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# taz.de -- Folgen von K.o.-Tropfen: Nichts passiert. Oder?
> Die Comedian Joyce Ilg hat einen Witz über K.-o.-Tropfen gemacht. Gerade
> als Betroffene stellt sich die Frage, wieso jemand über so etwas lachen
> will.
Bild: Die Substanzen sind nicht lange nachzuweisen: Im Blut etwa sechs, im Urin…
Als ich aufwache, dröhnt mir der Kopf. Ich weiß nicht, wo ich bin. Dann
erkenne ich den Bungalow, den meine Freundin und ich am Tag zuvor bezogen
hatten. Wir sind auf Abireise in der Türkei. Ich liege in Klamotten auf
ihrem Bett. Sie schläft in meinem Bett. Ich kann mich an nichts erinnern.
Mir dreht sich der Magen um, ich taumle ins Bad. Auf dem Weg steige ich in
Erbrochenes.
Ich kriege Angst. Im Bad suche ich meinen Körper ab, versuche die
dröhnenden Kopfschmerzen auszublenden, um herauszufinden, ob mir sonst
etwas wehtut. Mein Herz klopft schneller, Tränen rinnen mir über die
Wangen, als ich meine Unterwäsche absuche und meine Oberschenkel nach
blauen Flecken. Ich finde nichts. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich einen
Rock anhatte, als hätte das irgendwas zu Sache getan. Ich will nach Hause.
Als ich aus dem Bad komme, ist meine Freundin wach.
„Du warst extrem betrunken gestern“, sagt sie. Ich schäme mich. Ich rufe
meinen Vater an, er erschrickt, als er mich schluchzen hört, und es tut mir
leid, weil mir ist ja nichts passiert. Oder? Ich erzähle, was los ist. Er
hört zu und sagt: „Dir hat jemand Drogen ins Glas gekippt.“ Er hat
jahrelang im Nachtclub gearbeitet. Ich weine noch mehr. Wir reden eine
Weile, dann lege ich auf.
Was war passiert? Ich weiß noch, dass wir am Pool an der Bar standen und
Cola-Rum getrunken haben, der vor allem nach Cola und Wasser geschmeckt
hat. Ich kann mich nur ans erste Getränk erinnern. Danach wird es nebelig
bis dunkel. Ich küsse jemanden am Strand, ich kann kein Gesicht erkennen.
Ich will weg. Ich taumle durch den Sand.
Schnitt.
Auf einem gepflasterten Weg umzingeln mich ein paar Jungs, ich erinnere
mich an Oberkörper in Polo-Shirts. Sie reden mit mir, doch es ist, als wäre
ich hinter einer Glaswand, ich verstehe kein Wort. Alles dreht sich, ich
kann meinen Kopf nicht mehr heben. Ihre Füße kommen näher. Ein Hand mit
einem Armband aus Holzperlen packt mich am Handgelenk. Ich reiße mich los
und stoße mit der Kraft, die ich noch habe, ein Polo-Shirt weg.
Schnitt.
Mein Körper ist wie Blei. Ich gehe einen menschenleeren Kiesweg entlang,
Palmen links und rechts. Der Boden wankt, ich falle hin, stehe wieder auf.
Ich habe Angst. Ich suche einen kleinen weißen Bungalow in einer Anlage
voller kleiner weißer Bungalows.
Meine Freund*innen werden mir später erzählen, dass sie auf unserer
Terrasse saßen, als ich angetaumelt kam. Dass ich sie angeschrien habe.
Dass sie mich ins Bett gebracht haben. Ich hatte nur noch einen Schuh an.
Den anderen habe ich danach tagelang gesucht, aber er blieb verschwunden.
Mit ihm das Wissen, wo ich an diesem Abend war.
## Die Frage ist nicht, ob man diese Witze machen darf
Am nächsten Morgen habe ich den schlimmsten Kater. Alles tut weh, meine
Augen sind so geschwollen, dass ich durchgehend Sonnenbrille trage. Es
dauert drei Tage, bis ich anfange, mich wieder normal zu fühlen. Bis die
Scham etwas von meiner Brust weicht. Ich beteuere allen, es ginge mir gut,
doch es dauert Monate, bis ich nicht mehr jeden Tag daran denke, was
passiert ist und was hätte passieren können. Es dauert Jahre, bis ich zum
ersten Mal von dem Begriff K.-o.-Tropfen höre.
Aktuell denke ich wieder an diesen Morgen. Weil eine Comedian namens Joyce
Ilg mit 1,6 Millionen Follower*innen zu Ostern ein Foto mit dem
Comedian Luke Mockridge bei Instagram gepostet hat. Darunter schrieb sie:
[1][„Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar
K.-o.-Tropfen bekommen.“] Nachträglich ergänzt sie, dass das kein Witz auf
Kosten von Opfern von K.-o.-Tropfen gewesen sei, sondern „eine Anspielung
darauf, dass Luke diesen K.-o-Tropfen-Gag ja damals in seinem Programm
hatte und ihm das nachträglich als vermeintlicher ‚Beweis von Schuld‘
ausgelegt wurde“.
[2][Mockridge wurde 2021 von seiner Ex-Freundin Ines Anioli öffentlich der
versuchten Vergewaltigung beschuldigt], er stritt die Vorwürfe ab, die
zuständige Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen wegen mangelnder
Beweise eingestellt.
Unter Ilgs Foto kommentierten Leute, dass das nicht lustig sei. Sie
argumentiert mit ihrem grenzenlosen Humor. Dabei ist die Frage gar nicht,
ob man solche Witze machen darf. Niemand hat um Erlaubnis gebeten. Ich
frage mich vielmehr, wieso man solche Witze machen will. Vielleicht weil
man denkt, so was passiert einem selbst niemals?
Meine Freund*innen haben sich damals bei mir entschuldigt, dass sie nicht
besser auf mich aufgepasst haben. Doch sie konnten es nicht wissen. Wenn
die Wirkung der K.-o.-Tropfen beginnt, wirkt die Person alkoholisiert. Wie
viele Menschen in Deutschland pro Jahr ungewollt K.-o.-Tropfen verabreicht
bekommen, weiß man nicht. Die Substanzen sind nicht lange nachzuweisen: Im
Blut etwa sechs, im Urin etwa zwölf Stunden. Wenn man also begriffen hat,
was passiert ist, ist es meist zu spät. In hoher Dosierung können sie zu
Bewusstlosigkeit, Koma oder Tod führen.
Oft handelt es sich dabei um die sogenannten Partydrogen GHB
(Gamma-Hydroxybuttersäure) beziehungsweise GBL (Gamma-Butyrolacton),
bekannt als [3][Liquid Ecstasy, Liquid X oder G]. GBL wird im Körper zu GHB
umgewandelt. Während GHB unter das Betäubungsmittelgesetz fällt, ist die
Vorläufersubstanz GBL relativ leicht zu beziehen. Es wird unter anderem als
Reinigungsmittel verwendet. Die heimliche Verabreichung ist dennoch
strafbar.
Im Netz finden sich allerhand Verhaltenstipps für Betroffene: auf Getränke
achten, nur beim Personal bestellen. Es gibt Nagellack oder Armbänder, die
helfen sollen, die Substanzen zu erkennen. Doch was bleibt nach vielen
Tipps und schlechten Gags ist das Gefühl, dass Täter*innen es viel zu
einfach haben.
20 Apr 2022
## LINKS
[1] https://www.fr.de/panorama/luke-mockridge-joyce-ilg-foto-instagram-shitstor…
[2] /Vergewaltigungsvorwurf-gegen-Mockridge/!5791214
[3] /Todesfall-nach-Club-Besuch-in-Berlin/!5792794
## AUTOREN
Saskia Hödl
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