# taz.de -- RAW-Gelände in Berlin: Das Bunte ausgetrieben | |
> Auf Berlins beliebter Partymeile RAW-Gelände geht ein Gespenst um. Das | |
> Gespenst sind Investorenträume, die bald wirklich in Erfüllung gehen | |
> sollen. | |
Bild: Platz schaffen: ein Disco-Tänzchen für Investorenträume | |
BERLIN taz | Es geht wieder richtig ab auf dem RAW-Gelände im Berliner | |
Ortsteil Friedrichshain. Konzerte, Partys, alles fast wie früher. | |
[1][Skater besuchen die Skatehalle], Kneipenbesucher die „Bar zum | |
schmutzigen Hobby“, und Touristengruppen bekommen die tollsten Graffiti | |
gezeigt. Das RAW-Gelände ist mit seinen über 70.000 Quadratmetern Fläche | |
(was etwa zehn Fußballfeldern entspricht) das größte in sich geschlossene | |
Kulturareal Deutschlands. | |
Das nun [2][so massiv umgekrempelt werden soll], dass man es in ein paar | |
Jahren kaum noch wiedererkennen wird. Im großen Stil sollen viele der alten | |
Gebäude abgerissen und durch Bürokomplexe ersetzt werden. Wie viel buntes | |
Treiben dazwischen dann noch möglich sein wird, das ist die große Frage. | |
Das RAW-Gelände hat eine wildbewegte Geschichte hinter sich. Es diente | |
schon im 19. Jahrhundert der Instandhaltung von Lokomotiven, vor gut | |
hundert Jahren erhielt es den Namen Reichsbahnausbesserungswerk, kurz: | |
RAW. Nach der Wiedervereinigung ließ die Deutsche Bahn als neuer Eigentümer | |
der alten Industrieanlage seine Züge aber lieber woanders reparieren. Eine | |
wuchernde Club- und Kulturszene übernahm die ziemlich heruntergekommenen | |
Gebäude, von denen viele unter Denkmalschutz stehen. Die wiederum wurden in | |
den letzten 20 Jahren von immer wieder wechselnden Eigentümern verwaltet, | |
die hier schon alles Mögliche von Wohnungen bis hin zu Studentenwohnheimen | |
entwickeln wollten. | |
Als sie damit nicht zum Zuge kamen, weil der Bezirk das Kulturleben | |
wenigstens einigermaßen erhalten wollte, wurde einfach an den nächsten | |
spekulationsfreudigen Investor weiterverkauft. | |
## Entwicklung des Geländes | |
Der Bezirk selbst oder das Land Berlin kamen freilich nie auf die Idee, das | |
Gelände hier in der zentralen Lage selbst zu erwerben. Ein riesengroßer | |
Fehler, das hat die Politik immerhin längst selbst erkannt. Aber wie so oft | |
in Berlin wurde gepennt oder an der falschen Stelle geknausert. | |
Und so kommt es, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg nur noch bedingt | |
in der eigenen Hand hat zu bestimmen, wie sich das Gelände in Zukunft | |
entwickeln wird. Denn seit 2015 teilen vier Investorengruppen das Gelände | |
unter sich auf, die nun nicht mehr nur einfach ihren Besitz teurer | |
weiterverscherbeln, sondern bleiben und entwickeln wollen. | |
Um den Teil von Kurth Immobilien aus Göttingen, die sich mit über 50.000 | |
Quadratmetern Fläche den weitaus größten Teil des Areals schnappen konnten, | |
wird seit Jahren besonders geschachert und gefeilscht. Kleinkunst, ein paar | |
Ateliers, ein Kinderzirkus und auch die Skatehalle sind hier angesiedelt. | |
All das, so signalisierte der Bezirk früh, möchte er möglichst erhalten. | |
Kurth also zum Bezirk: Gut, wenn ihr das so wollt, dann bietet uns etwas | |
an. | |
Und so kommt es, dass als Teil eines Deals nun die soziokulturellen | |
Einrichtungen für die nächsten 30 Jahre gesichert werden sollen, Kurth | |
dafür zig Clubs abreißen lassen darf, um stattdessen Bürokomplexe zu | |
errichten. Mindestens ein Hochhaus von bis zu 100 Metern Höhe soll | |
entstehen. | |
## Bald die Bagger | |
Spricht man mit Carsten Joost, Sprecher der Initiative RAW Kulturensemble, | |
über dieses Prozedere, kriegt der sich kaum noch ein. Der Bezirk habe sich | |
erpressbar gemacht und der Investor dürfe viel zu viel bauen, meint er. | |
Doch für Joost sieht es gerade nicht gut aus. Aktuell ist man noch in der | |
Findungsphase, welches Architekturbüro das RAW-Gelände am Ende umkrempeln | |
darf. In den nächsten Monaten soll dann ein Bebauungsplan erstellt werden. | |
Schon im nächsten Jahr könnten die Bagger kommen. Und ein deutschlandweit | |
einzigartiges Gelände wird Büros gewichen sein, zwischen denen ein kleiner | |
Kinderzirkus darauf aufmerksam zu machen versucht, dass er auch noch da | |
ist. | |
4 Apr 2022 | |
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[1] /Vom-Berliner-Skateverein-zu-Olympia/!5786599 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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