# taz.de -- Entwicklerin über App für bedrohten Frauen: „Die App wird keine… | |
> Stefanie Knaab entwickelt mit ihrem Verein ein Tarn-Programm gegen | |
> häusliche Gewalt. Es soll Betroffenen ermöglichen, unbemerkt Hilfe zu | |
> rufen. | |
Bild: Könnte helfen: das Smartphone | |
taz: Frau Knaab, Sie entwickeln eine App, die bei häuslicher Gewalt einen | |
stillen Notruf möglich macht. Was genau heißt das? | |
Stefanie Knaab: Das heißt, dass betroffene Frauen einen Notruf bei der | |
Polizei absetzen können, ohne mit dieser zu sprechen. Durch den Druck einer | |
Taste an ihrem Telefon schickt die Betroffene eine Nachricht – und die | |
Polizei kommt. Die Frauen können in der App aber auch einstellen, dass | |
nicht die Polizei, sondern Vertrauenspersonen wie Mutter, Bruder oder | |
Freundin benachrichtigt werden. | |
Was ist der Vorteil, wenn Frauen dabei nicht sprechen müssen? | |
Der Täter bekommt nicht mit, dass der Notruf gewählt oder dritte Personen | |
gerufen werden. [1][Viele Betroffene in akuten Notsituationen haben große | |
Angst], dass der Partner sie dabei hört, manche sprechen kein oder wenig | |
Deutsch, andere sind gehörlos. Deshalb nutzen sie die bestehenden | |
Hilfestrukturen nicht. Unsere App baut ihnen eine Brücke zum Notrufsystem | |
des jeweiligen Bundeslandes, mit dem sie verknüpft sein wird. | |
Wie wird die App aussehen? | |
Dazu kann ich keine Auskunft geben. Wir wollen ja vermeiden, dass Täter die | |
App erkennen können. Aber es ist eine getarnte App. Nur die Nutzerinnen | |
wissen und erkennen, dass es sich um eine App gegen häusliche Gewalt | |
handelt. Wir richten den Frauen einen Zugang ein, sodass außer ihnen selbst | |
niemand darauf zugreifen kann. | |
Wie kommt die App zu den betroffenen Frauen? | |
Wir bringen sie zu ihnen. Wie wir das machen, darauf kann ich nicht | |
eingehen. Die App wird auch keinen Namen haben. Und in keiner Zeitung wird | |
stehen: Laden Sie sich diese App runter, wenn Sie von Gewalt betroffen | |
sind. Aber sie wird die Frauen erreichen. | |
Die App soll außerdem gerichtsfeste Dokumentationen von Übergriffen | |
ermöglichen. Was muss sie dafür können? | |
Es gibt extrem viele Fälle, in denen Betroffene wegen fehlender Beweise | |
wenig Möglichkeiten haben, strafrechtlich gegen den Täter vorzugehen. Mit | |
der App sollen Frauen Beweise sammeln können – zum Beispiel, indem sie | |
Fotos ihrer Verletzungen aufnehmen und in der App verschlüsselt | |
hinterlegen. Wir stellen dabei technisch sicher, dass keine alten Fotos | |
hochgeladen oder Fotos gefälscht werden können, sodass die Beweise auch vor | |
Gericht Bestand haben werden. Die Frauen können auch Tagebuch darüber | |
führen, was ihnen passiert. Auch diese Einträge können später nicht mehr | |
verändert werden, sodass auch sie vor Gericht zugelassen werden. | |
Besteht nicht die Gefahr, dass ein Täter doch mal auf die App zugreift und | |
all diese Daten entdeckt? | |
Niemand, der das Passwort nicht hat, kann auf die App zugreifen. Alle Daten | |
sind verschlüsselt. Wir arbeiten mit den höchsten Sicherheitsstandards, um | |
die Daten verlässlich vor unbefugten Dritten zu schützen. Es gibt aber auch | |
noch eine dritte wichtige Funktion der App. | |
Welche? | |
Frauen haben damit auch die Möglichkeit, sich niedrigschwellig zu | |
informieren. Was bedeutet physische und psychische Gewalt eigentlich? Ist | |
es auch Gewalt, wenn mein Partner kontrolliert, wen ich treffe? Wir klären | |
auf, was passiert, wenn eine Frau Anzeige erstattet oder wie das Leben im | |
Frauenhaus aussieht. Diese Fragen haben viele gewaltbetroffene Frauen. Aber | |
manche sind überfordert, weil sie nicht wissen, wie und wo sie nach Hilfe | |
suchen können. Für viele ist es außerdem sehr schambehaftet, sich an Dritte | |
zu wenden, oder sie haben Angst, dass ihnen niemand glaubt. Die App macht | |
es möglich, dass sie sich informieren können, ohne zunächst mit externen | |
Personen zu sprechen. Das Ziel der App ist: Hilfe zur Selbsthilfe. | |
Wie ist Ihnen die Idee zur App gekommen? | |
Ich lebe in Berlin und habe 2018 gelesen, dass im Jahr zuvor rund 15.600 | |
Verfahren im Land wegen häuslicher Gewalt eingeleitet worden waren. 13.011 | |
davon wurden unter anderem aufgrund fehlender Beweise eingestellt. [2][Noch | |
dazu ist die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt mit bis zu 90 Prozent | |
extrem hoch], weil viele Frauen gar nicht erst anzeigen. Das hat mich | |
schockiert und wütend gemacht. Aber obwohl das Smartphone im Alltag extrem | |
viele Funktionen übernimmt, gibt es noch kein digitales Hilfsangebot dieser | |
Art. | |
Und dann? | |
Ich habe offene Türen eingerannt. Weil häusliche Gewalt ein strukturelles | |
Problem ist, war klar, dass es ein interdisziplinäres Projekt werden | |
musste. Jetzt testen wir schon den Prototyp an ehemaligen Betroffenen. | |
Wie? | |
Wir schauen, was ihnen in der damaligen Situation geholfen hätte und welche | |
Funktionen der App sie sich gewünscht hätten. Dann prüfen wir, wie sich die | |
App in bestehende Hilfestrukturen eingliedern lässt und wie sie angepasst | |
werden muss. Über Begleitforschung im kriminologischen, frauenpolitischen | |
sowie rechtswissenschaftlichen Bereich stellen wir die Qualiät sicher. | |
Wann wird die App einsatzbereit sein? | |
Weil die Sicherheit der Betroffenen unsere höchste Priorität ist, geben wir | |
das Datum der Veröffentlichung nicht bekannt. Aber wenn sie fertig ist, | |
wird sie dazu beitragen, gewaltbetroffene Frauen zu empowern und sich | |
entgegen aller Hürden Hilfe zu suchen. | |
24 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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