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# taz.de -- Rekord bei Geldentwertung in Eurozone: Inflation rauf, Steuer runter
> Mit 7,4 Prozent erreicht die Teuerung im Euroraum einen neuen Höchstwert.
> Fällt nun die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel?
Bild: Was in die Einkaufstüte kommt, wird immer teurer: Konsumentin in Düssel…
Berlin taz | Die [1][Inflation] im Euroraum ist im März auf einen
Rekordstand geklettert. Das Europäische Statistikamt (Eurostat) bezifferte
die Geldentwertung am Donnerstag auf 7,4 Prozent. Das war der höchste Wert
seit der Einführung des Euro 1999 – und beinahe viermal so viel wie die
Zielmarke der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent.
Im Vergleich zu einer früheren Schätzung für März fiel die
durchschnittliche Preiserhöhung zwar etwas geringer aus. Damals war
Eurostat von 7,5 Prozent ausgegangen. Doch auch 7,4 Prozent liegen deutlich
über der Inflationsrate vom Februar mit 5,9 Prozent. Vor allem machten sich
die stark steigenden Energiepreise bemerkbar. Diese lagen um 44 Prozent
über dem Vorjahresniveau. Bei Lebens- und Genussmitteln war der
Preisauftrieb dagegen mit 5 Prozent moderater.
Ursachen der problematischen Kostensteigerung sind die wirtschaftliche
Erholung nach der Coronapandemie und die deshalb größere Nachfrage durch
Privathaushalte und Unternehmen. Diese trifft allerdings auf ein zu
geringes Angebot beispielsweise bei Energie und Baumaterial. Hier machen
sich Lieferengpässe auf den Weltmärkten bemerkbar. Der russische Angriff
auf die Ukraine trägt ebenfalls zur Explosion der Energie- und bestimmter
Lebensmittelkosten bei. Kritiker:innen machen außerdem die lockere
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verantwortlich, die Banken und
Investoren zu lange mit zu großen Summen neuen Geldes versorgt habe.
Viele Unternehmen reagieren derzeit, indem sie ihre höheren Kosten für
Energie, Rohstoffe und Vorprodukte weiterreichen. Ein aktuelles Beispiel
ist der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé (unter anderem Nespresso,
KitKat und Maggi), dessen Umsatz von Januar bis März dieses Jahres um 7,6
Prozent auf rund 22 Milliarden Euro stieg. Preiserhöhungen steuerten 5,2
Prozent zu diesem Wachstum bei. Insgesamt wuchsen die Erzeugerpreise, die
etwa Lebensmittelhersteller dem Handel in Rechnung stellen, im März im
Jahresvergleich um über 30 Prozent, wie das Statistische Bundesamt am
Mittwoch erklärte.
Die Firmen könnten sich auch anders verhalten. Sie müssen ihre
Kostensteigerungen nicht größtenteils oder komplett weitergeben. Allerdings
würden sich dann ihre Gewinnmargen reduzieren. Wie lange die gegenwärtige
Geschäftspolitik funktioniert, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die
Verbraucher:innen die Preissteigerungen akzeptieren oder ob sie ihren
Konsum einschränken.
Ein zweiter wichtiger Akteur ist der Staat. Die Steuern, die er erhebt,
gehen ebenfalls in die Preise ein, die Endverbraucher:innen bezahlen.
So forderten der Sozialverband VdK und der Bundesverband der
Verbraucherzentralen (vzbv) am Donnerstag, die Bundesregierung solle die
Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel auf 0 senken. Augenblicklich gilt
beispielsweise für Gemüse, Milch, Fleisch und Getreide der ermäßigte
Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Menschen mit niedrigen Einkommen wüssten
nicht mehr, wie sie ihre Lebensmittel oder ihre Stromrechnung bezahlen
sollten, sagte Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands.
Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat bereits Entlastungen für
Privathaushalte und Firmen im Umfang von etwa 30 Milliarden Euro
beschlossen. Die einzelnen Erleichterungen sollen demnächst wirksam werden.
Dazu gehört unter anderem der Energiekostenzuschuss für alle
steuerpflichtigen Erwerbstätigen von 300 Euro pro Kopf, die abgesenkte
Mineralölsteuer und das 9-Euro-Monatsticket für den öffentlichen
Nahverkehr.
Haushalte, bei denen sich mehrere Vergünstigungen addieren, können so
dieses Jahr 600 oder 700 Euro zusätzlich vom Staat erhalten. Bisher gelten
die Entlastungen jedoch meist nur vorübergehend. Danach schlägt die
Inflation wieder voll in die Haushaltsbudgets besonders der Geringverdiener
durch.
Erheblichen Einfluss auf die Inflationsrate hat auch die EZB. Mit
zunehmender Teuerung steigt der Druck auf die europäische Notenbank, ihre
Zinsen anzuheben. „Die Geldpolitik ist gefordert“, sagte
Bundesbank-Präsident Joachim Nagel am Mittwoch. Er stellte in Aussicht, die
EZB könnte ihre Zinsen schon im Juli erhöhen – früher als bisher gedacht.
Und schließlich spielt die Lohnpolitik der Gewerkschaften eine Rolle. Die
Forderungen der Arbeitnehmervertretungen für Tariferhöhungen in Deutschland
waren bisher moderat. Das könnte sich ändern. Denn auch die Millionen
Gewerkschaftsmitglieder spüren die Preiserhöhungen. Steigende Verdienste
wiederum werden die Unternehmen als Begründung verwenden, weshalb sie die
Preise noch weiter erhöhen.
21 Apr 2022
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## AUTOREN
Hannes Koch
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