| # taz.de -- Opfer von K.-o.-Tropfen: Sie darf nicht „Täter“ sagen | |
| > Tamara wurde betäubt und vergewaltigt. Bei der Polizei unterstellt man | |
| > ihr Drogenkonsum, ihre Umgebung reagiert ignorant – kein Einzelfall. | |
| Bild: Das geht schnell – schon sind die geruchs- und geschmacklosen Tropfen i… | |
| Es läuft ihr immer noch kalt den Rücken runter. Wenn sie ein Taxi sieht. | |
| Lange Zeit konnte Tamara* in keins mehr einsteigen, ohne eine Panikattacke | |
| zu bekommen, an keinem Taxistand mehr haltmachen, ohne sich zu fürchten, | |
| dass er gleich vor ihr anhalten würde. | |
| Heute ist sie gelassener: Sie sitzt in ihrem Büro bei der Post in | |
| Recklinghausen und blickt über den Busbahnhof zum Taxistand hinüber. Im | |
| Januar 2010 wurde sie von einem Taxifahrer, der eine Zeit lang ihr | |
| Geliebter war, unter Einfluss von K.-o.-Tropfen vergewaltigt. | |
| „ ’Sexueller Missbrauch an widerstandsunfähigen Personen‘ heißt das ja | |
| eigentlich, nicht ’Vergewaltigung‘ “, korrigiert sie. Sie ist sehr bedacht | |
| darauf, sich juristisch korrekt auszudrücken. Nach der Tat war sie stark | |
| depressiv, losgelöst von sich selbst: unfähig, sich eine eigene Meinung zu | |
| bilden. Man hört ihr an, welche Antworten ihr von Polizei und Anwälten | |
| gefüttert wurden. „Ich dürfte eigentlich nicht ’Täter‘ sagen“, erkl�… | |
| als sie von ihrem Vergewaltiger spricht, „der ’mutmaßliche Täter‘, muss… | |
| heißen.“ | |
| Mit ihm hatte sie zuvor eine Affäre gehabt, oft fuhr er sie mit seinem Taxi | |
| zur Arbeit. An dem Abend, als es passiert, will sie mit ihm über die | |
| Beziehung reden, weil sie herausgefunden hat, dass er verheiratet ist. Die | |
| beiden treffen sich im privaten Rahmen, er überredet sie, in eine Kneipe zu | |
| gehen. Er trinkt eine Cola, sie ein Radler. Einmal muss sie zur Toilette – | |
| in der Zeit mischt er ihr etwas ins Glas. „Es ist ja wirklich mutmaßlich“, | |
| beharrt sie – so heißt es amtlich. Dennoch weiß Tamara, was ihr passiert | |
| ist. | |
| ## Das Krisen- und Beratungszentrum LARA | |
| Als K.-o.-Tropfen bezeichnet man eine Reihe von Substanzen, die benutzt | |
| werden, um jemanden zu betäuben und wehrlos zu machen. Eine der | |
| bekanntesten ist Gamma-Hydroxy-Buttersäure, kurz GHB, auch „Liquid Ecstasy“ | |
| genannt. Ihr Konsum ist zwar verboten, doch GHB wird zu Industriezwecken | |
| legal gehandelt und kann daher sogar einfach im Internet bestellt werden. | |
| K.-o.-Tropfen sind farb-, geschmack- und geruchlos – in einem | |
| unbeobachteten Moment ins Getränk gemischt, sind sie daher nicht zu | |
| identifizieren. | |
| Zu den Opfern zählen häufig junge Frauen, die sie in Clubs oder auf | |
| Privatpartys untergejubelt bekommen und anschließend vergewaltigt werden, | |
| berichtet Anne Roth. Es gebe aber auch andere Fälle, sagt die Beraterin vom | |
| Berliner Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell | |
| belästigte Frauen LARA, die sich auf das Thema K.-o.-Tropfen spezialisiert | |
| hat: etwa Raubüberfälle mit K.-o.-Trofen, sexualisierte Gewalt in schwulen | |
| Communitys oder im „Nahbereich“, wie sie es nennt, „wenn also der eigene | |
| Partner seiner Partnerin K.-o.-Tropfen gibt, um gegen ihren Willen über | |
| ihren Körper zu verfügen“. | |
| Als Tamara zum Taxi geht, wird ihr auf einmal ganz seltsam. „Davor ging es | |
| mir gut. Ich kann es auch nicht so richtig erklären, mir war einfach | |
| komisch, so leicht schwindelig.“ An die Fahrt kann sie sich schon kaum noch | |
| erinnern, die Bilder sind verschwommen.„Weißt du, wo wir sind?“ Seine Frage | |
| rüttelt sie wach: weiße Quadrate wie Bauklötzchen – die erleuchteten | |
| Fenster eines Bürogebäudes. „Da war schon die Stimme über mir, da lag er | |
| schon auf mir. Dann habe ich auf einmal einen so heftigen Schmerz gespürt, | |
| dass ich normalerweise das ganze Auto zusammengeschrien hätte. Aber in dem | |
| Moment – nichts.“ Kurz darauf wird sie bewusstlos. Als sie wieder zu sich | |
| kommt, steht sie in der Einfahrt ihres Hauses. | |
| Häufig können sich die betroffenen Frauen an nichts mehr erinnern, wenn sie | |
| am nächsten Morgen aufwachen – neben einem Unbekannten oder allein, mit | |
| zerrissenen Kleidern, einem eingenässten Betttuch oder Unterleibschmerzen, | |
| fast immer mit Kopfschmerzen oder Übelkeit. „Viele führen das auf den | |
| Alkohol zurück“, sagt Anne Roth. „Wenn jemand aber sagt, das kenne ich | |
| nicht so von mir, dann werde ich schon hellhörig.“ Die Selbsteinschätzung, | |
| eigentlich gar nicht so viel getrunken zu haben, oder das Wissen, dass man | |
| bisher niemals zu viel getrunken hat, könnten ein Hinweis auf K.-o.-Tropfen | |
| sein. In Frauenforen wie [1][gofeminin.de] findet man viele derartige | |
| Erzählungen. | |
| ## Der Zusammenbruch kam Wochen danach | |
| Am Mittag nach der Tat ruft Tamara einen Freund an. „Der ist etwas | |
| spöttisch. Er fragte mich nur, wann ich nach Hause gekommen bin. Das war | |
| irgendwann nach Mitternacht, das sagte ich ihm, und dass wir in einer | |
| Kneipe waren. Sonst nichts. Und er meinte nur, ’Ja, dann hast du ja einen | |
| schönen Abend gehabt.‘ Dabei hätt ich mich fast bekotzt.“ | |
| Roth kennt dieses Problem von den Frauen, die bei LARA anrufen: Vielen | |
| fehlt die Unterstützung im sozialen Umfeld. „Du bist doch selbst schuld, du | |
| hast doch getrunken“, sei nicht selten die Reaktion von Freunden. Hinzu | |
| kommen eigene Schuldzuweisungen und Schamgefühl, die es schwierig machen, | |
| offen darüber zu reden oder Hilfe zu suchen. | |
| Woher kommt diese selbstzufriedene „Selbst schuld“-Attitüde unserer | |
| Gesellschaft? „Es gibt viele Vergewaltigungsmythen – ein weit verbreiteter | |
| Mythos ist der von der Mitschuld der Frau“, sagt Roth. Auch das | |
| Machtgefälle zwischen den Geschlechtern spiele da weiterhin eine große | |
| Rolle. | |
| Erst Wochen später kam bei Tamara der Zusammenbruch. Zuvor ging sie täglich | |
| weiter zur Arbeit, ließ sich sogar noch von ihm dorthin fahren. Dissoziiert | |
| – wie ein leerer Automat. Was mit ihr geschehen ist, hat sie bewusst nicht | |
| realisiert. „Mittlerweile kann ich mir den Schmerz im Auto erklären“, sagt | |
| sie heute. Für sie hat es Jahre gedauert, überhaupt an diesen Punkt zu | |
| kommen. | |
| Als sie bei der Polizei eine Aussage machen will, behauptet sie noch, der | |
| Täter habe sich im Auto neben ihr befriedigt. Später wird sie den | |
| Polizeibericht lesen und sich darin nicht wiedererkennen. „Er war in | |
| Kindersprache geschrieben – das ist nicht mein Stil.“ Von allen Seiten | |
| fühlt sie sich betrogen, unverstanden, ungerecht behandelt. Weil bei der | |
| Polizei niemand Erfahrung mit traumatisierten Personen hat, wird ihr | |
| aufgrund ihres Zustands Drogenmissbrauch unterstellt. „Ich kam als Opfer | |
| rein und ging als Täter wieder raus.“ Tamara kann es nicht fassen. | |
| ## K.-o.-Mittel nur 12 Stunden im Blut nachweisbar | |
| Nicht immer haben Betroffene bei Polizei, Anwälten und sogar dem örtlichen | |
| Frauennotruf ein solches Pech, wie es bei Tamara der Fall war – in vielen | |
| Städten sind K.-o.-Mittel inzwischen ein präsentes Thema. | |
| Dennoch verdeutlicht die Haltung der Recklinghausener Polizei die | |
| Schwierigkeiten, die sich bei der Ermittlung dieser Fälle ergeben: | |
| K.-o.-Tropfen können nur sehr kurze Zeit – bis 12 Stunden nach der Einnahme | |
| – im Blut und Urin nachgewiesen werden. Selbst wenn, wie Roth im | |
| Verdachtsfall rät, gleich am Morgen darauf eine Urinprobe gesichert und im | |
| Kühlschrank verwahrt wird, so ist nicht eindeutig festzustellen, wie das | |
| Opfer an die Drogen gekommen ist. | |
| „Ein möglicher Zweifel an der Ursache für die vom Täter ausgenutzte | |
| Hilflosigkeit des Opfers ändert nichts an der Schwere der Tat oder an der | |
| polizeilichen Bearbeitung des Falls“, versichert der Stellvertretende | |
| Polizeisprecher in Berlin, Volker-Alexander Tönnies, der taz. Roth spricht | |
| dagegen von einem „Justice Gap, der bei keinem anderen Delikt so | |
| existiert“. | |
| Bei vielen Frauen sei die Angst vor einer Blamage oder einem Freispruch des | |
| Täters so groß, dass nur die wenigsten Fälle überhaupt angezeigt werden. | |
| Ihrer Einschätzung nach sind es 25 Prozent, davon würden rund 20 Prozent | |
| vor einem Richter landen und in nur einem von hundert Fällen werde der | |
| Täter tatsächlich verurteilt. | |
| Das passt auch grob mit der Berliner Kriminalstatistik zusammen, laut | |
| denen, so Tönnies, in weniger als fünf Vergewaltigungsfällen pro Jahr | |
| nachweislich K.-o.-Tropfen im Spiel waren. Bei LARA melden sich jährlich | |
| etwa 50 bis 60 Frauen, die unter K.-o.-Tropfen-Einfluss vergewaltigt, | |
| gefilmt oder misshandelt wurden – mehr als zehnmal so viele also. Nach der | |
| Überwindung sich zu öffnen ist die Frustration bei ihnen umso größer, wenn | |
| sie keine Gerechtigkeit bekommen; und keine Sicherheit, weil ihr | |
| Vergewaltiger eben nicht hinter Gittern sitzt. „Viele verlieren den Glauben | |
| an eine Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft“, sagt Roth. | |
| Manchmal hat Tamara das Gefühl, die Taxis würden ihr folgen. Einmal stand | |
| sie in Shorts beim Taxistand – es war der erste Sommer nach der Tat. Kurz | |
| darauf tauchte sein Taxi vor ihr auf – sie vermutet, dass seine Kollegen | |
| ihm über Funk Bescheid gegeben haben. Auch dass er bei ihr einbrechen | |
| könnte, schließt sie nicht aus. „Seit ich weiß, dass ihm alles zuzutrauen | |
| ist, bin ich da komischerweise entspannter. Im Endeffekt ist es nur ein | |
| i-Tüpfelchen.“ | |
| *Name von der Redaktion geändert | |
| 20 Aug 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://forum.gofeminin.de/forum/f554/__f2474_f554-Vergewaltigt-KO-Tropfen.h… | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Staib | |
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