende anzogen. | |
Zur ganz großen Propagandashow der Putintreuen wurde dieser 9. Mai entgegen | |
vieler Befürchtungen aber nicht, ebenso wenig kam es zu größeren | |
Störaktionen oder handfesten Auseinandersetzungen. | |
Verbale Streitereien zwischen Verteidiger:innen und Gegner:innen | |
des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine waren dagegen | |
allgegenwärtig. Insgesamt 1.800 Polizist:innen begleiteten die | |
Versammlungen und setzten dabei die umstrittenen Fahnenverbote, neben der | |
[2][russischen und sowjetischen Fahne] war auch die ukrainische betroffen, | |
um. | |
Einzig bei dem offiziellen Gedenken der russischen Botschaft zu Fuße der | |
monumentalen Soldatenstatue im Treptower Park – und wenig später auch im | |
Tiergarten – wehten einige russische Fahnen, hier war es von der Polizei | |
erlaubt. Schon morgens kurz nach 9 Uhr war die Delegation von | |
Vertreter:innen des russischen Staates, der Streitkräfte und der | |
russisch-orthodoxen Kirsche erschienen, dazu Abgesandte ehemaliger | |
Sowjetrepubliken. | |
In Zehnerreihen traten die Anzug- und Kostümträger:innen vor die | |
aufgereihten Kränze und legten Blumen ab. Männer in Uniformen salutierten, | |
ein Priester predigte. Bei ihrem Abzug ertönten auf der anderen Seite des | |
Geländers bei der Statue Mutter Heimat einige „Schande“-Rufe. | |
## Anti-Kriegs-Kundgebung | |
Dort veranstaltete die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund | |
der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) eine | |
Antikriegs-Kundgebung, von der sich den ganzen Tag lang die Fans Putins und | |
des russischen Krieges provoziert fühlten. 20 Jahre lang hatte die VVN-BdA | |
ein Fest organisiert, mit Infoständen, Bratwürsten und Bier, Ska- und | |
Punkmusik. „Wer nicht feiert, hat verloren“, lautete das Motto. | |
In diesem Jahr aber ist alles anders. „Feierlich ist uns nicht zumute“, | |
sagte der Geschäftsführer Markus Tervooren zur taz; auch wäre ein Fest von | |
„russischen Nationalisten überlaufen worden“. Eine Pro-Ukraine-Kundgebung | |
ist die Versammlung gleichwohl nicht – zu groß ist seine Angst vor | |
Relativierungen des Nationalsozialismus, etwa durch | |
Hitler-Putin-Vergleiche. | |
Obwohl den Redner:innen antirussische Ressentiments fremd sind, vergeht | |
keine Rede ohne Zwischenrufe. Die Stichworte und Beleidigungen sind oft die | |
gleichen, der allgemeine Tenor: „Ihr seid gegen Russland, also seid ihr | |
Nazis.“ Es sind viele Russ:innen, die ungehalten reagieren, aber auch | |
Deutsche, oft mit dem Hang zu Verschwörungsthesen. | |
Einige der acht Mitglieder der russisch-nationalistischen Motorradgang | |
Nachtwölfe mussten am Parkeingang ihre T-Shirts und Kutten abgeben. Weitere | |
15 Nachtwölfe trafen gegen 15 Uhr am westlichen Berliner Stadtrand ein und | |
waren auf dem Weg in den Tiergarten, wo sie erst nach Redaktionsschluss | |
eintreffen sollten. | |
## Viel Spuk | |
Wie ein russisches Volksfest mit Spukcharakter kommt auch die Veranstaltung | |
im Tiergarten daher, wo ein Zug mit Heldenfotos, Blumen und russischen | |
Volksliedern zum Ehrenmal zog. Die rund 500 Frauen und Männer, angemeldet | |
waren 1.300, kamen mit einer Stunde Verspätung. Sie waren von der Polizei | |
aufgehalten worden, die zahlreiche Georgsbänder und russische Fähnchen | |
entfernen ließ. Nachdem die Demonstrant:innen den dort begrabenen | |
Soldat:innen „spasibo“ (Danke) zugerufen und Blumen abgelegt hatten, | |
tanzten sie zu russischer Folklore, fertigten Fotos fürs Familienalbum und | |
gaben Interviews. | |
„Ich bin gegen Krieg“, sagte etwa ein älterer Mann und er hatte auch eine | |
Lösung, wie der Krieg in der Ukraine schnell beendet werden könne: „Die USA | |
müssen aufhören, den Faschisten in der Ukraine Waffen zu liefern.“ Die | |
[3][Bilder aus Butscha]? Für den Mann und seine Anhänger:innen waren das | |
einfach Fake News westlicher Medien. „So etwas tun unsere russischen | |
Soldaten nicht. Es ist einfach eine Schande, wie im Westen so etwas | |
erfunden wird.“ | |
Die Demonstrant:Innen der exilrussischen Gruppe [4][„Demokrati-Ja“] | |
mussten ihren eigentlich vor dem Ehrenmal angemeldeten Infostand auf der | |
gegenüberliegenden Straßenseite aufbauen. Genauso wie dem VVN während des | |
Besuchs der Botschafters war auch ihnen zeitweise das Abspielen von Musik | |
untersagt. Die Polizei ordnete rigoros die Entfernung von Infomaterial mit | |
aktuellem Bezug an, darunter fielen Losungen wie „Russen gegen den Krieg“ | |
oder das in blau-gelben Buchstaben geschriebene „Den Opfern des | |
Faschismus“. | |
„Wir wurden behandelt wie Tatverdächtige“, sagt Liza Wolfson von | |
Demokrati-Ja. „Es ist ja 2022 gar nicht möglich, des Kriegsendes von 1945 | |
zu gedenken, ohne den Ukrainekrieg zu thematisieren, denn Putin missbraucht | |
dieses Narrativ.“ | |
Der Stand der russischen Gegenöffentlichkeit, den seit Jahren in | |
Deutschland lebende Russlanddeutsche und jüdische Kontingentflüchtlinge | |
organisiert hatten, entwickelte sich zu einem Treffpunkt russischer | |
Künstler:innen und Journalist:innen, die erst in den letzten Tagen nach | |
Berlin gekommen waren und sich herzlich begrüßten. Darunter war die | |
Journalistin Marina Owsjannikowa, die im März live im russischen | |
Staatsfernsehen mit einem Transparent gegen den Krieg demonstriert hatte. | |
9 May 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marina Mai | |
Erik Peter | |
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