# taz.de -- Autorin über Männergewalt in der Ehe: „Täter werden ausgeblend… | |
> Die Journalistin Antje Joel hat ein Buch über häusliche Gewalt | |
> geschrieben. Kein Moment sei für Frauen lebensgefährlicher als der der | |
> Trennung. | |
Bild: Antje Joel: „Die massivsten Angriffe gegen Frauen erfolgen in der Trenn… | |
taz: Frau Joel, Ihr Ex-Mann hat Sie immer wieder brutal verprügelt. | |
Mehrfach haben Sie schon anonym darüber geschrieben. [1][Warum jetzt, nach | |
so vielen Jahren, ein Buch unter Ihrem Namen?] | |
Antje Joel: Moment mal. Das Konzept habe ich vor acht Jahren das erste Mal | |
angeboten. Das wollte aber kein Verlag haben. | |
Eine preisgekrönte Journalistin schreibt ein Buch über ihre drastischen | |
Gewalterfahrungen beim Tabuthema häusliche Gewalt. Warum haben Verlage das | |
abgelehnt? | |
Die Begründungen waren unterschiedlich. Die einen haben gesagt: Das ist | |
schrecklich, das will doch keiner lesen, das hält man ja nicht aus. Von | |
anderer Seite gab es Bedenken, dass ich nicht unbedingt das sympathischste | |
Opfer bin … | |
Was war damit gemeint? | |
Als ich mich aus den gewalttätigen Ehen gelöst habe, bin ich für kurze Zeit | |
ohne meine Kinder gegangen. Anders war es mir zu dem Zeitpunkt nicht | |
möglich, ich hatte nichts mehr zu geben, ich war leer. Der Verlag meinte | |
dann, ich hätte ja meine Kinder im Stich gelassen, das sei höchst | |
unsympathisch. | |
Ein Opfer muss also jederzeit sympathisch sein, damit sich ein Buch | |
verkauft? | |
[2][Das sagt doch viel über unsere Gesellschaft aus und bei wem wir die | |
Schuld suchen.] Noch 30 Jahre nach meiner sehr gewalttätigen ersten Ehe | |
werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum ich denn nicht | |
einfach gegangen bin und wie ich denn bitte da hineingeraten bin. Der Fokus | |
liegt nicht darauf, warum ein Mann mir, einem damals 16-jährigen Mädchen, | |
das angetan hat, sondern warum ich mir das habe bieten lassen. „Du musst ja | |
ziemlich dumm gewesen sein“, sagte neulich ein Mann, dem ich von dem Buch | |
erzählte. Das ist genau der Grund, warum ich mich entschieden habe, offen | |
über meine Erfahrungen zu sprechen. Man hat mich lange genug in diese Ecke | |
„geshamed“. | |
Was ist eigentlich häusliche Gewalt, wo fängt sie an? | |
Dazu möchte ich Evan Stark zitieren, einen amerikanischen Forensiker, der | |
sich seit Jahrzehnten mit häuslicher Gewalt beschäftigt: „Wenn Sie auf | |
körperliche Anzeichen häuslicher Gewalt warten, dann werden Sie 98 Prozent | |
aller Fälle übersehen.“ In England gibt es einen Straftatbestand, der nennt | |
sich „Coercive Control“ – Zwangskontrolle. Also wenn Sie jemanden durch | |
Erniedrigung, Beleidigung, finanzielle oder soziale Kontrolle, Manipulation | |
kleinhalten. Körperliche Gewalt ist nur ein Verstärker. Mein zweiter Mann | |
hat mich erst am Ende unserer 14-jährigen Ehe geschlagen. Ich hätte in den | |
ersten Jahren gar nicht gewagt, die Formen psychischer Gewalt zu sehen und | |
zu sagen, „du tust mir hier etwas an“. Der Mann schlug mich – noch – ni… | |
das empfand ich schon als großes Glück. | |
Haben Sie ein Beispiel für diese Zwangskontrolle? | |
In meiner zweiten Ehe habe ich das Geld für uns und unsere sechs Kinder | |
verdient, aber mein Mann hat es verwaltet – dafür hatte ich gar keine | |
Kapazitäten mehr. Wenn ich mich dann aber gewundert habe, warum das Geld so | |
schnell weggeht, dann sagte er: „Dann mach das doch gefälligst selbst.“ Es | |
war keine Diskussion auf Augenhöhe möglich, es kam sofort eine Drohung. | |
Was sagen Sie den Menschen, die fragen, warum Sie denn nicht „einfach | |
gegangen sind“? | |
Als ob Frauen einfach nur gehen bräuchten! Dazu muss man verstehen, welche | |
Abhängigkeitsverhältnisse die Beziehung mit einem Gewalttäter beherrschen – | |
Evan Stark vergleicht es mit einer psychologischen Geiselhaft. Selbst in | |
der vermeintlichen Ruhephase, in der die Gewalt nicht eskaliert, übt der | |
Mann Kontrolle aus. Und selbst wenn die Frauen „einfach gehen“, wie sieht | |
die Zukunft aus? Es gibt zu wenig Frauenhausplätze, 60 Prozent der Väter | |
zahlen keinen Unterhalt. „Einfach gehen“ bedeutet häufig, dass Frauen | |
lange, lange Zeit an der Armutsgrenze leben müssen. Aber jetzt kommt das | |
größte Hindernis: 75 Prozent der massivsten Angriffe gegen Frauen, Mord | |
inklusive, erfolgen in der Trennungsphase oder nachdem die Frau gegangen | |
ist. Es sind nämlich die Männer, die nicht gehen. Sie lassen die Frauen | |
nicht in Ruhe. Das ist ja auch klar, wenn man versteht, was häusliche | |
Gewalt, also Zwangskontrolle ist. | |
Steckt hinter der Frage „Warum ist sie denn nicht gegangen“ auch eine Art | |
Abgrenzung? Nach dem Motto: Ich selbst wäre natürlich gegangen, ich wüsste, | |
was zu tun ist... | |
Indem ich die Schuld auch bei der Frau finde, vergewissere ich mich, dass | |
mir das nicht passieren kann. Auf diese Art und Weise werden ganz geschickt | |
die Täter ausgeblendet. Über sie wird ja fast nicht gesprochen. Das zeigt | |
sich auch daran, mit welchen Worten über häusliche Gewalt geredet wird. Da | |
wird aus „ein Mann hat seine Frau geschlagen“ ganz schnell „die Frau wurde | |
geschlagen“ oder noch schlimmer „die Frau hat sich schlagen lassen“. | |
Wie gelingt es, die Aufmerksamkeit auf die Täter zu lenken? | |
Das hängt von der Bereitschaft der Gesellschaft ab, die richtigen Fragen zu | |
stellen. | |
Welche Fragen sollte sie denn etwa stellen? | |
Wenn wir davon ausgehen, dass 12 Millionen Frauen in Deutschland, die schon | |
einmal körperliche Gewalt von ihrem Partner oder Ex-Partner erlebt haben, | |
nicht immer an dieselbe, kleine Gruppe gewalttätiger Männer geraten, dann | |
muss es ja auch eine unglaubliche Zahl von Männern geben, die glauben, dass | |
es okay ist, Frauen zu schlagen und zu erniedrigen. Die Frage ist: Warum | |
glauben sie das und auf welche Weise befördern wir das? Immer noch | |
herrschen bestimmte Bilder vor, wie Frauen und Männer, wie romantische | |
Beziehungen zu sein haben. | |
Es wird sicher Männer geben, die sagen, dieses Buch stellt uns doch wieder | |
alle in die gleiche Ecke. | |
Das ist das, was der amerikanische Pädagoge und Filmemacher Jackson Katz | |
statistische Taubheit nennt: Wenn er in einem Vortrag sagt „99 Prozent | |
aller Vergewaltiger sind Männer“, dann könne er sicher sein, dass die | |
Hälfte des Publikums versteht „99 Prozent aller Männer sind Vergewaltiger�… | |
In meinem Buch geht es um Gewalttäter, und es müsste doch für nicht | |
gewalttätige Männer ein übergeordnetes Interesse geben, sich von diesen | |
Männern zu distanzieren. Und zwar nicht nur mit Worten, sondern mit echter | |
Unterstützung. | |
In Ihrem Buch tauchen Richter, Polizisten, Ärzte, Therapeuten, Familie, | |
auch Nachbarn auf, die die Gewalt gegen Sie indirekt oder direkt | |
unterstützt haben. | |
Das ist mir beim Schreiben besonders schwergefallen: Noch einmal diese | |
Einsamkeit, dieses Ausgeliefertsein zu spüren. Einmal hat mich die | |
Nachbarin von unten drunter auf der Treppe beiseitegenommen und gesagt: | |
„Geht das nicht ein bisschen leiser bei Ihnen da oben, Sie wissen schon.“ | |
Was aber sind die richtigen Reaktionen? | |
Ich hätte mir gewünscht, die Menschen wären mir auf Augenhöhe begegnet. Was | |
oft übersehen wird, sind die Kompetenzen von Frauen, die in gewalttätigen | |
Beziehungen leben. Unter solchen Umständen zu arbeiten, Kinder | |
großzuziehen, das erfordert viel Kraft. Stattdessen werden Frauen gern zu | |
hilflosen Opfern degradiert, die es nicht schaffen, „einfach zu gehen“. | |
Hört den Frauen zu, glaubt ihnen, nehmt sie ernst, respektiert sie! Und | |
sagt nicht: „Du musst doch, du solltest, du kannst doch nicht...“ Das ist | |
nämlich genau die Perspektive, aus der der Täter mit ihr spricht: „Du | |
kannst es nicht und ich regele das jetzt für dich.“ | |
In Ihrem Buch gibt es den eindringlichen Satz: „Ich will hier niemandem die | |
Gelegenheit geben, sich zu distanzieren.“ | |
Es ist eben nicht nur ein Buch für von Gewalt betroffene Frauen. Betroffen | |
von den Auswirkungen und verantwortlich für das Entstehen und Verschweigen | |
häuslicher Gewalt sind wir alle. | |
11 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rowohlt.de/taschenbuch/antje-joel-pruegel.html | |
[2] http://xn--Keiner%20kauft%20gern%20benutzte%20Ware-ip5s | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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