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# taz.de -- Verkehrswende in Pankow: Die Legalisierung der zweiten Reihe
> Mehr Sicherheit auf der Schönhauser Allee wurde Radfahrenden schon lange
> versprochen, jetzt steht die Grobplanung. Eng könnte es für den ÖPNV
> werden.
Bild: So sieht's aus auf der Schönhauser – noch
In der Welt von StadtplanerInnen scheint immer die Sonne. So wie in der
Visualisierung der neu gestalteten Schönhauser Allee, die die
Senatsverwaltung für Mobilität verbreitet. Während oben die Hochbahn über
ihre Schienen gleitet, rollen gut gelaunte RadfahrerInnen einen breiten Weg
entlang, den flache, graue Betonelemente von der Fahrbahn für Autos und
Tram trennen. Viel los ist auf der Straße nicht, und auf die FußgängerInnen
warten breite Sitzbänke.
Ob es auf der Pankower Magistrale ab Frühjahr 2023 wirklich so entspannt
zugeht, bleibt abzuwarten. Dann soll jedenfalls die lange versprochene
Neuverteilung des Straßenraums abgeschlossen sein, wie Mobilitätssenatorin
Bettina Jarasch (Grüne) und Pankows Verkehrsstadträtin Manuela
Anders-Granitzki (CDU) am Montag vor Ort verkündeten: Die Vorplanung für
den 720-Meter-Abschnitt zwischen Danziger/Eberswalder und
Stargarder/Gleimstraße sei abgeschlossen, so die Politikerinnen, nun könne
die Entwurfsplanung beginnen. Trägerin des Bauvorhabens ist die
[1][landeseigene infraVelo GmbH].
„Wir zeigen hier an einer ganz zentralen Strecke für Pankow und Berlin, wie
wir mit der Mobilitätswende vorankommen“, sagte Jarasch und kündigte mehr
Aufenthaltsqualität für Zu-Fuß-Gehende sowie mehr Komfort und Sicherheit
für Fahrradfahrende an. Die Schönhauser Allee sei mit rund 10.000
RadlerInnen am Tag eine der am dichtesten befahrenen Strecken der Stadt,
aber auf den alten Hochbordwegen könne man sich kaum überholen und es komme
zu vielen Unfällen mit Fahrradbeteiligung.
Künftig, so deutet es die Visualisierung an, die auch auf einer Info-Stele
an der Einmündung der Cantianstraße zu bewundern ist, fallen die
Straßenparkplätze auf diesem Abschnitt komplett weg. Dort verläuft der
geschützte Radweg, der nach Abzug des 50 Zentimeter breiten
„Klebebetonbords“ immerhin 2,50 Meter netto bieten wird. Der alte Radweg
wird dem Trottoir zugeschlagen, und der Autoverkehr rollt weiterhin auf
zwei Fahrspuren, wobei er sich eine mit der Tram teilen muss.
Mit den Fahrradstaus, zu denen es aktuell in der Rushhour kommt, dürfte es
dann vorbei sein. Kompliziert bleibt es trotzdem, vor allem, was den
Wirtschaftsverkehr angeht. Denn, so Jarasch: „Wir müssen den Raum neu
aufteilen, das ist mein Mantra. Knapp ist er aber immer noch.“ Vorgesehen
ist im Moment nicht nur, in den Nebenstraßen Ladezonen einzurichten,
sondern auch den künftigen rechten Fahrstreifen in den „Tagesrandzeiten“
als Anlieferbereich auszuweisen.
## Für die Tram wird's enger
Damit, so die Senatorin, werde im Grunde nur legalisiert, was heute schon
üblich sei: Lieferfahrzeuge parkten in der zweiten Reihe, weil sie keine
Alternative hätten. Aber auch wenn noch unklar ist, wie die temporäre
Ausweisung zur Ladezone genau aussehen soll, dürfte das Durchkommen für die
Straßenbahnen der BVG nicht einfacher werden, wenn zeitweise ganz offiziell
nur noch eine Fahrspur für ÖPNV und Autoverkehr vorhanden ist.
Es habe eine Befragung der Gewerbetreibenden gegeben, betonte Stadträtin
Anders-Granitzki; deren Bedürfnisse seien ganz unterschiedlich. Man prüfe
auch, ob die Ausweisung der Ladebereiche entsprechend flexibel sein könne:
„Ein Bäcker braucht eine Lieferzone vielleicht frühmorgens, ein
Pizzaservice eher abends.“ Aber auch für einen Umzug werden AnwohnerInnen
Platz in der zweiten Reihe reservieren müssen.
Für den Fahrgastverband IGEB geht das in die falsche Richtung: „Zum
wiederholten Male wird der ÖPNV zum Verlierer der Verkehrswende“, findet
Sprecher Jens Wieseke. Gerade bei einer sogenannten M-Linie (auf der
Schönhauser Allee verkehrt die M1) müsse die Tram sogar noch beschleunigt
werden. Angesichts des vorhandenen breiten Querschnitts der Straße fordert
die IGEB, der Tram „eine eigene ausschließliche ÖPNV-Trasse zuzuweisen“.
## Jahrelanger Vorlauf
Die Umgestaltung der Schönhauser Allee hat schon einen jahrelangen Vorlauf.
Anfangs waren die Ziele weitaus höher gesteckt: 2015 entwickelte das
Kopenhagener Planungsbüro Gehl Architects bei einem Ideenworkshop die
[2][radikale Idee, den gesamten Verkehr nur noch auf einer Seite der
Hochbahn abzuwickeln]. Den Vorschlag griff der damalige Pankower Stadtrat
Jens-Holger Kirchner (Grüne) zwar auf, aber dann geriet das ganze Projekt
ins Holpern wie ein Rennrad auf dem Kopfsteinpflaster.
Weil der Senat entsprechende Förderanträge beim Bund nicht rechtzeitig
gestellt hatte, wurden die Maßnahmen auf 2017 vertagt – und unter Kirchners
Nachfolger Vollrad Kuhn blieben am Ende lediglich vier Parklets übrig:
hölzerne Gehwegausbuchtungen, auf denen Fahrräder geparkt werden konnten.
Weil der Radweg zwischen diesen Abstellanlagen und dem Gehweg verlief,
mussten Radfahrende und FußgängerInnen mit Piktogrammen auf dem Boden vor
Kollisionen gewarnt werden.
Corona tat ein Weiteres, und so ging es erst letzten September mit den
jetzt abgeschlossenen Vorplanungen los. Auf einen Umbau des nördlichen
Abschnitts der Schönhauser bis zur Wisbyer Straße müssen die PankowerInnen
noch deutlich länger warten. Denn voraussichtlich ab 2025 muss die
Straßenbrücke über den S-Bahn-Graben abgerissen und neu gebaut werden. Dann
wird es hier bis mindestens 2031 ziemlich eng.
25 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.infravelo.de/projekt/schoenhauser-allee/
[2] /Autofahrer-sollen-Radlern-weichen/!5226996
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Berlin Prenzlauer Berg
Mobilitätswende
Bettina Jarasch
ÖPNV
Berlin-Pankow
Mobilitätsgesetz
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Mobilität
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