| # taz.de -- Berichterstattung über Ukrainekrieg: Wir sind Europas Augen und Oh… | |
| > Ohne das Wissen ukrainischer Journalisten wären westliche Medien | |
| > aufgeschmissen. Viele Jahre überging man aber deren Perspektiven. | |
| Bild: Ukraines Präsident Wolodimir Selenski mit Einwohner*innen von Butscha, A… | |
| Kyiv taz | Als sich im Februar dieses Jahres die Nachricht einer möglichen | |
| russischen Invasion verbreitete, strömten zahlreiche ausländische | |
| Korrespondenten in die Ukraine. Die schlimmsten Befürchtungen bestätigten | |
| sich bald: Die russische Armee griff das gesamte Staatsgebiet der Ukraine | |
| mit Raketen an, bombardierte [1][Kyiv] und andere große Städte des Landes | |
| und besetzte einen Teil der südlichen Regionen. | |
| [2][Ausländische Journalisten flogen ein], um international zu berichten, | |
| wie ein Staat, der die zweitstärkste Armee der Welt besitzt, ein anderes | |
| Land mitten in Europa angriff. Und das nur, weil dieses sich seit vielen | |
| Jahren zu westlichen Werten bekennt und im Gegensatz zu den meisten | |
| Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion eine Aufnahme in die | |
| Europäische Union anstrebt. | |
| In Kriegen, wie wir ihn jetzt in der Ukraine erleben, sind lokale Reporter | |
| die ersten Ansprechpartner für westliche Medienvertreter. Journalisten aus | |
| dem Ausland sind auf die Kenntnisse ukrainischer Kollegen angewiesen. Sie | |
| sind es, die wissen, wie man sich in der Ukraine am besten fortbewegt, | |
| wohin man fahren, mit wem man sprechen sollte und worauf man bei der | |
| Berichterstattung achten muss. | |
| Den Rahmen, wie über die Geschehnisse in der Ukraine berichtet wurde, setzt | |
| schon seit vielen Jahren der Westen. Selbst unter Ukrainern genießen | |
| westliche Medien größeres Vertrauen, der nationalen Presse hingegen | |
| misstraut man. Ein Großteil ukrainischer Medien ist im Besitz von | |
| Oligarchen und Konzernen. Sie pflegen oftmals Beziehungen zu Politikern, | |
| die die Medien für ihre politischen Zwecke und ihre Geschäftsinteressen | |
| ausnutzen. Das Wort eines westlichen Journalisten zählte in der | |
| Vergangenheit deshalb oft mehr als das eines örtlichen Reporters. An diesen | |
| Zustand hatten sich alle im Land gewöhnt. | |
| Doch der 24. Februar markierte einen Wendepunkt. Lokale Journalisten | |
| befanden sich, anders als ihre ausländischen Kollegen, [3][in einer noch | |
| prekäreren Lage] als sowieso schon: Schutzwesten und Helme besaßen die | |
| wenigsten, es fehlte an Erfahrung mit Sicherheitstrainings oder an | |
| grundlegenden Dingen wie einer Krankenversicherung. [4][Mehr als 70 | |
| Medienhäuser] mussten bereits aufgrund der militärischen | |
| Auseinandersetzungen mit Russland oder aus wirtschaftlichen Gründen | |
| schließen. Ein Ausweg bestand für viele darin, als „Fixer“ oder lokaler | |
| Produzent für westliche Medien zu arbeiten. | |
| ## Ukrainische Perspektiven fehlen | |
| Aktuell wiederholt sich etwas, das der Journalismus 2014 auf ähnliche Weise | |
| erlebt hat. Als sich in Kyiv auf dem Maidan Protest gegen den damaligen | |
| Präsidenten Wiktor Janukowitsch formierte, der sich weigerte, das | |
| Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen und sich stattdessen für | |
| ein Bündnis mit Russland entschied, kamen schon einmal Journalisten aus dem | |
| Westen in die Ukraine, um da-rüber zu berichten. | |
| Bald darauf folgte die Annexion der Krim, und der Donbass wurde durch | |
| Separatisten besetzt. Fixer übernahmen auch damals schon die Hauptarbeit | |
| der Berichterstattung. Sie versorgten Journalisten aus dem Westen mit | |
| nützlichen Informationen und riskierten nicht selten dafür ihr Leben. | |
| Daraus ergab sich ein ungleiches Abhängigkeitsverhältnis: Der Westen war | |
| auf die Hilfe ukrainischer Fixer angewiesen. Diese wiederum brauchten die | |
| Aufträge aus dem Ausland, konnten aber wenig Einfluss darauf nehmen, wie | |
| ihre Zulieferungen in Berichten verarbeitet wurden. Westliche Medien | |
| nutzten die Arbeitskraft örtlicher Journalisten aus, übergingen aber ihre | |
| Perspektiven. Stattdessen übernahm man russische Argumentationen und | |
| Sichtweisen. | |
| Viele Jahre wurde die Situation im Donbass folglich nicht als Krieg | |
| bezeichnet und die Annexion der Krim gerne als „Wiederherstellung einer | |
| historischen Gerechtigkeit“ dargestellt. Dass die militärischen Attacken | |
| Russlands auf keine Weise gerechtfertigt waren, ließ sich den westlichen | |
| Redaktionen nur schwer vermitteln. | |
| Acht Jahre lang hat ein Großteil westlicher Medien seinem Publikum erzählt, | |
| dass die Annexion der Krim und die Besetzung des Donbass nachvollziehbare | |
| Gründe hätten. Sie versäumten es, ihre Leser ordentlich über die | |
| Aggressionen Russlands gegen die Ukraine aufzuklären. Ukrainische | |
| Journalisten, Politiker und Diplomaten schrien buchstäblich, dass die | |
| Russen ihre Gebiete gewaltsam eingenommen hätten. Sie wurden nicht gehört. | |
| Die Ukraine müsse Verständnis für Russland aufbringen und einen Frieden | |
| aushandeln, las man stattdessen oft. Uns, den Ukrainern, sagte man: Euer | |
| Land ist korrupt, ist voller Rechtsradikaler, ihr seid nicht gut genug, um | |
| in der EU zu sein. Russischen Oppositionellen und Journalisten, die sich | |
| nicht damit auseinandersetzen wollten, dass ihr Land ukrainische Gebiete | |
| illegal einnahm, gaben Medien häufiger eine Plattform als Ukrainern, die | |
| mit eigenen Augen gesehen hatten, wie russische Streitkräfte Ukrainer im | |
| Osten des Landes entführten und folterten. Acht Jahre lang hat sich | |
| Russland an die Tatsache gewöhnt, dass es für seinen Umgang mit der Ukraine | |
| kaum eine Strafe zu erwarten hat. | |
| ## Journalisten setzen ihr Leben aufs Spiel | |
| Dieser Umgang des Westens mit der Ukraine setzt sich bis heute fort. | |
| [5][Kürzlich stellte die Welt die russische Ex-Propagandistin Marina | |
| Owsjannikowa] ein, die mit ihrem Protest gegen den Krieg im russischen | |
| Staatsfernsehen bekannt geworden war. Währenddessen sehen Dutzende | |
| ukrainische Journalisten ihre Existenz bedroht und wissen nicht, wie es | |
| mit ihrer beruflichen Karriere weitergehen soll. Über ihr Schicksal liest | |
| man kaum etwas. | |
| Russische Journalisten tauchen hingegen öfter in den Medien auf und | |
| berichten, wie sie unter den restriktiven Maßnahmen der russischen Behörden | |
| leiden. Ukrainische Journalisten berichten parallel dazu aus | |
| Luftschutzkellern und reisen in gefährliche Militärgebiete, um zu zeigen, | |
| wie die russische Armee Zivilisten beschießt und hinrichtet. | |
| Seit Beginn des erweiterten Krieges haben die russischen Streitkräfte zwölf | |
| Journalisten getötet. Unter ihnen waren sowohl westliche als auch lokale | |
| Reporter. Journalisten setzen ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel, um | |
| der Welt zu zeigen, welches Grauen mitten in Europa geschieht. Heute ist es | |
| deshalb wichtiger denn je, ukrainischen Journalisten und anderen Menschen | |
| vor Ort, die etwas zu sagen haben, eine Stimme zu geben. | |
| Im Krieg mit Russland verteidigt die Ukraine die Grenzen Europas, seine | |
| Unversehrtheit und Sicherheit. Wir ukrainischen Journalisten nehmen dabei | |
| eine besondere Rolle ein: Wir sind Europas Augen und Ohren. | |
| Wir zählen die Tage seit dem Beginn der russischen Invasion und warten auf | |
| sein Ende wie auf ein Wunder. Die Ukraine kämpft für Europa, und | |
| ukrainische Journalisten riskieren täglich ihr Leben. Ist Europa aber | |
| bereit, der Ukraine zuzuhören? | |
| Wir verdienen es, dass sich der Westen endlich mit der Tatsache abfindet, | |
| dass unsere Stimmen ebenso zählen. Denn auch wir sind Europäer. | |
| Aus dem Englischen von [6][Erica Zingher] | |
| [7][Die taz unterstützt aktuell die ukrainischen Medien] Zaborona und | |
| Hromadske mit Spenden. | |
| 23 Apr 2022 | |
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| [5] /Russische-Propaganda/!5846143 | |
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| [7] /!173163/ | |
| ## AUTOREN | |
| Katerina Sergatskova | |
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