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# taz.de -- Der Tempelberg in Jerusalem: Umkämpftes Heiligtum
> Immer wieder gibt es am Tempelberg Konflikte zwischen jüdischen Israelis
> und Palästinenser:innen. Warum scheint dieser Ort einen Krieg wert?
Bild: Palästinenser reinigen den Platz auf dem Tempelberg nach Zusammenstöße…
[1][Seit der Woche vor Ostern] gibt es erneut Konflikte zwischen jüdischen
Israelis und Palästinenser:innen auf dem Tempelberg. Wieso passiert
das immer wieder dort?
Jerusalem und insbesondere der Tempelberg in der Altstadt bilden das
Zentrum des palästinensisch-israelischen Konflikts. Dort prallen
verschiedene religiöse und politische Interessen direkt aufeinander.
[2][Dass am vergangenen Wochenende Ostern, Pessach und Ramadan
zusammenfielen, hat die Situation noch explosiver gemacht].
Welche religiöse Bedeutung hat der Tempelberg für Jüdinnen und Juden und
Muslime?
Der Tempelberg ist für Anhänger:innen der abrahamitischen Religionen –
Judentum, Christentum und Islam –, vor allem aber für Jüdinnen und Juden
sowie Muslime, einer der heiligsten Orte. Auf einem Felsen dort soll
Abraham beinahe seinen Sohn Isaak geopfert haben – eine Geschichte, die im
Alten Testament und im Koran erzählt wird. Über diesen Felsen spannt sich
heute der Felsendom mit seiner goldenen Kuppel, gegenüber liegt die
Al-Aksa-Moschee. Im Arabischen wird der Tempelberg „al-Haram asch-Scharif“
genannt – das edle Heiligtum. Der Prophet Mohammed soll von ihm aus seine
Himmelfahrt angetreten haben.
Für Jüdinnen und Juden ist der Berg heilig, weil dort bis zu seiner
Zerstörung durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. der Zweite Tempel stand. Mit
der Zerstörung begann die jüdische Diaspora – womit Jerusalem zum
Sehnsuchtsort vieler Jüdinnen und Juden wurde. Vom Zweiten Tempel ist
lediglich die Westmauer übrig, die heutige Klagemauer. Dort betrauern heute
Gläubige den Verlust. Die Klagemauer ist eine Befestigungsmauer des
Plateaus, auf dem die Al-Aksa-Moschee und der Felsendom stehen – Muslime
und Jüdinnen und Juden beten an unmittelbar aneinander angrenzenden
heiligen Stätten.
Das ist alles sehr lange her. Wie kommt es, dass diese Ereignisse noch
heute so großen Einfluss auf die Situation in Jerusalem haben?
Für Palästinenser:innen, die keinen eigenen Staat haben und teils in von
Israel besetzten Gebieten leben, ist der Tempelberg zu einem Symbol dafür
geworden, dass ein palästinensisches Volk existiert – er verbindet die
Palästinenser:innen in Gaza, im Westjordanland, Jerusalem, Israel und
weltweit. Daraus lässt sich auch politisches Kapital schlagen: Die Gaza
kontrollierende militante Hamas, präsentiert sich etwa als „Beschützer der
Al-Aksa-Moschee“. Der elftägige Krieg zwischen der Hamas und Israel im
vergangenen Mai hatte sich an Jerusalem und am Tempelberg entzündet. Im
Jahr 2000 löste der Besuch von Ariel Sharon auf dem Tempelberg die zweite
Intifada aus. In den vergangenen Tagen hat die Hamas Jerusalem und den
Tempelberg mehrfach als „rote Linie“ bezeichnet.
Am vergangenen Montag und in der Nacht auf Donnerstag flog – zum ersten Mal
seit Monaten – jeweils eine Rakete von Gaza auf israelisches Gebiet. Für
den politischen Zionismus wiederum ist der Tempelberg gewissermaßen der
Beweis, dass die Jüdinnen und Juden vor zweitausend Jahren dort schon
einmal lebten und herrschten. Auf ihm bauen viele Zionist:innen ihren
Anspruch auf das Land Israel auf.
Verschiedene Gruppen erheben also Besitzansprüche. Wem gehört der
Tempelberg denn nun?
Jerusalem und der Tempelberg haben bereits unter zahllosen Reichen
existiert, seit dem 7. Jahrhundert standen sie vor allem unter muslimischer
Herrschaft. Zuletzt eroberte Israel im Sechstagekrieg 1967 die Altstadt
Jerusalems von Jordanien. Eine von israelischen Soldaten über dem
Tempelberg gehisste Fahne auf der Kuppel des Felsendoms ließ der damalige
Verteidigungsminister Moshe Dayan jedoch schnell wieder einholen. Er wollte
verhindern, dass religiöse Fanatiker:innen aller Seiten die
Heiligtümer für sich alleine beanspruchten. Die Verwaltung des Berges
übertrug er der jordanischen Waqf-Stiftung und handelte mit dem Königreich
Jordanien einen sogenannten Status quo aus.
Von diesem Status quo ist immer wieder die Rede. Was besagt er denn genau?
Die Grundprämisse des Status quo ist, dass nur Muslime auf dem Tempelberg
beten dürfen, während Nichtmuslime den Tempelberg zu bestimmten Zeiten
besuchen dürfen. Doch dieser Status quo ist nicht schriftlich festgehalten,
und über die Besuche von Nichtmuslimen auf dem Tempelberg gibt es seit
einigen Jahren zwischen der Waqf-Stiftung und Israel Uneinigkeit. Seit der
Zweiten Intifada kontrolliert die israelische Polizei die Besuche von
Jüdinnen und Juden auf dem Tempelberg. Für Jordanien und die
Palästinenser:innen ein Verstoß gegen die Vereinbarung. Sie fürchten,
dass Israel am Status quo rütteln will.
Will Israel den Status quo tatsächlich verändern?
Laut Hagit Ofran von der israelischen Friedensbewegung „Peace Now“ hat
Israel den Status quo bereits verändert: Die Polizei stand bis vor etwa
zehn Jahren außerhalb der Tempelberg-Mauern, nun eskortiere sie ganze
Gruppen jüdischer Besucher:innen auf das Gelände, was für Protest auf
palästinensischer Seite sorgt. Die Besuche werden vor allem von der
Tempelbewegung vorangetrieben – Gruppen, die Anspruch auf den Tempelberg
erheben und dort auch beten wollen.
Ein prominenter Aktivist ist Jehuda Glick, von 2016 bis 2019
Parlamentsmitglied in Benjamin Netanjahus konservativer Likud-Partei. Er
ist zugleich Direktor des Tempelinstituts, das den Bau des Dritten Tempels
– nach dem Vorbild des Zweiten Tempels – dort erreichen will. Um die
biblische Reinheit wiederzuerlangen, die es für den Bau des Tempels
brauche, versuchen sie, eine makellose rote Kuh zu züchten, deren Asche
nach dem vierten Buch Mose eine reinigende Wirkung haben soll. Sie haben in
den letzten Jahren an Einfluss gewonnen, und werden vor allem von
Likud-Angehörigen unterstützt, darunter Ex-Polizeiminister Gilad Erdan, der
laut Ofran auch für das veränderte Verhalten der Polizei auf dem Tempelberg
verantwortlich war. Verteidigungsminister Benny Gantz hat letzte Woche
beteuert, Israel sei dem Status quo verpflichtet.
Welchen Einfluss haben die Normalisierungsabkommen mit arabischen Ländern
auf den Konflikt um den Tempelberg?
Im September 2020 haben Israel, Bahrain und die Vereinigten Arabischen
Emirate das Abraham-Abkommen unterzeichnet, das „eine Kultur des Friedens
zwischen den drei abrahamitischen Religionen“ fördern will. Damit haben
einflussreiche arabische Länder einen direkten diplomatischen Draht zu
Israel. Nach den jüngsten Ausschreitungen auf dem Tempelberg bestellte der
emiratische Minister für internationale Kooperation den israelischen
Botschafter ein und betonte, dass Israel „jede Praxis, die die
Unverletzlichkeit der Al-Aksa-Moschee gefährde“, sofort einstellen müsse,
um nicht den Frieden in der Region zu gefährden.
23 Apr 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Judith Poppe
Lisa Schneider
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