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# taz.de -- Studie über Medien in der Literatur: Ein Boulevard-Klischee
> Medien und ihre Vertreter*innen werden in der Literatur
> sensationalistisch und aufdringlich dargestellt. Und doch sind sie
> unabdingbar.
Bild: Mutwillige Falschdarstellungen sind in der literarischen Darstellung kein…
Journalismus ist überall. Und die Menschen, die in diesem Berufszweig tätig
sind, ebenso. Das ist das unumwunden positivste Ergebnis, zu dem eine neue
Studie gelangt, in der die Darstellung der Medien und ihrer
Vertreter*innen in der aktuellen Literatur untersucht wird. Zumindest
wenn man dem Grundsatz folgt, dass schlechte Publicity besser ist als gar
keine.
In seinem Buch „Wie die Presse sich aufführt“ widmet sich Frank Überall,
Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands, der Frage, wie
journalistische Arbeit in der Belletristik thematisiert wird, in
turbulenten Zeiten. Ob Krieg in der Ukraine, Coronapandemie oder
Pegida-Demonstration: Die geteilte Vorstellung von Wahrheit, von
wissenschaftlichen Tatsachen steht unter Beschuss – und damit die Grundlage
für gesellschaftliche Debatten.
Journalist*innen sehen sich dadurch nicht nur öfter Diffamierungen wie
„Lügenpresse“ oder „Fake News“ gegenüber. Auch gewalttätige Übergri…
nehmen zu, wie Reporter ohne Grenzen berichtet. In Deutschland habe die
Gewalt gegen Pressevertreter*innen „eine noch nie dagewesene
Dimension erreicht“, [1][resümierte die gemeinnützige Organisation letztes
Jahr].
Und dennoch sind die Glaubwürdigkeitswerte der Medien auf einem
Höchststand, wie 2020 eine [2][Studie im Auftrag des WDR] herausfand. Vor
allem die Arbeit der öffentlich-rechtlichen Sender und Tageszeitungen
bewertete eine überwältigende Mehrheit der Befragten als gut oder sehr gut.
Wesentlich geringeres Vertrauen wurde den sozialen Medien und der
Boulevardpresse entgegengebracht. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage
wollte Überall, der außerdem Professor für Journalismus an der Hochschule
für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln ist, herausfinden, was den
literarischen Diskurs prägt: Anerkennung oder Anfeindung. Dazu untersuchte
er alle Belletristikwerke, die zwischen 2019 und 2021 den ersten Platz der
Spiegel-Bestsellerliste belegten.
## Ein weiteres Klischee
In insgesamt 51 Büchern hat er 1.700 Stellen gefunden, in denen
Journalismus beziehungsweise Journalist*innen vorkommen. Warum eine
Auseinandersetzung mit fiktionalem Erzählen überhaupt wichtig ist?
„Vieles, wahrscheinlich das Meiste, was wir über uns ‚fremde‘ Berufe
wissen, erfahren wir aus den Massenmedien“, schreibt Überall zutreffend.
Dass die allgemeine Wahrnehmung der Profession, ihrer Arbeitsweise und
Auswirkungen, durch Beschreibungen in der Literatur beeinflusst werden, ist
durchaus nicht abwegig.
Dass ein Großteil der Schriftsteller*innen während des Schreibprozesses
vor allem das Klischee der aufdringlichen Boulevardreporter*innen
vor Augen zu haben scheint oder diese Variante der journalistischen
Realität für die Handlung des eigenen Romans zumindest für besonders
spannend halten, ist der Reputation der Berufssparte dann allerdings sicher
nicht zuträglich.
Denn kommt die Qualität der Arbeit von Journalist*innen in den
untersuchten Büchern zur Sprache, dominiert mithin ein Hang zur unseriösen
und sensationalistischen Berichterstattung. In Simon Becketts „Die ewigen
Toten“ etwa muss die Polizei die Fenster mit Brettern vernageln lassen, um
vor den neugierigen Blicken der Presse zu schützen. Jussi Adler-Olsen
schreibt von „Medienhysterie“ und Jojo Moyes von „reißerischen
Schlagzeilen“.
Darüber hinaus scheint das Verarbeiten falscher Tatsachen oder das
mutwillige Falschdarstellungen in der literarischen Beschreibung keine
Seltenheit zu sein. In T. C. Boyles „Das Licht“ etwa verzerrt ein
Boulevardblatt „zur Steigerung der Auflage“ die Wahrheit.
Apropos Auflage: Dass die mitunter prekäre finanzielle Situation der
Medienhäuser auch in Bestsellern thematisiert werde, gehört ebenfalls zu
den Hypothesen Überalls. Die allerdings kann nicht belegt werden. Schlicht,
weil sie nahezu keinerlei Erwähnung im untersuchten Material findet. Mehr
Beachtung wird der Situation der Journalist*innen selbst zuteil, die –
sofern bekannt – vor allem freiberuflich tätig sind und sich nicht selten
eine Festanstellung wünschen.
## Die Medien haben einen hohen Stellenwert
Zu den überraschenderen Erkenntnissen, die „Wie die Presse sich aufführt“
zutage fördert, gehört das zahlenmäßig nahezu ausgeglichene Verhältnis
zwischen männlichen und weiblichen Journalist*innen. Weniger erstaunlich:
Fiktive männliche Medienschaffende werden öfter in leitenden Positionen
dargestellt, etwa als Chefredakteure oder Moderatoren. Frauen kommt
häufiger die Rolle der „hinreißenden Reporterin“ zu. In ihrem Fall wird
sich außerdem stärker der Schilderung ihres Aussehens beziehungsweise der
Kleidung gewidmet.
Was den Anteil von weiblichen Medienvertreterinnen an der publizistischen
Macht angeht, gibt die Belletristik somit offensichtlich schlicht die
realen Verhältnisse wieder. Wie [3][der Verein Pro Quote Medien] in seinen
Studien immer wieder belegt, haben in deutschen (Online-)Redaktionen
weiterhin männlichen Kollegen die Führungspositionen inne. Besonders weit
entfernt von jeglicher Parität sind [4][laut einer Untersuchung aus dem
Jahr 2019] die Lokalblätter: Von 108 Chefredakteursposten im
Regionalbereich sind gerade mal 8 mit Frauen besetzt.
Die Darstellung der fiktiven Medienvertreter*innen scheint jedoch vor
allem – überspitzt ausgedrückt – die ambivalenten Gefühlsregungen gegen�…
dem Journalismus und seinen Vertreter*innen, wie sie momentan zu
erleben sind, widerzuspiegeln
Einerseits nennt die Studie Fälle, in denen Tiernamen (Becketts Figuren
sprechen von „Geiern“ und einem „Fliegenschwarm“, in Diana Gabaldons
„Outlander“ ist gar von „Kakerlaken“ die Rede), und öfter noch klare
Schimpfworte in Bezug auf Journalist*innen fallen. Selbst offene
Gewaltandrohungen gegenüber Pressevertreter*innen kommen vor, wie
etwa in Michel Houellebecqs „Serotonin“, wo sie mit der „schlichten viril…
Drohung eines zünftigen Kohlenhiebs gegen den Kopf“ vertrieben werden.
Andererseits aber kommt den Medien und ihrem Konsum ein nicht von der Hand
zu weisender hoher Stellenwert zu. In zwei Dritteln der analysierten Bücher
sind Journalist*innen beziehungsweise deren Berichterstattung treibende
Handlungselemente. Erstaunlich oft werden Tageszeitungen gelesen, obwohl in
der realen Welt das Fernsehen, das Radio und das Netz häufiger für die
persönliche Informationsbeschaffung herangezogen werden.
Mehr noch: Zitate, seien sie real oder fiktiv, aus dem Journalismus hat
Überall außerordentlich häufig aufgefunden: „Offenbar ist es für
Belletristik-Autoren nach wie vor attraktiv mit der Angabe von real
anmutenden Quellen der Fiktion eine besondere Relevanz zu verleihen“,
schließt er daraus.
Unbeliebt aber unverzichtbar, ist ein mögliches Fazit, das sich aus der
literarischen Darstellung des Journalismus ableiten lässt. Inwiefern dies
auch tatsächlich auf das Sentiment der Gesellschaft als solche zutrifft,
wäre dann spannender Stoff für eine weitere, diesmal soziologische Studie.
17 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/rangliste-2021
[2] https://www.ard.de/ard/die-ard/Glaubwuerdigkeit-der-Medien-WDR-Studie-100.p…
[3] https://www.pro-quote.de/
[4] https://www.pro-quote.de/studie-von-proquote-medien-2-teil-stillstand-bei-d…
## AUTOREN
Arabella Wintermayr
## TAGS
Literatur
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Lineares Fernsehen
Pressefreiheit in Europa
Polizei Berlin
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