# taz.de -- Schlampen und Helden: „Keiner kauft gern benutzte Ware“ | |
> Ein Mädchen hat öffentlich zwei Männern einen geblasen. Im Netz heißt sie | |
> jetzt „Schlampe von Slane“. Komisch – wenn Männer vögeln, sind sie | |
> Helden. | |
Bild: Definiert sich die Sexualität der Frau ausschließlich über ihre Benutz… | |
So einfach ist das in Internetzeiten. Zumindest für eine Frau. Da fährt sie | |
an einem Augustsamstag mit Freunden zu einem Konzert. Am Montag darauf ist | |
sie als „Schlampe von Slane“ weltbekannt. Ging vor zwei Wochen einem | |
irischen Mädchen so, 17 Jahre alt, bei einem Konzert des amerikanischen | |
Rappers Eminem bei Slane Castle, im County Meath, Irland. | |
Sie hatte auf dem Festivalplatz, von ihren Freunden in der Menge getrennt, | |
erst einem, später einem zweiten Mann einen geblasen. Warum? Unter welchen | |
Umständen? Wer wusste das schon, außer diesen dreien. Der große Rest reimte | |
sich seine Geschichte zusammen aus dem, was er im Internet sah. Oder sehen | |
wollte. Beides ist manchmal nicht zu trennen. | |
Der eine Mann hatte nur eben Knopf und Reißverschluss seiner Hose geöffnet. | |
Der andere stand da mit Hut, nacktem Arsch und Oberkörper, die gelbe | |
Regenschutzhose bis zu den Gummistiefeln heruntergelassen. Er hielt die | |
Arme erhoben, Daumen hoch. Siegerpose. Davor kniete voll bekleidet das | |
Mädchen. | |
Jemand hatte das fotografiert. Lud die Bilder auf Twitter, Facebook, auf | |
Instagram. Binnen 48 Stunden fanden sie ein Millionenpublikum. Das war vor | |
Empörung begeistert. Ich sah die Fotos erstmals am Montagmorgen, da waren | |
sie schon zensiert. Die schwarzen Balken vor Augen und Schwänzen milderten | |
nicht die Bösartigkeit der Kommentare: „Schlampe!“ – „Dumme Fotze!“ … | |
ist der Grund, warum Männer keine Töchter wollen!“ | |
Ich dachte: Achso? Und die Frauen? Solchen Schwachsinn nur mal zum Spaß | |
durchargumentiert: Denen macht es nichts aus, ihre Tochter vor einem | |
Arschloch auf Knien im Dreck zu sehen? Die stören sich nicht daran, wenn | |
der Internetmob anschließend über die Tochter herfällt und sie mit Worten | |
erschlägt? Ich habe drei Töchter. Zwei davon im Festivalalter. Ich konnte | |
nicht umhin, mich zu fragen: Was wäre, wenn? Und mir wurde schlecht. | |
Ja, selbstverständlich, das täte weh, eine meiner Töchter in einer solchen | |
Pose zu sehen. Nicht, weil sie auf einem Festival Sex gehabt hätte. Sondern | |
weil sie so offensichtlich von einem Arschloch mit Füßen getreten wurde. | |
Man sehe sich das Gesicht des Daumen-hoch-Mannes an. Man beachte, wie er | |
nicht auf das Mädchen schaut. Sondern in die Menge. Mit herabgelassenen | |
Mundwinkeln grinsend. Ich sehe das, und ich denke: Dem geht es doch nicht | |
um Sex. Der will hier doch ganz Anderes befriedigt haben. Darin | |
unterscheiden er und seine Internetfans sich nicht. Die schrieben dem Kerl | |
ins Netz: „Du bist ein Held!“ | |
## Missbrauch ist auch mit Einverständnis möglich | |
Ich habe auch drei Söhne. Müsste ich einen von ihnen jemals so sehen, über | |
einem Mädchen mit erhobenen Armen den Sieger gebend, abfällig in die Menge | |
grinsend, ich würde ihm vor die Füße kotzen. Und sollte er wagen, mir | |
gegenüberzutreten und zu sagen: „Na, die hat das doch mitgemacht!“, dann | |
müsste ich auch ihn fragen: Was darf ein Mann eigentlich schon als | |
Zustimmung werten? Ist die grundsätzliche oder gelegentliche Unfähigkeit | |
einer Frau, Nein zu sagen, aus welchen Gründen auch immer, Zustimmung | |
genug? Ein Missbrauch ist auch mit dem Einverständnis des Missbrauchten | |
möglich. Man sieht das auf diesen Bildern. | |
Bei jedem der beiden, offenbar nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden | |
Blowjobs war einer mit Kamera zur Stelle. Auch später dann, als der eine | |
Kerl, hinter dem Mädchen stehend, ihren Kopf zu sich biegt und seine Lippen | |
auf ihre drückt. Und ein viertes Mal, als der mit dem Hut und dem Grinsen | |
ihr zwischen die Beine greift. Ist das Zufall? War es Absicht? Welche | |
Rechtfertigung hatte der Fotograf, das zu dokumentieren und die Bilder ins | |
Netz zu stellen? Kann es überhaupt eine geben? Das Mädchen, das jemandens | |
Tochter ist, heißt jetzt „Slane Girl“. Und „Slane Slut“. Die Schlampe … | |
Slane. | |
Die Internetrichter forderten die Bekanntgabe ihres Namens und der Adresse. | |
In Irland ist es üblich, Namen und Adressen von Angeklagten, welchen | |
Vergehens auch immer, in den Zeitungen zu veröffentlichen. „Name and Shame“ | |
heißt diese Praxis. Benenne und stelle bloß. Ein paar Eiferer konnten nicht | |
darauf verzichten, dementsprechend dienlich zu sein. Jemand machte sich die | |
Mühe und richtete auf Facebook eine „Slut Shaming“-Seite ein, ein Forum zur | |
„Schlampenbloßstellung“. | |
[1][Wikipedia] erklärt den Begriff so: „,Schlampenbloßstellung‘ bezeichnet | |
eine Form der sozialen Kontrolle über Sexualität, indem man eine Frau | |
bloßstellt, die angeblich oder tatsächlich an ungesetzlichen, abnormalen | |
oder unethischen sexuellen Handlungen beteiligt war.“ Und weiter: „Zu den | |
Handlungen, die Frauen der ,Schlampenbloßstellung‘ aussetzen können, | |
gehören unzüchtige oder provokative Kleidung, das Verlangen nach | |
Verhütungsmitteln, vorehelicher Sex, oder auch das Opfer einer | |
Vergewaltigung oder eines sexuellen Übergriffes gewesen zu sein.“ | |
Deutlicher kann man nicht sagen, dass Frauen schuld sind. So einfach ist | |
das. | |
Die irische Polizei, die Gardai, verkündete am Montagabend, das Mädchen sei | |
im Krankenhaus. Es hatte die Bilder und Kommentare gesehen. Die Ärzte | |
mussten sie mit Medikamenten ruhigstellen. Jetzt rasten die Kommentatoren: | |
„Soll ich etwa Mitleid mit der haben? Dafür, dass sie eine Schlampe ist? | |
Die bekommt nur, was sie verdient!“ – „Ich hoffe, der geht es ein paar | |
Monate so richtig dreckig. Bevor sie sich endlich umbringt. Ein Stück | |
Scheiße weniger, um das wir uns sorgen müssen.“ Ich las das und dachte: Das | |
ist nicht bloße Wut. Das ist Wahnsinn. Hatte es den so schon immer gegeben, | |
in diesem Maß? Breitete er sich jetzt, über Facebook, Twitter und – ich | |
weiß nicht wie viele – Foren nur schneller und weiter aus? | |
## Frauen sind entweder Mütter oder Huren | |
Ein Facebook-Sprecher entschuldigte die Gemeinde: „Es wird immer eine | |
Minderheit geben, die das Internet nutzt, um anderen zu schaden.“ Ich | |
dachte: Und immer die breite Masse, die ihr begeistert folgt. Sicher, man | |
könnte sagen: Das ist Irland! Katholisch seit tausend Jahren. Mit all dem | |
Maria- und Magdalena-Gedöns, das Frauen in Mütter und Huren einteilt, und | |
dazwischen ist Platz für nichts. Mit all der Scham und der Schuld und jener | |
diffusen Angst in den Knochen, sodass sich der Katholik ein Leben lang auf | |
den Tod als Erlösung freut. | |
Angst ist ein prächtiger Nährboden für jede Art von Haß. In Irland. Bei den | |
Katholiken. Und überall sonst auf der Welt. Mein Stiefvater, gleichgültig | |
protestantisch, lehrte mich in meinen Teenagerjahren: „Eins merke dir, | |
Mädchen. Nur das faule Obst fällt leicht vom Stamm.“ Ich hatte keinen | |
Schimmer, wovon er sprach, aber sein Blick und sein Tonfall machten mir | |
Sorge. Später kapierte ich dann: Das Obst war ich. Und möglicherweise faul, | |
verdorben. Das entschied sich allein daran, ob ich für einen Mann „leicht | |
zu haben“ war. | |
Männer, so lernte ich noch, wollen oft nur das eine. „Wenn sie das von dir | |
bekommen haben, dann lassen sie dich fallen, wie eine heiße Kartoffel!“ | |
Auch das so ein Elternspruch. Was war eigentlich ihre Botschaft? Dass sie | |
sich aufrichtig um mich sorgten? Oder doch eher, dass ich als Frau keine | |
eigene Sexualität hatte? Und sie sich ausschließlich über meine Benutzer | |
definierte? | |
Die Möglichkeit, dass, umgekehrt, eine Frau ab und an nur das eine will, | |
weil sich manche Männer eben nur für das eine eignen, gab es für meine | |
Eltern nicht. Es musste aus jedem Geschlechtsverkehr – wenn man ihn denn | |
schon hatte – wenigstens eine Beziehung, besser noch eine Ehe werden. „Denn | |
merke dir, Mädchen: Keiner kauft gern benutzte Ware!“ | |
## Jeder verfehlte Fick ein Weltuntergang | |
Wegen dieser Sprüche hielt ich, wann immer es mir möglich war, an dem ein | |
oder anderen Idioten, mit dem ich ins Bett gestiegen war, und den ich erst | |
hinterher als Idiot erkannte, fest. Statt ihn fallen zu lassen, die heiße | |
Kartoffel. Und jeder verfehlte Fick fühlte sich gleich an wie der | |
Weltuntergang. Wenigstens wie meiner. | |
Daran muss ich denken, wenn ich in den Internetkommentaren lese: „Wie muss | |
sie sich schämen, wenn ihre Eltern das Bild sehen!“ Wie schämte ich mich | |
als Mutter, wenn in einer solchen Situation auch das noch die Sorge meiner | |
Tochter wäre. Eine Weile ermittelte die Gardai wegen möglicher | |
Kinderpornografie. Das Mädchen sei ja erst 17, darum die Verbreitung der | |
Bilder möglicherweise strafbar. Ich dachte: Sonst nicht? | |
Sie ermittelten auch wegen eines möglichen sexuellen Übergriffs. Für eine | |
Weile. Das Mädchen habe sich bei den Gardai gemeldet, noch vor Aufnahme der | |
Bilder, und ausgesagt, sie sei auf dem Festivalplatz belästigt worden. Auf | |
Youtube war kurz ein Video zu sehen. Es zeigte das Mädchen mit einem Mann. | |
Die beiden küssten sich. Oder auf jeden Fall berührten sich ihre Lippen. | |
Andere Männer umringten sie und schrien Obszönitäten. Sie stießen und | |
schubsten das Mädchen. Das Video wurde innerhalb von Stunden gelöscht. | |
Das Mädchen, so schrieb die Tageszeitung Irish Independent, wird sich, | |
entgegen der öffentlichen Erwartung, nicht äußern. Sie wird das Publikum | |
nicht mit Erklärungen füttern, warum sie an jenem Tag wem unter welchen | |
Umständen einen geblasen hat. Sie wird nicht Anzeige gegen die beiden | |
Männer oder sonst irgendjemanden erstatten. Vielleicht weil es kein | |
Übergriff war. Vielleicht weil, wenn es ein Übergriff war, das Urteil schon | |
gefallen und verkündet ist: „Wie bitte, sie will Anzeige wegen Belästigung | |
erstatten? Du hast zwei Typen in der Öffentlichkeit einen geblasen, du | |
blöde Kuh! Komm damit klar!“ | |
In Irland beginnt nach einem Vierteljahr Sommerferien am Ende des Monats | |
wieder die Schule. Das Mädchen wird zu seinen Mitschülern und Lehren | |
zurückkehren. Sie will „die Sache vergessen und weiterleben“. Hoffentlich | |
ist das so einfach. | |
1 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://en.wikipedia.org/wiki/Slut-shaming | |
## AUTOREN | |
Antje Joel | |
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